Albert Raffelt

Das theologische Schrifttum Abt Steyrers

Das theologische Schrifttum Steyrers gliedert sich - soweit es um Druckschriften geht - in zwei Gruppen: in Werke geistlichen Inhalts und in polemische Schriften. Erstere könnte man wieder in anspruchsvollere, für gebildete, des Lateins kundige Leser - vor allem wohl Mönche - verfaßte Werke und deutschsprachige, pastoral orientierte Schriften unterteilen. Die zweite Gruppe umfaßt polemische Arbeiten, in denen sich der Abt in aktuelle Diskussionen der Zeit einmischt.

Die Kennzeichnung "theologische Schriften" ist dabei nicht ganz selbstverständlich, ist doch der Inhalt reicher. Sie mag aber einerseits als Rahmen genügen, zum andern andeuten, daß unsere Fragestellung an dieses Schrifttum aus theologischer Absicht geleitet ist.

Wiederum kann man fragen, ob denn Steyrer als Theologe gesehen werden kann. Eine positive Antwort böte sich aus der zeitweilig von ihm wahrgenommenen Funktion eines theologischen Lehrers an. Dennoch wird man ihn von daher kaum mit Benediktinertheologen seiner Zeit von Rang vergleichen können, wie etwa Abt Martin Gerbert, der immerhin eine ansehnliche Serie theologischer Lehrbücher verfaßt hat, während Steyrers theologischer Unterricht nicht dokumentiert ist.

Auch hier ist aber zu sagen, daß die Stellung eines Abtes, gerade wenn sie so prägnant wahrgenommen wird wie von Steyrer, selbst theologisches Profil hat und man daher seine Äußerungen auf die dahinterstehende Theologie befragen kann.

Das Schrifttum über Steyrer hat bislang mehr seine großartigen Leistungen im organisatorischen Bereich - als Bauherr, Auftraggeber für künstlerische Arbeiten, Büchersammler usw. - im Blick gehabt. Seine Tagebücher sind dafür eine erstrangige Quelle. Eine Annäherung über seine theologischen Schriften schafft in mancher Hinsicht eine größere Distanz, bringt auch Befremdliches zutage, ist aber zum Verständnis seines geistigen Profils ebenfalls wesentlich. - Die Aufgabe ist zunächst darstellend. Sie sucht referierend einen Überblick zu geben und nur am Schluß einige Linien auszuziehen und einzuordnen.

1. Geistliche Schriften

Chronologisch gesehen beginnt Abt Steyrer seine literarische Arbeit mit geistlichem Schrifttum. Schon vor seiner Wahl zum Abt verfaßte er sein Büchlein über die Lindenberg-Wallfahrt bei Sankt Peter, "dises erste und geringe Wercklein meiner Hand und Feder" (20): Heylbringender Linden-Baum. Es ist seine "barockeste" Schrift, wenn man an die spielerisch allegorisierende Anlage denkt. Den Freiherrn von Kageneck gewidmet - die Widmungen Steyrerscher Schriften sind immer gezielt "politisch" ausgerichtet - hat sie einerseits legitimierende Tendenzen, indem sie ".... kein neu-erfundene Wallfahrt, sonder ein uralt, und von unerdenckilchen Zeiten her berühmtes Marianisches Gnaden-Kirchlein" vorstellen will (27), wobei auf benediktinische Verdienste in dieser Hinsicht generell Bezug genommen wird, ist anderseits pastoral ausgerichtet, dabei theologisch von einer recht einfachen Marienfrömmigkeit geleitet, die sich weder der damals doch schon aufkommenden Kritik stellt noch lehrhaft begründet, sondern dieses Geschäft voraussetzt, den Prälaten als ihre Sache zuweist. Positiv ist der Ansatz als "historisch" zu bezeichnen: "alles hab ich theils aus alten Urkunden, theils aus beständiger Außsag gewissenhaffter Leuthen hergenommen. Behüte mit GOtt, daß ich mit Unwahrheit und Fablen die Ehr Mariä nit so fast vermehren, als entunehren sollte" (37).

Daß zu seiner Zeit die Darstellung solcher Stoffe - es geht um Erscheinungen, Wunder und ähnliches - nicht mehr selbstverständlich war, sieht auch Steyrer und argumentiert gegen Zweifler: "Wann aber einer insgemein laugnen wolte, daß GOtt durch seine Creaturen Miracul und Wunder würckte, wäre einem solchen die Heil. Schrifft schnur grad zu wider. ... Ja ein solcher Idiot wurde an den Tag geben, daß er weniger Witz habe, als der Arcadische Langohr deß Propheten Balaam..." (37f.).

Die Darstellung selbst zerfällt in drei Teile: die Entstehung und Entfaltung des Wallfahrtsortes, den "Gnaden- und Wunder-Bericht" und einen abschließenden Gebetsteil. Der erstere forscht den urkundlichen und sonstigen Bezeugungen nach und mischt darunter recht volkstümliche, in ihrer Realistik theologisch manchmal bedenkliche Anekdoten. Bei den eingestreuten betrachtenden Texten stützt sich Steyrer auf Lieblingsautoren wie die Äbte Blosius und Trithemius.

