Das Markusblatt in Sankt Peter im Schwarzwald

Abbildung der Miniatur.

Die Herkunft der Handschrift. - In einem »Evangelistar«, einem Lektionar der liturgischen Evangelienabschnitte aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in der Bibliothek des Erzbischöflichen Priesterseminars St. Peter/Schw. findet sich ein einzelnes Pergamentblatt mit einer Darstellung des Evangelisten Markus, als S. 66f. gezählt. Die Handschrift war früher Teil eines umfangreicheren Sammelmanuskripts. Der andere, schon um 720 geschriebene Teil dieser Sammelhandschrift stammt aus dem Skriptorium von Echternach, damals Zentrum der irisch-angelsächsischen Mission. Es handelt sich bei ihm um ein »Evangeliar«, eine Handschrift mit dem lateinischen Text der vier Evangelien nebst einigen Beigaben. Dieser Teil befindet sich jetzt in der Universitätsbibliothek Augsburg.

Der in St. Peter aufbewahrte Codex gehörte nicht zu den Beständen der Bibliothek der ehemaligen Benediktinerabtei von St. Peter im Schwarzwald. Wie andere Echternacher Handschriften gelangte die noch vollständige Sammelhandschrift Ende des 18. Jahrhunderts in die Hände Dom Jean Baptiste Maugérards (1735-1815), eines ehemaligen Benediktiners der Abtei Saint-Arnould in Metz, der wegen Verweigerung des Eides auf die republikanische Verfassung 1792 nach Deutschland emigriert war. Maugérard hatte schon vorher verschiedene Bibliotheken aufgebaut und mit alten Drucken und Handschriften gehandelt. In Erfurt knüpfte er Kontakt zu den Mönchen des Klosters Echternach. Dieses Kloster wurde zwar erst 1797 aufgehoben, Teile der Klosterbibliothek waren aber schon seit 1794 in Erfurt. Die Verkäufe wie auch andere kamen wohl aufgrund finanzieller Nöte des um seine Existenz ringenden Klosters zustande. Maugérard nützte solche Situationen und vermittelte verschiedenen Fürstenhäusern wertvolle Handschriften aus Klosterbeständen, wie später auch als »Commissaire du Gouvernement pour la recherche des sciences et arts dans les quatre departements du Rhin« durch Requirierungen im öffentlichen Auftrag der Bibliothèque Nationale in Paris.

Nach einem Eintrag in der Augsburger Handschrift muß der Bruchsaler Stiftskapitular und -prediger Johann Adam Gärtler (1731-1818) die Handschrift 1809 besessen haben. Gärtler vermachte seine Bibliothek dem Priesterseminar der Diözese Speyer in Bruchsal. Mit sonstigen Bruchsaler Beständen ist das Markusblatt im 19. Jahrhundert in die Bibliothek des Priesterseminars St. Peter gelangt. Ihr genauer Weg zwischen diesen Stationen ist nicht mehr zu rekonstruieren.

Der Ursprung des Markusblattes. - Das Einzelblatt mit der Miniatur des Evangelisten Markus enthält auf der »Vorderseite« (S. 66) spätere Einträge (15. Jh.). Die Markus-Darstellung (S. 67) ist aber wesentlich älter, auch älter als die übrige in St. Peter befindliche Handschrift. Anscheinend ist die wertvolle und damals bereits altertümliche Echternacher Evangelien-Handschrift um das Jahr 1000 in Trier um diese einzelne Evangelistendarstellung ergänzt worden, vermutlich als Ersatz einer ursprünglich vorhandenen ornamentalen Zierseite, wie sie sich noch beim Johannesevangelium findet. Denkbar ist, daß es solche Darstellungen auch für Matthäus und Lukas gegeben hat. Auch die Initialbuchstaben der ersten drei Evangelien sind bei dieser Überarbeitung der Handschrift mit Gold gehöht worden, das in der ursprünglichen Echternacher Handschrift nicht verwendet worden war.

