89. Deutscher Bibliothekartag 1999 in Freiburg im Breisgau

Kurzreferate

Index
E-Mail
Mittwoch, 26.5.
14.00 - 18.30 Uhr

KG II, HS 2006


Themenkreis VIII: Bestandserhaltung
(unter Mitwirkung der DBI-Kommission für Bestandserhaltung)

Bestandserhaltungsmanagement
Reinhard Feldmann, Münster

Bestandserhaltung, Archivierung und Aussonderung als Managementaufgabe
Dr. Hermann Leskien, München

Langzeitarchivierung digitaler Daten
Dr. Marianne Dörr, München

Europäische Konzepte
Das niederländische Projekt Metafoze

Hans Jansen, Den Haag

Bestandserhaltungsmaßnahmen in der Schweiz
Susan Herion, Bern

Moderation: Dr. Yorck Haase, Darmstadt

Bestandserhaltungsmanagement

Reinhard Feldmann, Münster

Bestandserhaltung ist zweifellos eine der wichtigsten Aufgaben im deutschen und europäischen Bibliothekswesen geworden. Sie umfaßt ein ganzes Bündel von Aspekten: neben der klassischen Einzelrestaurierung älterer, wertvoller und hochrangiger Objekte sind Verfilmung, Digitalisierung und Massenverfahren wie Entsäuerung oder Papierspaltung getreten. In jüngster Zeit kommen zunehmend Planungs-, Organisations- und Managementaufgaben dazu, die im Kontext des "Betriebs Bibliothek" mit anderen Abteilungen organisiert und koordiniert werden müssen.

Wichtigste Voraussetzungen für erfolgreiches Bestandserhaltungsmanagement sind eine umfassende und detaillierte Schadensanalyse und damit zusammenhängend die Ermittlung der erforderlichen Finanzmittel, erfolgreiches Fundraising beim Unterhaltsträger (ggf. ergänzt durch Sponsoring von privater Seite): Prävention, Konservierung, Aussonderung, Verfilmung, Digitalisierung, Massenentsäuerung, maschinelles Papierspalten, Einzelrestaurierung - alle diese Aspekte verlangen nach zielgerichtetem Handeln und effizienter Problemlösung. Hierbei wird eine langfristig angelegte Öffentlichkeitsarbeit immer wichtiger, um im Wettbewerb innerhalb der Hochschule und gegenüber den Unterhaltsträgern bestehen zu können.

Das vielgepriesene Zaubermittel "Outsourcing" (wobei der Begriff oft unscharf ist und mißverständlich benutzt wird) sollte kritisch hinterfragt werden: Ein sachkundiger und umsichtiger Bestandserhalter wird seiner Bibliothek die Möglichkeiten nicht entziehen, die der freie, mittlerweile hochspezialisierte Markt im Bereich der Restaurierung bietet. Eine gut ausgestattete Restaurierungswerkstatt im eigenen Haus ist Voraussetzung für das "alltägliche" Geschäft und ebnet erst den Weg für eine erfolgreiche und sachgerechte Auftragsvergabe. Kein "entweder - oder", sondern ein "sowohl als auch".

"Bestandserhaltung - ein Wettlauf mit der Zeit", so titelte eine Publikation der Staatsbibliothek zu Berlin kürzlich. Wenn wir noch einen Schlußspurt einlegen, können wir diesen Wettlauf durchaus gewinnen.


zum Anfang


Bestandserhaltung, Archivierung und Aussonderung als Managementaufgabe

Dr. Hermann Leskien, München

Umfang und Komplexität der Aufgabe, den Zugang zum druckschriftlich überlieferten Kulturgut für künftige Generationen zu sichern, eröffnen für Entscheidungen und Maßnahmen in diesem Bereich ein breites Spektrum von Alternativen. Wo immer Wahlmöglichkeiten bestehen – und dies ist auf den Feldern Bestandserhaltung und Archivierung, die gleichzeitig und integriert zu betrachten sind, in hohem Maße der Fall -, steht nicht der verwaltungsmäßige Vollzug im Vordergrund. Vielmehr handelt es sich um eine Managementaufgabe ersten Ranges.

Das Referat versucht die breite Palette von Maßnahmen aufzuzeigen und durch Nennung von Kostengrößen zu ersten Aussagen über Präferenzen zu gelangen. So wird belegt, daß im Regelfall die landesweit koordinierte Archivierung von Originalen am genuinen Standort (mit Aussonderung andernorts nicht mehr benötigter Exemplare) die kostengünstigste Option ist, der gegenüber sowohl die zentrale Speicherung als auch die Erstellung von Sekundärformen als zweite Wahl gelten müssen. Hingegen kommt man zu anderen Ergebnissen, wenn die Originale nicht allgemein zugänglich oder geschädigt sind (z.B. Erhaltung durch Verfilmung bzw. säurefreie Kopie) oder wenn Sekundärformen eine bessere Erschließung bieten (z.B. Digitalisierung).