Ein barockes allegorisches Spiel ist nun der zweite Teil, in dem die Eigenschaften des Lindenbaums auf Maria übertragen werden, etwa: "Erste Eigenschafft deß Linden-Baums. Der Linden-Baum ist einer der schönsten Bäumen. Seine Aest breiten sich weit auß.... Wohl ein schöner Entwurff der Zuflucht aller Bedrangten und Sünder, Mariä" (124f.), was mit Texten und Gedichten entfaltet wird. Der Allegorie folgen jeweils Anekdoten, in diesem Fall: "Geschicht. Maria protegit contra fervorem Solis quia Mater Solis Justitiae. Maria beschützet unter ihrem Gnaden-Schatten vor der Sonnen-Hitz, weilen sie eine Mutter der Sonnen der Gerechtigkeit ist" (134f.), wo berichtet wird, wie ein böser Edelmann, weil er alle Samstage zu Mariens Ehren gefastet durch Fürsprache dieser gerettet wird, gesundet, in ein Kloster eintritt usw. Die Durchführung des Programms in zehn Eigenschaften (Tee, Asche, Lindenbast, Lindenholz usw.) kann hier nicht mehr verfolgt werden.

Die Erstlingsschrift ist in vielem schon bezeichnend für Steyrer. Mag sie volkstümlicher und "geschnörkelter" sein als seine späteren Arbeiten, so ist doch die historische Fundierung wesentlich, die Argumentation mit der Tradition, die starke Bezogenheit auf Heilige - hier Maria -, die Selbstverständlichkeit der Bezeugung des Übernatürlichen und die bloß historische Vermittlung dieser Dinge.

Im folgenden Jahr und abermals zehn Jahre später legt Steyrer Gebets- und Meditationsanthologien eines seiner Lieblingsautoren, des Abtes Ludwig Blosius (Louis de Blois, 1506-1566, Abt in Liessies, Diözese Cambrai, ein humanistisch-benediktinischer Reformer). Die Titel Favus mellis und Fasciculus mellifluarum precum knüpfen an Spr. 16,24 an: "Freundliche Rede ist wie Wabenhonig, süß für den Gaumen, heilsam für den Leib".

Steyrer entwickelt hier schon in etwa das Schema, das auch seine späteren Anthologien geistlicher Autoren prägt. Die 4 Bücher handeln "De Deo, ejusque attributis, et cultu Sanctorum", "De extirpatione vitiorum, poenitentia, et tentationibus", "De virtutibus & perfectione christiana" und "De variis pietatis exercitiis, et quatuor novissimis", führen also gewissermaßen von den Grundfragen der Dogmatik zum Vollzug geistlichen Lebens und zu den himmlischen Freuden. Eingeleitet wird das Buch mit einer Blosius-Vita und lobenden Zeugnissen über den Abt; auch das wird später so gehandhabt. Im Gegensatz zu den späteren Anthologien ist das Buch für eine Halbjahres-Betrachtungsverlauf eingerichtet und sind die Texte auch in kurze Sätze zerlegt. Inhaltlich wird auf einer anderen Ebene als in der Erstlingsschrift - die Text sind schon durch die lateinische Sprache einem anderen Publikum zugedacht -, aber in sachlicher Kontinuität ein Christentum aufgezeigt, das sich asketisch bestimmt ("De duplici militia, Christi, et Diabioli", "Sequela Christi per mortificationem" usw. lauten die Kapitel), von den Gnadenmitteln der Kirche leiten läßt und dogmatisch klar geführt wird: "D. Epiphanius secundo libro contra haereses, Termini, inquit, nobis positi sunt, et fundamenta et aedificatio fidei, et Apostolorum traditiones, et Scripturae sacrae, et successiones doctrinae: et undequaque veritas Dei munita est. Nemo ergo decipiatur novis fabulis" (113).

Den abschließenden Gebetsteil ergänzt gewissermaßen die spätere Sammlung. Sie umfaßt Reue-, Abend-, Beicht-, Meß-, Sterbegebete usw. Für den Stil dieses stark rhetorisch ausgefeilten Gebetsgutes sei ein beliebiges Beispiel gegeben: "Eja praecellens gemma divinae nobilitatis, et elegans flos dignitatis humanae, Jesu suavissime, tu me hinc migrantem benignè recipe in beatam domum aeternae pacis et claritatis tuae. Ibi, ô salus mea unica, visu mellifluus praesentiae tuae, consolare me. Ibi gustu charae acquisitionis, quâ me redemisti, recrea me. Ibi in spiramento suaviflui spiritûs tui attrahe et imbibe me. Ibi per osculum perfectae unionis in perpetuam tui fruitionem immerge me: ut vivam de te, et exultem in te: tibique hostiam laudis reddam sine fine. Amen. Sacell. Animae fidel. P. 2" (188).

Als Prioratsverweser in St. Ulrich 1746 muß Steyrer bald mit den Vorarbeiten zu einem erst nach seiner Abtswahl fertiggestellten Buch begonnen haben: Leben und Wunder-Thaten des heiligen Udalrici oder Ulrich. Der Abt widmet es dem Bischof von Konstanz; der liturgische Hintergrund dieser Widmung (die erfolgreiche Bemühung um ein von Rom approbiertes Konstanzer Eigenfest des hl. Ulrich am 10. Juli) ist in der Schrift dargestellt. In mancher Hinsicht ist dieses Werk besonders typisch und besonders gelungen, wozu auch die andernorts in diesem Band erläuterte Ausstattung beiträgt.

Wieder legt Steyrer großen Wert auf die historische Fundierung seines Unternehmens und den Wert seiner primären Quelle: "Es ist derohalben seine Erzehlung desto glaubwürdiger, weilen er alles, was darinnen enthalten ist, theils von anderen Geistlichen erwehnten Closters, welche mit dem heiligen Ulrich allda gelebt, und seinen ganzen Lebens-Verlauff bestens gewußt haben, auch Zeugen seiner Wunderwerken waren: theils auch von denen selbsten, an welchen die Wunderzeichen geschehen seynd, gehört hat" (1f.). Steyrer beruft sich dafür auf die "gelehrte Critici P. Pinius und P. Mabillon" (2), also auf die Bollandisten und die Mauriner. Damit ist auch die historische Schule angedeutet, der Steyrer - wie gleichzeitig die Benediktiner von Sankt Blasien - folgt.

