Blondel, Maurice


Blondel, Maurice, Philosoph, * 2. 11. 1861 Dijon, + 4. 6. 1949 Aix-en-Provence; seit 1896 Prof. ebd. In seinem Werk L'Action entwickelte B. gg. den Rationalismus u. Positivismus eine dialektische, transzendental-analytisch-synthetische Methode, die einerseits ausgeht vom unausweichlich gegebenen Anspruch des Lebens u. der Freiheit, anderseits die in der Logik der Action als transzendentaler Wirkeinheit des Lebens liegende Notwendigkeit der Wahrheit klar anerkennt. Diese Bindung alles Erkennens u. aller Seinsoffenbarung an die Wirklichkeit der Subjektivität (Immanenz) u. die sich daraus ergebende Ablehnung des Objektivismus brachten ihm unzählige Auseinandersetzungen ein, die ihn zwangen, seine Methode immer strenger zu fassen, ihn aber auch der Gefahr aussetzten, sein streng philos. Anliegen den Ansprüchen gewisser theol. Fragestellungen gegenüber abzuschwächen. Seine Logik od. Phänomenologie der Action sucht sowohl die in der Action liegenden aprior. Gründe herauszulösen als auch aufzuweisen, wie sie selbst in immer neuen Ansätzen zu immer vollkommeneren Synthesen emporsteigt, ohne je zur Identität ihres urspr. Wollens u. des jeweils Verwirklichten zu gelangen. Hier stellt sich die Frage der Religion, die B. als Philosoph nicht ausklammert, sondern, seiner Methode getreu, als das vornehmste Thema der Philosophie betrachtet wissen will, wobei er an der Einheit u. Unterscheidung der logischen u. realgeschichtl. Ebene festhält.

In seiner Lettre... stellt B. als Philosoph die Frage, ob das, was das Christentum als "übernatürlich" bezeichnet, etwas der inneren Struktur der menschlichen Freiheit Fremdes u. von außen Hinzukommendes ist (extrinsécisme) od. ob zw. der menschl. Freiheit u. dem "übernatürlichen" eine logische Entsprechung gegeben ist. B.s Lösung lautet: Die formale od. methodische Notwendigkeit des übernatürlichen ist die Voraussetzung für die Möglichkeit einer echten rel. Lösung als Antwort auf die aprior. Ansprüche des menschl. Geistes, womit nichts über die geschichtl. Gegebenheit eines übernatürl. Angebots od. seiner Annahme, sondern nur über die innere Logik einer möglichen hypothetischen übernatürl. Erhöhung unserer menschl. Natur ausgesagt ist. Ohne diese innere formale Notwendigkeit wäre das übernatürliche etwas Widersinniges. Die Frage der rel. Entscheidung hingegen liegt nicht auf der Ebene der Logik, sondern der der Freiheit. So bleibt die Selbständigkeit des Lebens einerseits u. der objektiven Erkenntnis anderseits


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gewahrt, wenn auch deren innere Solidarität in der Einheit des Bewußtseins nicht übersehen wird. Als der Modernismus aufkam, wurde B., dessen subtile Methode neu u. ungewohnt war, von vielen Theologen als einer seiner philos. Vertreter angesehen, insbes. weil sein Begriff v. der Notwendigkeit des übernatürlichen mißverstanden wurde. In Wirklichkeit hat B. als einer der ersten in Histoire et Dogme v. seiner philos. Grundposition aus den modernist. Historizismus u. Relativismus entscheidend widerlegt. Es geht ihm um die innere Einheit v. Geschichte u. Dogma, v. Geschichtlichkeit u. Geist in der lebendigen Überlieferung, wobei die übernatürl. Abkunft des Dogmas unbestritten bleibt. In späteren Jahren hat B. auf der Grundlage seiner Frühschriften eine umfassende Seins- u. Freiheitsmetaphysik entwickelt, die in eine Religionsphilosophie ausmündet. Er tritt für eine Autonomie der Philosophie ein, ohne deren innere logische Bezüge zur Theologie zu leugnen. Wie kein anderer hat er aber die wechselseitige Durchdringung v. Religion u. Philosophie auf der Ebene der Geschichte u. der menschl. Freiheit dargelegt. Darin ist er ein bahnbrechender der Religionsphilosoph unserer Zeit.


WW: L'Action. Essai d'une critique de la vie et d'une science de la pratique (P 1893) (2 1950) (zitiert als "erste Action"); Lettre sur les exigences de la pensée comtemporaine en matiére d'apologétique et sur la méthode de la philosophie dans l'étude du probléme religieux (St-Dizier 1896); Histoire et dogme. Les Lacunes philosophiques de l'exégése moderne (La-Chapelle-Montligeon 1904), beide Schr. neu hrsg.: Les premiers écrits de M. B. (P 1956); Le probléme de la philosophie catholique (P 1932); La Pensée, 2 Bde. (P 1934) (dt. Fr 1953-56); L'Être et les êtres (P 1935) L'Action, 2 Bde (P 1936-47) (zitiert als "zweite Action") Lutte pour la civilisation et philosophie de la paix (P 1939) (2 1948); La Philosophie et l'Esprit chrétien, 2 Bde (P 1944 46); Exigences philosophiques du christianisme (P 1950) (dt. Mn - W 1954); M. B. - A. Valensin, Correspondance 1899-1912 (P 1957).

Lit.: P. Archambault, Vers un réalisme intégral. L'oeuvre philosophique de M. B. (P 1928); F. Taymans d'Eypernon, Le Blondélisme (Brügge 1933); E. Seiterich, Wege der Glaubensbegründung nach der sog' Immanenzapologetik (Fr 1938); W. Warnach, Sein u. Freiheit, B.s Entwurf einer normativen Freiheit: ZKTHh 63 (1939) 39-27; R. Aubert, Le probléme de l'acte de foi, données traditionnelles et résultats des controverses récentes (Lv 1945); H. Duméry, La philosophie de l'Action. Essai sur l'intellectualisme blondélien (P 1948); H. Bouillard, L'intention fondamentale de M. B. et la théologie: RSR 36 (1949) 31-02, dt.: Sym III (1952) 40-69; J. Paliard, M. B. ou le dépassement chrétien (P 1950); A. Hayen, Bibliographie blondélienne (Messina 1953); H. Duméry, B. et la religion. Essai critique sur la "Lettre" de 1896 (P 1954); A. Cartier, Existence et Vérité. Philosophie de l'action de M. B. et problématique existentielle (Ts 1955); P. Henrici, Hegel u. B. (Pullach 1958).

R. SCHERER