Auf diese Weise kommt es zur Abwägung zwischen Originalerhaltung und Erstellung von Ersatzmedien einerseits sowie zwischen zentraler und dezentraler Archivierung andererseits. In jedem Fall unverzichtbar ist der elektronische Nachweis von Archivexemplaren und von erhaltenden Maßnahmen, sofern sie für andere Partner von Bedeutung sind.

Das Land Bayern hat unter dem Titel ‚Erhaltung, Archivierung und Aussonderung von Druckschriften in Bayern‘ (1998, dbi-materialien; 174) Empfehlungen zu dieser Thematik vorgelegt, auf die im Referat Bezug genommen wird.


zum Anfang


Langzeitarchivierung digitaler Daten

Dr. Marianne Dörr, München

Bibliotheken sind zunehmend mit dem Problem der Archivierung digitaler Daten (genuin digitale Dokumente und Anwendungen, Ergebnisse von retrospektiver Digitalisierung) konfrontiert. Im Vergleich zur Bestandserhaltung der Printmedien stellen sich in diesem Bereich zahlreiche zusätzliche Probleme, z.B.:

  • Was muß erhalten werden? Frage der Inhaltsdefinition digitaler Objekte (z.B. Link-Problematik, Funktionalitätserhalt bei Datenbanken und anderen Anwendungen, Multimedia)

  • Wie kann erhalten werden? Migration und Emulation sind Konzepte, aber noch kaum in der Praxis erprobt. Gleiches gilt für das sog. Universal Preservation Format (UPF)

  • Wer kann erhalten? Die technische und personelle Ausstattung von Bibliotheken ist der Aufgabe nicht angemessen. Kooperationen und Aufgabenteilung mit anderen Institutionen (Datenproduzenten, Rechenzentren, Datenarchiven) müssen etabliert werden.

  • Was kostet das? Die wirtschaftlichen Konsequenzen der Konservierung digitaler Objekte sind noch nicht absehbar. Ein Abwarten wie im Bereich der vom Zerfall bedrohten Printpublikationen häufig praktiziert, kann unter den Bedingungen des rapiden technologischen Wandels jedoch zu echtem Informationsverlust führen.

Zum Jahresanfang 1999 hat in der Bayerischen Staatsbibliothek ein DFG-Projekt begonnen, das sich diesen Fragen am Beispiel einer großen Universalbibliothek (mit Pflichtablieferung) widmet. Im Vortrag werden die zugrundeliegende Projekt-Konzeption, die bisher erreichten Ergebnisse und der Stand der internationalen Diskussion (USA und GB) vorgestellt.


zum Anfang


Das niederländische nationale Bestandserhaltungsprogramm Metamorfoze

Hans Jansen, Den Haag

Die Koninklijke Bibliotheek, die nationale Bibliothek der Niederlande, führte von 1991 bis 1996 für ein nationales Bestandserhaltungsprogramm für Bibliotheksbestände viele Forschungsprojekte durch.

1997 wurde vom Ministerium für Unterricht, Kultur und Wissenschaften ein Aktionsplan der KB akzeptiert. Für die Jahre 1997 - 2000 werden insgesamt 18 Mio. NLG als Subvention für die Durchführung des Programms zur Verfügung gestellt. Das Bestandserhaltungsprogramm heißt nach einem 1897 erschienenen Roman des bekannten niederländischen Schriftstellers Louis Couperus Metamorfoze. Das Programm bezieht sich auf das Erbe in Form von Papier, das zwischen 1840 und 1950 in den Niederlanden beschrieben oder publiziert wurde und von Bibliotheken mit einem Aufbewahrungsauftrag verwaltet wird.

In der Zeit von 1997 bis 2000 richtet sich die Initiative auf:

  1. das Microverfilmen einer großen Anzahl von Kollektionen literarischer Autoren
  2. das Microverfilmen aller niederländischen Monographien, die zwischen 1870 und 1900 erschienen sind,
  3. das Microverfilmen der niederländischen Tageszeitungen,
  4. auf eine Anzahl von Forschungsprojekten, unter denen sich ein Inventar und eine Auswahl kulturhistorischer Kollektionen in niederländischen Bibliotheken und ähnlichen Einrichtungen befindet.
Die Durchführung des Programms wird von der Koninklijke Bibliotheek koordiniert und von einer Kommission, die vom Minister eingerichtet wurde, betreut.