Die Vita ist den genannten Quellen (Acta Sanctorum etc.) folgend frei gestaltet. Sie ist erheblich nüchterner als das Lindenberg-Bändchen, da sie sich am geschichtlichen Stoff - nicht an einer Allegorese - entwickelt. Die berichteten Ereignisse wollen nicht durch besonders außerordentliche Mirakelhaftigkeit wirken. Allerdings bleibt der hohe sachliche Stellenwert des Wunderberichts für Steyrer auch in dieser Vita erhalten, was an einem seltsamen Einsprengsel, einer an die reformierten Einwohner von Basel gerichteten Aufforderung, das Zeugnis dieser Wunder für den katholischen Glauben ernst zu nehmen, deutlich wird. Die Schrift lebt von der Einbindung des Einbruchs des Übernatürlichen in Gestalt des Heiligen in die direkte Umwelt von St. Ulrich, Bollschweil, Achkarren usw. Sie ist in manchem schön formuliert, manchmal hintersinnig. Ein Gutteil des Werkes ist historischer Bericht, und so ist es konsequent, daß Steyrer die Geschichte des Klosters fortsetzt und insbesondere die St. Petrinische Verwaltung von St. Ulrich ab 1560, "welches in eben disem Jahr den 15. Augst Abbt Johannes Erb von St. Peter zu verwalten übernahme, nachdem Er disem seinem Vorfahrer alle auf St. Ulrich verwendete Unkösten ersetzet hatte" (162). 1578 wurde es St. Peter inkorporiert, "diser Zeit an bis auf gegenwärtige ist das GOttes-Haus St. Peter in ruhigem Besitz des Priorats St. Ulrich verblieben..." (171).

Einen breiteren urkundlich belegten Teil nimmt die Widerzulassung des Festes, dessen Begründung gegenüber der römischen Ritenkongregation, die Beschaffung der liturgischen Texte usw. ein. Der Band schließt mit lateinischen (Die X. Julii in festo S. Udalrici confessoris duplex pro Monachis S. Petri in Silva nigra) und volkssprachlichen Gebetstexten (235ff.).

Ein kleines Schriftchen Kurtze Lebens-Beschreibung der gottseligen Mutter Mechthild vom Heil. Sacrament, Stifterin einer neuen Congregation geistlicher Kloster-Jungfrauen unter der Regul des Heil. Ertz-Vaters Benedicti, von beständiger Anbetung des Heil. Altar-Sacraments zeigt in der ausführlichen Titelfassung das Interesse des Abtes, - neben dem geistlichen Gehalt ist es ein Stück Propaganda für einen neuen Zweig des Benediktinerordens, gegründet von Cathérine de Bar (Mechthild vom hlst. Sakrament; 1614-1698). Die Kürze der Schrift erklärt sich daraus, daß ein anderer Benediktiner die umfangreiche Vita in Arbeit hatte (Columban Lutz bzw. Luz OSB, Elchingen).

Der Chronologie nach wäre nun auf die ersten polemischen Tagesschriften Steyrers einzugehen, was hier jedoch - der sachlichen Ordnung nach - weiter unten geschehen soll. Direkt an die eben genannten Heiligenviten schließt eine weitere kleine Schrift an: Kurze Lebensbeschreibung des seligen Bernards Markgrafen von Baden. Sie trägt aber ein zusätzliches Element in die bisherige Übersicht ein, das bislang bestenfalls über die Widmungen deutlich war: "Das Durchleuchtigste Markgräfliche Haus von Baden stammet von den alten Herzogen von Zäringen ab". Der erste Satz des Bändchens schon stellt es in einen zeitgenössischen politischen Rahmen. Gleich anschließend wird an die Gründungsgeschichte von Weilheim und St. Peter erinnert und die Geschichte des zähringischen Hauses unter Hervorhebung der Kleriker, bes. der Mönche, skizziert. Die Lebensbeschreibung - Steyrer stützt sich wieder auf die Bollandisten - ist eher nüchtern verfaßt mit den üblichen Stereotypen und kulminiert in einem Heilungswunder bei der Beerdigung des Seligen: "Gott selbst wollte durch ein augenscheinliches Wunderwerk zeigen, daß sein Diener Bernard sich schon würklich in der Gesellschaft der auserwählten Himmelsbürger befinde" (16). Die praktische Ausrichtung zeigt ein Gebetsanhang; auch hier hat sich Steyrer um die liturgische Feier des Seligen bemüht. Dazu gehört ein Reliquienerwerb (1777) und die im dokumentarischen Anhang mitgeteilte Erlaubnis Pius VI., das Fest in der ganzen Diözese Konstanz zu feiern ("sub ritu duplici majori" in St. Peter "sub ritu tamen semiduplici" ansonsten, "Contrariis quibuscumque non obstantibus". 33)

"Medullae", Sammlungen des "Marks" aus den gesammelten Werken großer Theologen, wie Steyrer dies schon bei Blosius getan und weiteren Manuskript gebliebenen Arbeiten ebenfalls durchgeführt hat, fallen ebenfalls in diese Zeit. Die Anthologien sind sehr gelungene Versuche, aus großen theologischen Werken Kernstellen für die Betrachtung herauszuziehen. Sie sind nicht so praktisch für den direkten Tagesgebrauch zugerichtet wie der erste Blosius-Band, aber in einander ähnlicher Weise systematisch geordnet.