A. Siegel hat in einem grundlegenden Aufsatz 1928 die Markus-Miniatur in Zusammenhang mit einer Trierer Handschriftengruppe gebracht, die nach dem Fragment einer Gregor-Handschrift mit einer Darstellung Gregors des Großen und seines Schreibers (Stadtbibliothek Trier) dem um 1000 in Trier tätigen sog. Meister dieses »Registrum Gregorii« zugeschrieben wird. C. Nordenfalk hat in seinen Studien versucht, diesen Meister als individuelle Gestalt zu fassen, und sah in ihm den »führenden Künstler der ottonischen Buchmalerei in Trier«. Die diesem Umkreis zugeschriebene Handschriftengruppe ist von B. Nitschke eigens untersucht worden, wobei manche Zuschreibungen an diesen Meister aus stilistischen Gründen von ihr wiederum bestritten wurden, so auch diejenige des Markus-Blatts in St. Peter. H. Hoffmann hat versucht, die Schrift des anonymen Gregorius-Meisters zu identifizieren. Bei unserem Blatt qualifiziert er die Capitalis-Inschrift als »anscheinend von der Hand des Meisters«. Doch ist die Frage solch individueller Zuschreibung nicht so bedeutsam. Sie impliziert zu viele historische Vermutungen und schwer verifizierbare stilistische Entscheidungen. Sicherlich zutreffend ist aber die Einordnung des Blatts in diese Handschriftengruppe. Die größte Nähe zum Einzelblatt in St. Peter haben von den diesem Umkreis zugezählten Miniaturen die Evangelisten-Darstellungen des »Evangeliars von Strahov«, das in dem Prager Kloster Strahov verwahrt wird. Auch sie sind einem älteren Evangeliar - diesmal aus karolingischer Zeit - nachträglich hinzugefügt. Die dem Trierer Registrum Gregorii nahestehenden Arbeiten gehören zu den bedeutendsten Leistungen der ottonischen Buchmalerei.

Beschreibung der Miniatur. - Bei dem Einzelblatt in St. Peter handelt es sich um eine ganzseitig gerahmte Miniatur in Deckfarbenmalerei mit Gold. Sie stellt den Evangelisten Markus sinnend - schreibend oder in einer Schreibpause - am Schreibpult dar. Eine über das Pult gelegte Buchrolle verbindet die Figur mit dem gedrechselten Pult. Die Ausstattung (Kissen, Sitz, Fußbank) wirkt in Gestaltung und Farbwahl kostbar. A. Siegel hat dies genau formuliert: »Die Grundfarben bei der Darstellung des Evangelisten sind rotviolett am Pallium, hochrot am Sitz, grün auf dem Kissen; der Schemel ist graugrün, die Tunika grauviolett schattiert und das Pult rotbraun. Mit dem Weiß des Pergamentes und den reinen weichen Farben wirkt das Gold in Nimbus, Palliumssäumen, Tunikastreifen und über dem Zierband an Schenkel und Kissen; golden sind auch die Füllung des Sitzes und die Schreibrohre. Alles wird malerisch gesteigert und zeichnerisch abgegrenzt durch Schwarz, durch Weiß gemildert und warm gehoben. Schwarze Linien laufen bald stark, bald dünn an Schemel- und Sitzkanten, fast rings um die Figur und wo sonst tiefes Dunkel in den Falten liegt; an den goldenen Säumen gehen sie parallel; als ob die Zierbänder Schatten werfen würden, sind diese auf der Innenseite schwarz abgeschlossen. Mit Weiß sind alle Rundungen gehöht, z.B. über dem Rücken und auf den Schenkeln; weiße Linien gehen an den Möbelkanten neben den schwarzen; in den Hohlkehlen, an den Seitenflächen des Sitzes und auf dem Schreibpult löst Weiß als Lichtreflex die Lokalfarbe auf. Höchste Feinheit ist alles. Nicht nur in Farbe und Tönung und Sorgfalt der Technik, sondern auch in der Zeichnung«.