Der Vortrag gibt eine Übersicht über die Ergebnisse der ersten zwei Jahre. Es wird angegeben, welche Probleme es bei der Durchführung gab. Auch wird beschrieben, welche Aktivitäten die letzten zwei Jahre auf dem Programm standen und welches die Aussichten für die Zukunft sind.


zum Anfang


Konservierungsprojekte in der Schweiz

Susan Herion, Bern

In den letzten fünf bis zehn Jahren fand in Schweizerischen Bibliotheken und Archiven im Bereich der Konservierung ein genereller Wandel statt. Das Interesse verlagert sich weg vom kostenintensiven Erhalt einzelner Objekte hin zur preisgünstigen Sicherung möglichst vieler Informationen eines Gesamtbestandes. Die Institutionen erarbeiten Konservierungsleitlinien, die mittel- und langfristige Bestandserhaltungs-Ziele festlegen. Kosten-Nutzen-Analysen erhalten beim Entscheidungsprozeß eine immer wichtigere Rolle. Die Strategie der Konservierung setzt auf drei Ebenen an:

  • Präventive Konservierung für den Gesamtbestand
  • Mengenkonservierung für einzelne Sammlungen
  • Restaurierung für das Einzelstück

    Zusätzlich wird stärker unterschieden zwischen Dokumenten, die im Original aufbewahrt werden müssen, und Dokumenten, die in substituierter Form aufbewahrt werden können.

Bei der Mengenkonservierung setzen die großen bundesunterstützten Institutionen, die Schweizerische Landesbibliothek (SLB) und das Schweizerische Bundesarchiv (BAR), ein Schwergewicht auf die Massenneutralisierung ihrer vom Säurezerfall bedrohten Sammlungen. In einem gemeinsamen Projekt realisieren sie den Bau einer Anlage zur Massenentsäuerung von Bibliotheksgut und Archivalien unter Verwendung des papersafe-Verfahrens der Firma Battelle-Ingenieurtechnik GmbH (Baubeginn: Dez. 1998, Betriebsaufnahme: Herbst 1999).

Ein zweiter Schwerpunkt im Bereich Mengenkonservierung wird mit der Mikroverfilmung von großen Bestandsgruppen gesetzt. Zu diesem Zweck führt die SLB seit 1996 das Projekt MIKO (Koordination der Mikroformen von Schweizerischen Zeitungen) durch. Die SLB engagiert sich als Koordinatorin für die verstärkte Mikroverfilmung der Schweizerischen Zeitungen, fördert das Entstehen von Partnerschaften für gemeinsame Verfilmungen, die allen Beteiligten die Finanzierung erleichtert, und stellt Beratungsdienste für Verfilmungsprojekte zur Verfügung.

Ein weiteres laufendes Vorhaben ist die Umsetzung von Maßnahmen zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes in Form von jährlichen Bundesbeiträgen an den Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes (MEMORIAV). Seit der Gründung im Jahr1995 hat MEMORIAV ein nationales Netzwerk aufgebaut, den Austausch zwischen den betroffenen Institutionen intensiviert und betreut Restaurierungen bedrohter Bestände.

Das Hauptproblem der Bestandserhaltung in der Schweiz besteht darin, daß sie auf Dauer ausgerichtet sein muß. Es geht nicht um Leistungen für einen überschaubaren Zeitraum, sondern um Vorleistungen für spätere Generationen. Für die Finanzierung dieser langfristigen Vorleistungen bedarf es einer intensiven Sensibilisierung der folgenden fünf Interessengruppen: Berufsleute des Bibliothekswesens und der Archivierung. Personen, die Dokumente schaffen. Die Medien, die Dokumente nutzen und Informationen produzieren. Die Wirtschaft, die mit der Herstellung und Vertrieb der Medien beschäftigt ist, und die Politik, die die Zukunft der Informationserhaltung mitgestaltet. Ein zukünftiger Schwerpunkt der bundesunterstützten Konservierungsaktivitäten wird die Sensibilisierung der genannten fünf Kreise für die Dauer des Aufbewahrens mit entsprechendem Aufwand sein.


zum Anfang


http://www.ub.uni-freiburg.de/bibtag99/abstract/08.html
Letzte Änderung: 29.04.1999

© Universitätsbibliothek Freiburg
Ansprechpartner: Ortskomitee, Freiburg
Gestaltung: Christina Willaredt

btlogo.gif - 3313 Bytes