Es handelt sich um die Medulla operum omnium Beati Petri Damiani und Medulla operum omnium Sancti Bernardi Abbatis primi Clarae-Vallensis. Die Wahl der Autoren ist wesentlich. Beide sind Nicht-Dialektiker und haben praktisch-reformerisch Großes geleistet. Auch in dieser Hinsicht konnte Steyrer in ihnen wohl Vorbilder sehen. Die Widmungen gelten dem Bischof von Konstanz und Abt Martin Gerbert. Steyrer beginnt immer mit dokumentierenden Teilen, sammelt "Elogia" - zu Petrus Damiani bis Baronius und Fleury, bei Bernhard sind sogar lobende Äußerungen von "Häretikern" (Luther, Bucer, Calvin...) angeführt. Bei den Texten stützt sich Steyrer auf die besten Editionen und schöpft bei Bernhard nur aus den authentischen Werken nach Mabillons Edition.

Der Aufbau des Materials geschieht im der Petrus-Damiani-Sammlung folgendermaßen: Liber I: De Christo, S. cruce, gratia S. Spiritus, B. V. Maria, et sanctis; Liber II: De Ecclesia catholica, et statu clericali; Liber III: De statu monastico; Liber IV: De vitiorum extirpatione; Liber V: De Virtutibus, et quatuor hominis novissimis; Appendix: Orationes aliquot, & Hymni B. Petri Damiani. In leichter Variation ist dies auch der Aufbau des Bernhard-Werkes. Die Auswahl-Bände setzen die Texte unmittelbar in die Gegenwart des Klosters des 18. Jahrhunderts um: "Status monasticus per Mariam, Martham & Lazarum mystice designatur" (Medulla Bernardi, 321) heißt etwa ein Kapitel: administratio, contemplatio, poenitentia sind die Themen; Sätze wie "Monachum facit professio, praelatum necessitas" (334) im Kapitel über den Abt sind sicher nicht nur historisch gedacht; eine Randmarginalie in der Medulla Damiani lautet: "Praelatus doctrinam suam proprio exemplo confirmare debet" (147). Für eine Untersuchung der Spiritualität Steyrers wären die Ausgaben gewissermaßen als Spiegelung des Eigenen in klassischen Texten heranzuziehen. Ein Durchgang wäre etwa auch im Blick auf die bevorzugten Heiligen interessant. In der Medulla Damiani - aus dem Werk eines römischen Kardinals! - sind die institutionell-kirchlichen bzw. römischen Aspekte hervorgehoben. Die Texte zum Mönchtum kann man allemal sehr "praktisch" verstehen, und dafür sind die Anthologien sicher auch zusammengestellt. Mit der heute unvermeidlichen historischen Distanzierung und dem dafür nötigen Maß theologischer Vorbildung sind sie immer noch als Meditationssammlungen verwendbar. Sie sagen jedenfalls viel über Steyrers Geistigkeit aus. Der Hinweis, daß die Bernhard-Sammlung in über 30 Jahren entstanden ist (Widmungsvorrede an Martin Gerbert), spricht ebenfalls dafür.

Gregorius des Großen zweites Buch der Dialoge veröffentlicht Steyrer als Vita S. Benedicti Abbatis, monachorum in Occidente patriarchae et legislatoris. Es lag Steyrer (u.a.) in der Ausgabe der Mauriner vor. Gewidmet ist die Ausgabe Pius VI. Die praefatio beschäftigt sich mit Gregor, verzeichnet die vorangehenden Editionen, sichert kritische die Autorschaft mit Mabillon und nennt "alii scriptores, qui de vita et gestis S. Benedicti tractarunt" (XIff.). Eigentümlicher sind die auch hier folgenden "Varia elogia, quae Deus Pater, Christus Dominus, Deipara Virgo, summi Pontifices, Cardinales, aliique Viri sanctitate et doctrina illustres S. Benedicto tribuerunt" (XIXff.). Das direkte Zeugnis Gottes [!] stammt aus den Visionen der Heiligen Hildegard, das marianische aus den Offenbarungen der heiligen Brigitta... Die Reihe reicht bis zu einem jesuitischen Autor. Nach einer Chronologie, mit der zugleich die Kapitel aufgeschlüsselt werden, folgt der Text "Fuit vir vitae venerabilis, gratia Benedictus et nomine, ab ipso suae pueritiae tempore cor gerens senile". Die Kommentierung beginnt beim Namen und dem Alterstopos. (Nomen hoc Benedictus, quod frequenter in S. Scriptura Deo tribuitur..., wozu zitiert wird: Quem Deus aeterna faciens de sede potentem, / Haeredem proprii nominis esse dedit. / Nam fuit, est, et erit Benedictus jure vocatus...; zum Alterstopos wird Tobias zitiert :...nihil tamen puerile gessit in opere Tob. 1,4). Die Kommentierung kann hier nicht verfolgt werden. Sie beginnt, wie gezeigt, mit Aussagen, die der Betrachtung dienen können, meditativ-symbolischen Auslegungen und enthält im weiteren das ganze Repertoire historischen Wissens, das Steyrer in breitem Maße zur Verfügung steht und das - wie sich an allen Beispielen, die wir heranziehen, zeigt - als die eigentliche fundamentale Ebene seiner Theologie anzusehen ist.