Ein hellviolettes Band trennt - etwa im Verhältnis 1 : 3 zum Hauptfeld - ein kleineres Feld von der Autorendarstellung des Evangelisten ab. Es enthält das Symbol des Evangelisten, einen auf einer angedeuteten Wolke sitzenden geflügelten Löwen mit goldenem Nimbus, der seinen Kopf entgegen der Blickrichtung des Evangelisten wendet. Das Trennband trägt den nur noch schwach lesbaren Schriftzug in Capitalis: FORMAM TERRIBILIS MARCUS TENET ECCE LEONIS (Siehe, Marcus hat die Gestalt des schrecklichen Löwen).

Im oberen Feld mit dem Löwen links in Minuskeln »Ecce vicit leo de tribu Iuda, radix David/Siehe, gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda, der Wurzelsproß Davids«, Offb 5,5. Auf der rechten Seite hat sich der Doppelbuchstabe »IN« von der Gegenseite des Echternacher Evangeliars abgebildet, die den Anfang des Markusevangeliums enthalten hat (»Initium Evangelii Jesu Christi, Filii Dei«).

Es handelt sich um eine außerordentlich qualitätvolle Miniatur. Siegel übertreibt nicht, wenn er schreibt: »Wir haben es mit einem Werke zu tun, das trotz der Einfachheit zu den schönsten seiner Zeit gehört«.

Theologische Deutung des Bildgehalts. - Bei einem so geläufigen Bildtypus wie dem des Evangelisten mit seinem Symbol, das in unzähligen Varianten in der christlichen Kunst vorkommt, stellt man selten die Frage nach dem theologischen Sinn. Dennoch sei kurz darauf eingegangen. Die Bildelemente der Darstellung des Evangelisten entstammen einer schon vor tausend Jahren alten Tradition der Evangelistendarstellung als Autorenbild. Der nachdenkliche Ausdruck des schreibenden oder sinnenden Evangelisten ist der Vorstellung angemessen, daß hier ein von Gott inspiriertes Schreiben geschieht. Dadurch daß die Abbildung dem inspirierten Evangelientext direkt vorangestellt wurde, ist dieser Bezug jedem Leser des Textes sinnenfällig.

Die göttliche Inspiration des Schreibers wird symbolisch durch das Evangelistensymbol ausgedrückt, das durch die Inschrift nochmals ausdrücklich mit der Person des Markus verbunden wird. Die Evangelistensymbole sind schon von den frühen Kirchenvätern in Auslegung der Visionen von den vier lebenden Wesen des Propheten Ezechiel (Ez 1,5-28), die in der Johannes-Apokalypse (Offb 4,1-11) wieder aufgenommen werden, den Evangelisten zugeordnet worden; so schon bei Irenäus von Lyon (+ 202). In seiner Schrift Adversus haereses (III,11,8) leitet er von der Viergestaltigkeit grundlegender Strukturen der Welt (vier Himmelsrichtungen, vier Winde...) die Notwendigkeit von vier Grundsäulen der Kirche, d.h. vier Evangelien ab, die er biblisch mit den genannten prophetischen Visionen belegt. Von da gelangt er zu einer Viergestalt der Heilsgeschichte: »Wie also die Heilsordnung des Sohnes Gottes, so auch die Gestalt der Tiere, und wie die Gestalt der Tiere, so auch der Charakter des Evangeliums. Viergestaltig die Tiere, viergestaltig das Evangelium, viergestaltig die Heilsordnung des Herrn«. Die christliche Theologie wie Kunst haben diese symbolischen Zusammenhänge nicht mehr vergessen, sondern vielfältig variiert und zu Topoi verfestigt. Im frühen Mittelalter finden sich Texte, welche die »forma leonis«, die Löwengestalt des Markus, mit der löwengleichen »Stimme eines Rufenden in der Wüste« am Anfang seines Evangeliums erklären (Mk 1,3) und so den prophetischen Charakter dieser Schrift unterstreichen; so z.B. im Apokalypse-Kommentar (III, 4,7 und V, 10,11) des Ambrosius Autpertus (+ 784) oder im Matthäus-Kommentar (5. Buch, Prolog) des Paschasius Radbertus (+ 859).