Am Ende des Buches steht ein Anhang mit dem Äbtekatalog von Monte Cassino (bis 1778). Es folgen Gedichte und Hymnen zu Benedikt und Scholastika, ein Officium de festo translationis S. Benedicti ex vetusto codice membraneo Ms. monasterii S. Petri in Silva nigra (405) und schließlich die Vita Benedicti abbatis ordine chronologica disposita, symbolisque, protypis, et epigrammatibus illustrata, die für die ikonographischen Aufträge Steyrers eine wichtige Quelle ist.

Den Übergang von den Heiligenviten zur Polemik könnte man mit Schriften über Franz von Assisi machen, doch kommen wir auf diesen Komplex noch zu sprechen.

2. Polemischen Schriften

"Eine ganz persönliche Note enthalten erst jene Schriften und Bücher, die im Abwehrkampf gegen die gefährliche Flut der Aufklärungsliteratur entstanden sind", schreibt F. Kern. Auch wenn man die Zielrichtung dieses Urteils versteht - die Aufklärungsbroschüren forderten Steyrer aufs Äußerste heraus, indem sie für ihn selbstverständliche theologische Positionen und institutionell-kirchliche Voraussetzungen seines Mönchsleben bestritten und ihn daher zu polemischen Gegenäußerungen reizten -, so wäre es doch eher umzudrehen: Sein "Herzblut" spürt man sicher stärker in den hagiographischen Arbeiten und - wenn auch durch fremde Texte gefiltert - in den geistlichen Anthologien. In ihnen konnte er positiv für seine Gestalt mönchischer Existenz werben und seine Konzeption einer christlichen Lebenswelt deutlich machen.

Eines aufrichtigen Katholiken Anmerkungen über des H. Priamus Sfontano menschenfreundliche Gedanken von der Unauflöslichkeit der Ordens-Gelübde, hießt die erste Schrift, in der sich Steyrer den für das klösterliche Leben bedrohlichen Tendenzen seiner Zeit stellt. Die Schrift hat ihren polemischen Ton: "Es kennet den Verfasser dieses Büchgens, da, wo er sich dermalen Aufhält, jedermann, er mag sich unter der Larve seines verkünstelten Namens verstecken, wie er will. Der Vogel verräth sich durch sein Gesang" (1), ist aber in vielen eine sorgfältige kanonistisch-theologisch argumentierende Untersuchung über Gelübde und die Reichweite kirchlicher Dispens im Falle der "feierlichen" Ordensgelübde. Darunter mischen sich historische Informationen, apologetische Ausführungen über Nutzen und Wert der Arbeit der Mönche. Das Werkchen schließt rhetorisch-paränetisch (96f.)...

Die Animadversiones in Aloysii Roneri dissertationem De exactionibus a monasteriis pro admissione ad religionem fieri solitis gehören in den gleichen Zusammenhang. In dem Bändchen geht es um die wirtschaftlich für die Klöster relevanten Fragen der Übernahme von Besitztümern auf der Aufnahme in den Mönchsstand, von Roner mit der Frage der Simonie gekoppelt und in einen Generalangriff auf das Mönchtum überhaupt eingebaut. Demgegenüber arbeitet Steyrer mit Traditionszeugnissen über Alter, Würde und Wert des Mönchtums ab Origenes, Tertullian usw. Eigentümlich ist die "positive" Art der Argumentation aus der Tradition gegenüber grundsätzlichen Bestreitungen des Sinns der Institution und ihrer Verwirklichung, also eben dieser Tradition. Manchmal hat dies eher etwas humoristischen Aklang, so wenn Steyrer eine reductio ad absurdum des Ronerschen Angriffs auf die jetzige Lebensweise der Mönche unter Verwendung von 2 Thess 3,10 ("Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen".) und der Angemessenheit des Lebens in der Einöde mit dem Hinweis versucht, daß es solch große Einöden für die jetzige Menge der Mönche gar nicht gebe; anderes zeugt von Unverständnis für die Art der Frage, so wenn dem Vorwurf, der Landbesitz der Klöster sei gewissermaßen durch Übertölpelung den Laien abgenommen worden, mit Hinweis auf die alten Besitszurkunden begegnet wird. Sachlich steht die Argumentation wiederum voll auf dem Boden des Traditionsarguments. Theologisch ist das Werklein nicht so gewichtig. Als Faktum zeigt es sowohl Steyrers Gespür für die anstehenden Bedrohungen als auch einen Mangel, die wirkliche Reichweite der Probleme abzuschätzen.

Honorius I. Pontifex Romanus ab haeresi Monothelitarum vindicatus, adversus R. P. Carolum M. Güntherodum Ord. Servor. B.M.V., auctore Candido Romano, ist ein rein apologetisches Werk und behandelt die strittige Frage, ob Papst Honorius I. zu Recht der Häresie des Monotheletismus bezichtigt und damit zu Recht durch das 3. Kontantinopolitanum 681 verurteilt worden ist. Die Frage hat beträchtliche Diskussionen hinsichtlich der Reichweite der päpstlichen Lehre von der Nachreformationszeit bis zum I. Vaticanum ausgelöst, zwischenzeitlich diverse apologetische Bemühungen - bis zur Fälschungshypothese - hervorgebracht. Steyrer ist historisch über den ganzen Komplex bestens informiert und informiert kenntnisreich über die Positionen. Er geht in folgenden Schritten vor: Zunächst wird untersucht, ob Honorius überhaupt auf dem Konzil verurteilt worden ist. Baronius, Pigge, Bellarmin werden dagegen zitiert (28). Steyrer läßt die Sache in der Schwebe (30). Unter Voraussetzung der Verurteilung ist die Frage, ob er zu Recht verurteilt wurde. Steyrer kennt wiederum alle Bejaher (die protestantischen Zenturiatoren, "viele Griechen" etc.), stellt sich aber schließlich auf die Seite Kard. C. Sfondratis OSB, den er zunächst nur neben moderateren Meinungen (M. Cano) zitiert. Die dritte Frage, ob er nicht von der Häresie freigesprochen werden kann, ist damit eigentlich überholt, aber Steyrer bringt auch hier noch reichlich Zeugnisse, die seine gute Kenntnis der zeitgenössischen historisch-systematischen Theologie zeigen (Noël Alexandre etc.). Die Arbeit hält die apologetische Maximalposition und ist so eher für Steyrers Bild der Institution des Papsttums von Interesse als für ihre Argumentation, die allerdings eine breite Kenntnis der Autoren zu dieser Frage bezeugt. In diesem Zusammenhang eines Angriffs auf einen wesentlichen Punkt der Legitimität der Institution "Papsttum" liegt auch wohl der Grund, weshalb sich Steyrer mit solchen Schriften literarisch befaßte.

Quantitativ am umfassendsten und wohl auch in der Radikalität der behandelten Positionen am gewichtigsten ist die Auseinandersetzung mit der Zeitschrift Der Freymüthige (Freiburg 1782-88). Schriftstellerisch fallen diese Bändchen, die seitenweise der Vorlage kommentierend folgen, dagegen eher ab. Sie lassen sich zu stark das Gesetz des Handelns vorgeben.

Die Herausgeber der Zeitschrift waren die Professoren Josef Anton Sauter und Matthias Dannenmayr, vor allem aber der jüngste von ihnen, Johann Kaspar Ruef, der schließlich allein übrig bleib, nachdem die Angriffe auf die Herausgeber heftig geworden und die zunächst geneigte Obrigkeit auch Bedenken bekommen hatte. Das Unternehmen des Freymüthigen konnte sich einerseits durch die josephinistische Kirchenpolitik ermutigt oder gedeckt fühlen - und erhielt zunächst auch eine einschlägige Belobigung -, war anderseits inhaltlich stark von der gleichzeitigen europäischen und vor allem protestantisch-norddeutschen Aufklärung abhängig. Die Positionen Ruefs waren durchaus radikal in Richtung einer natürlichen Vernunftreligion und dementsprechend kritisch gegenüber positiv-institutionellem Christentum, extrem gegenüber der mönchischen Lebensform. Und hier mußte Steyrer sich zur Antwort gezwungen sehen. Absichten und Ausführungen Ruefs können hier nicht differenzierter dargestellt werden. Es sollen im folgenden nur einige von Steyrer herausgegriffene Themen repräsentativ skizziert werden.

Steyrer versucht eine Beweisführung aus der Tradition für die alten Rechte des Mönchtums: "Der Mönchsstand hat seinen Grund nicht in der Philosophie einiger neuen theils halb - theils ganz unglaubigen Philosophen, sondern in dem heiligen Evangelium, und folglich auch in der gesunden Vernunft, wie schon durch viele Jahrhunderte die ganze katholische Kirche und alle heilige Väter erkannt, und die gelehrtesten Männer, als Coccius, Bellarmin, Beyerlink und viele andere sattsam bewiesen haben. Die freymüthigen Gesellen kommen also mit ihrer Untersuchung viel zu spät" (I/6).

Großen Wert legt er auf die Zurückweisung der Kritik an Heiligenlegenden und -verehrung. "Es haben aber erstlich Surius, hernach die Bollandisten, die Benedictiner aus der Congregation des heiligen Maurus, und andere gelehrte Männer die Lebensbeschreibungen der Heiligen durch Herausgebung der ersten Verfasser, und ihre Anmerkungen in ein solches Licht gesetzt, daß man an der Wahrheit derselben heut zu Tage nicht leicht mehr zweifeln kann" (I/190).

Erstaunlich bleibt, dabei wie weit Steyrer in seiner Apologie geht, - ein Beispiel dafür, daß man vorsichtig mit Vokabeln wie "Volksfrömmigkeit" sein muß. Steyrers "populäre" Schriften sind keine Anpassung an Volksmeinungen. So verteidigt er wie in seiner verschollenen Disquisitio zu dieser Frage auch hier, daß Christus die Stigmata St. Franz in der Gestalt "eines geflügelten und gekreüzigten Seraphs" beigebracht habe (I, 47) und argumentiert äußerst sophistisch gegen Ruefs Anekedotenkritik. Nur um zu zeigen, daß Wissen um das historische Handwerk, Kenntnis von Quellen und Quellenkritik durchaus mit der Bereitschaft zusammengehen kann, übernatürliche Direkteingriffe in erstaunlich realistischer Weise anzunehmen, sei auf die Legende der Weihe der Kapelle in Einsiedeln durch Christus selbst verwiesen, - für Ruef ein mönchischer Trick, gläubige Pilger auszunehmen.... Die Entgegnung zu Angriffen auf den Mönchsstand gerät häufig zur reinen Polemik: "Könnte wohl ein Wiclef, ein Huß, ein Luther die Ordensgeistlichen greulicher lästern, als hier die freymüthigen Gesellen; und zwar nach ihrer Gewohnheit ohne allen Beweis. Voltaire nämlich, und seine Schüler halten alles für Aberlauben, was nicht mit ihrer neuen Philosophie übereinstimmet" (I, 49).