Durch diesen inhaltlichen Sinn des Evangelistensymbols rechtfertigt sich auch die Gewichtigkeit der Darstellung des geflügelten Löwen in der Bildkomposition. Die wohl später hinzugefügte zweite Inschrift mit dem Text aus Offb 5,5 ist dem gleichen Zusammenhang zugehörig, aus dem die Vision der vier Wesen entstammt, und kommt auch in anderen Markus-Darstellungen vor. Sie deutet das Evangelistensymbol heilsgeschichtlich vom Sieg Christi über die Mächte des Bösen und somit vom Sinn des Evangeliums her.

Neben den Bildgehalten und den deutenden Inschriften darf man aber auch den theologischen Sinn der formalen Gestaltung nicht übersehen. Die wertvolle Gestaltung der Details - vgl. etwa die Symbolik des Goldes - korrespondiert der Wertschätzung, die dem inspirierten Text entgegengebracht wird.

Das tausendjährige Markusblatt, das auf einem verworrenen Weg seinen Platz in St. Peter gefunden hat, ist eine vollendete Einheit von künstlerischer Form und inhaltlicher Aussage. Es wirkt auch heute unmittelbar auf den Betrachter, dem der Symbolgehalt seiner Aussage nicht von vornherein geläufig ist.

Albert Raffelt

Angaben zu den Handschriften:

Evangelistar - Erzbischöfliches Priesterseminar St. Peter - Cod. ms. 25. - Pergament - 10 Bl. - 24 x 17,5. Darin: Beilage - Pergament - 1 Bl. - 24 x 17 - Trier um 1000 (Markusminiatur).

Evangeliar - Universitätsbibliothek Augsburg (ehem. Oettingen-Wallersteinsche Bibliothek) - Cod. I.2.40 2 - Pergament - 159 Bl. - 24 x 18 - Echternach um 720.

Edition:

Evangeliarium Epternacense (Universitätsbibliothek Augsburg, Cod. I.2.4o 2). Evangelistarium (Erzbischöfliches Priesterseminar St. Peter, Cod. ms. 25) / Dáibhí O Cróinín (Intr. and codicological description). Colour microfiche edition. München : Lengenfelder, 1988.

Literatur:

Alois Siegel: Das Markusblatt zu St. Peter auf dem Schwarzwald. In: Oberrheinische Kunst 3 (1928), S. 113-117.
Carl Nordenfalk: Der Meister des Registrum Gregorii. In: Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst. 3. Folge, Bd. 1 (1950), S. 61-77.
Brigitte Nitschke: Die Handschriftengruppe um den Meister des Registrum Gregorii. Recklinghausen : Bongers, 1966 (Münstersche Studien zur Kunstgeschichte. 5).
Hartmut Hoffmann: Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich. Stuttgart : Hiersemann, 1986 (Schriften der MGH. 30), Bd. 1, S. 486f.
Winfried Hagenmaier: Die deutschen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek und die mittelalterlichen Handschriften anderer öffentlicher Sammlungen. Wiesbaden : Harrassowitz, 1988 (Kataloge der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau. 1,4), S. 442f.

Ergänzung:

Heinzer, Felix: Ein Spitzenstück ottonischer Buchmalerei und seine Irrfahrten. In: Tausendjährige Schriftzeugnisse in Baden-Württemberg / Hrsg. vom Generallandesarchiv Karlsruhe, bearb. von Wilfried Rößling und Hansmartin Schwarzmaier. Karlsruhe 1992, S. 40-41
Weitere Literatur im Ausstellungskatalog Das Vermächtnis der Abtei / Hans-Otto Mühleisen (Hrsg.). Karlsruhe : Badenia, 21994, S. 469.
Brandt, Michael (Hrsg.): Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. [Ausstellung Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen, Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993 / Dom- und Diözesanmuseum Hildesheim. Hildesheim : Bernward-Verlag ; Mainz am Rhein : von Zabern, 1993, S.
Abbildung als Umschlagbild für Alexius Nowak: Klausur mit Markus. Regensburg : Pustet ; Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1994.


http://www.ub.uni-freiburg.de/referate/04/raffelt/markusblatt.html
Letzte Änderung: 20.07.2000