Reichhaltig ließen sich Zeugnisse aus der Polemik über die Gestaltung des religiös-liturgischen Lebens anführen. Gegen die Angriffe der "Freimütigen" aus einem etwas faden Nützlichkeitsdenken heraus und einem akkomodistischen Verständnis der Liturgie setzt Steyrer 1. mit Trient die dogmatische Formel entgegen (I, 212: "... daß nämlich das Sacrament ein sichtbares Zeichen der unsichtbaren Gnade sey..."), 2. die pragmatische Argumentation: "Diese Nothwendigkeit der Ceremonien erkannte auch gar wohl der heilige Augustin, da er sagte, ohne diese könne keine Religion lange Zeit bestehen" (I, 216), 3. den Appel: "Gut katholische Christen aber lassen sich durch dergleichen Spöttereyen nicht irre machen, sondern tragen die größte Ehrerbietung gegen diese Ceremonien, weil sie aus den Predigten, aus den christlichen Lehren und aus ihren Gebethbüchern gar wohl wisen, was sie bedeüten; und obwohl die meisten der lateinischen Sprache unerfahren sind, so ersetzen sie diesen Abgang durch eine gute Meynung und andächtiges Gebeth..." (I, 92) und 4. wiederum das kirchliche Traditionszeugnis, diesmal das Anathem: "Den hoffärtigen Spöttern hingegen sage ich noch einmal, was ich ihnen schon im ersten Theile mit den Worten der heiligen trientischen Kirchenversammlung gesagt habe..." (I, 92)", bei maßvoll-aufgeklärtem Verständnis für eine gesunde Kritik der Formen.

Es ließe sich vieles weiter reihen: Gelübde, Stipendien, Zölibat, Ehrentitel der Päpste, Grobianismen Luthers, die Ohrenbeichte usw. Die Argumentationsstruktur würde dadurch nicht anders. Auf die zugrundeliegende theologogische Konzeption - wie sie im dritten Heft etwas grundlegender angesprochen wird - soll noch im Schlußteil eingegangen werden.

Die Reihe der polemischen Schriften und der gedruckten Werke überhaupt schließt mit der Arbeit über Zölibat und Konkubinat, genauer: Frage, ob die heimliche Priesterehe bis zur Aufhebung des Cälibats gültig sey? Beantwortet von Pistabo. Sie erinnert an die Schrift über die Ordensgelübde von 1771, hat sachlich aber eine verschärfte Fragestellung, da es hier um eine naturrechtliche Argumentation geht, die grundsätzlicheren Charakter hat. Steyrer stützt sich hier vor allem auf Abt A. Desing (1699-1772). Die Polemik gegen das Naturrecht zeigt aber deutlich die theologische Intention, auf die noch einzugehen sein wird: "Nichts höret und liest man heüt zu Tage von den Feinden unsrer heiligen Religion und des Cälibats öfters als: Menschheit, Vernunft und Naturrecht; es ist aber unter diesen Worten ganz was anders verborgen, als sie anzudeüten scheinen; unter der Menschheit nämlich die verkehrte, zum Bösen geneigte menschliche Natur und fleischliche Begierlichkeit, von welcher der heil. Johannes redet; (... 1. Joan. 2. v. 16) Unter der Vernunft der schwache menschliche Verstand, welcher die Offenbarungen Gottes, und die Lehre seiner Kirche verachtet, und alles besser wissen will; so die größte Unvernunft und Vermessenheit ist; und endlich unter dem Naturrechte jener natürliche Trieb, der auch allen unvernünftigen Thieren gemein ist, wie der heydnische Rechtlehrer Ulpian redet. (...) Welche Meynung auch unser Verfasser mit dem Spinosa, Hobbes, und andern Irrlehrern anstatt des wahren Naturrechtes anzunehmen scheint" (19f.).

Die einzelnen Gegenargumentationen sind für uns weniger von Interesse. Sie diskutieren historische Fälle (das Vorleben Pius II.), exegetisch die urkichliche Situation 1 Tim. 3,2 uam. Als gewissermaßen letztes öffentliches Wort Steyrers ist der Schluß der Schrift gleichzeitig ein Zeugnis für die aporetische Situation in der dieser doch bedeutende Abt an seinem Lebensende stand: "Diese erzfreche, und Majestätsbeleidigende Erklärung des Verfassers verdienet etwas mehrers, als nur meine schriftliche Privatwiderlegung. Ich überlasse daher das Urtheil jenem grossen Monarchen, in dessen Residenzstadt er dieses (ich weiß nicht mit oder ohne Censur) schrieb und drucken ließ. Unser Wiener plaudert zwar nach diesem noch vieles daher. Weil aber alles dieses theils schon widerlegt worden, theils keiner Antwort werth ist; so mache ich hier meinem zweytehn Theile der Widerlegung ein schon lang gewünschtes Ende" (136).

3. Die theologische Absicht Steyrers

Als Verwaltungsmann und Organisator, als Förderer von Kunst und Wissenschaft, auch in seinen quellenkundlichen Arbeiten macht Steyrer einen "modernen" Eindruck, zu dem aus heutiger Sicht die Argumentationen in seinen Polemiken gegen das Aufklärungsschrifttum nicht so leicht zu passen scheinen. Man wird ihm wohl nur gerecht, wenn man sich die epochale Wende verdeutlicht, in der sich die damalige Theologie befindet. Steyrer steht dabei in vielem noch im 17. Jahrhundert. Die Umbrüche in der historischen Kritik hat er noch nicht aufgenommen. In der Philosophie steht er in reiner Abwehr nicht nur gegen Spinoza, Hobbes, Helvetius oder Voltaire (III, 16) - die er immerhin sachlich wahrgenommen hat! -, sondern auch zur gemäßigten Aufklärung Wolffs (I, 78).

Zu einer anscheinend positiven Bestimmung der Vernunft wird Steyrer in Auseinandersetzung mit der Naturrechtslehre gezwungen: "Das Licht der Vernunft ist nichts anders, als eine Kraft, die Gott dem Verstande des Menschen eingeflösset hat, alles zu erkennen, was zur Erlangung seiner ewigen Glückseligkeit nöthig ist. Dieses Licht der Vernunft zeiget dem Menschen, wie er das Gute von dem Bösen unterscheiden müsse. Es lehret ihn, daß nur ein Gott sey, der Himmel und Erde erschaffen hat; es lehret ihn, daß er diesen Gott über alles lieben, ihm allein dienen, ihn allein anbethen, und nicht nur im Herzen, sondern auch durch äusserliche Zeichen verehren, und seinen heiligsten Namen nicht entunehren solle. Es zeiget ihm auch die Schuldigkeit seinen Nebenmenschen wie sich selbsten zu lieben, folglich seine Aeltern in Ehren zu halten, keinen ungerechter Weise zu tödten, die Ehe nicht einmal durch böse Begierden zu brechen, oder andere Sünden wider die Keüschheit zu begehen, nicht zu stehlen, kein falsches Zeügniß zu geben, und kein fremdes Gut zu begehren".

Auch wenn der Dekalog hier durchklingt und wenn der Passus material nicht so fern von den Prinzipien einer "natürlichen Religion" der Frühaufklärung entfernt zu sein scheint, so ist der theologische Hintergrund doch ein anderer: Es ist letztlich die Vernunft in der Reinheit des Urstandes angezielt. Das zeigt die Begründung der Notwendigkeit der Offenbarung durch die Selbstschwächung der Vernunft "durch die Abgötterey und andere viele Laster". Deshalb mußte Moses den Dekalog aufschreiben: die positive Religion als als Erzieherin des Menschengeschlechts. "Endlich erschien der göttliche Gesetzgeber Christus Jesus selbst auf der Welt, welcher nicht nur das Gesetz der Natur erneüerte und bestätigte, sondern noch viele andere Wahrheiten offenbarte, die vorhin der Welt ganz unbekannt waren", womit ein Außervernünftiges, nur durch Tradition vermittelbares gesetzt wird. Der in der neuzeitlichen Theologie herausgebildete Extrinsezismus wird hier problematisch deutlich. Entsprechend ist die Selbstgenügsamkeit der Vernunft nicht mehr möglich. Es fehlt völlig der im Augustinismus etwa Pascals vermittelnde Gedanke der Selbstbeschränkung der Vernunft, die sie positiv auf Übervernünftiges beziehen könnte.

Die Polemik gegen die Schriften Spinozas, Hobbes und Helvétius leidet wiederum an diesem extrinsezistischen Modell: "Nein, die Schrift widerspricht der Vernunft niemals; öfters aber widerspricht die schwache menschliche Vernunft der Schrift, wenn diese hohe und ihr unbegreifliche Glaubens- und Sittenlehren vorträgt". Das Recht der Vernunft in Religionsdingen liegt nur auf dem Weg zur Konversion: "Heyden, Juden und alle, die entweder gar keine, oder eine falsche Religion haben, sind schuldig nachzuforschen, welche Religion die wahre sey? Wenn sie aber dieselbe einmal angenommen haben, weil sie von ihrer Wahrheit überzeüget sind, so dörfen sie die göttlichen Offenbarungen in der heil. Schrift nicht mehr prüfen, ob sie mit ihrer Vernunft übereinstimmen, ob sie wahr oder falsch seyn, sondern müssen dieselben nach der katholischen Kirche unbetrüglichen Auslegung als unfehlbare Wahrheiten erkennen und annehmen". Oder anschaulicher: "Zween Zäune müssen den menschlichen Verstand in gebührenden schranken halten, saget der berühmte Muratorius, die heilige Schrift nämlich, und das Ansehen so wohl als die unfehlbare Lehre der katholischen oder wahren Kirche".

Hier liegt wohl das eigentliche systematische Problem der theologischen Ansichten Steyrers. Die in dem Rahmen angesiedelten kurios wirkenden Einzelheiten sind dagegen eher zufällig. Etwas "kritischere" historische Kritik würde nichts ändern. Es ist eine Parallele zur Problematik auf politischem Gebiet, wo die Argumentation durch Aufweis von noch etwas mehr "Nützlichkeit" der Orden für den Staat und die Gesellschaft die grundlegende Krise der Strukturen auch nicht hätte überspielen können.

Will man Steyrer verstehen, so muß man wohl einen Schritt zurückgehen. Zum einen ordnet er die Theologie wohl letztlich den historischen Disziplinen zu, auch wenn er dies nicht so audrücklich methodologisch reflektiert wie hundert Jahre früher B. Pascal und sich klarmachen, daß der Geschichtsrahmen für ihn noch mit der Tradition bis Bossuet der biblische ist. Er zitiert Petrus Damiani sicher nicht nur "erbaulich": "Antiquus hostis per lignum primum hominem vicerat, omnemque illius progeniem per quinque millia fere annorum [!], tamquam servum sub jugo suae tyrannidis opprimebat". In einem so überschaubaren, wenige tausend Jahre umfassenden Geschichtsrahmen gewinnt die historische Bezeugung eine andere Bedeutung als in einem astronomisch gedehnten quasi unendlichen Kosmos. Es dürfte ähnlich wie bei Pascal sein, der diese Problematik hundert Jahre früher durchdacht hat und die Glaubwürdigkeit des Christentums durch Zeugenketten praktisch bis zum Anfang der Welt erweisen wollte. Steyrer wird man formal nicht so scharf festlegen können. In seinen faktischen Argumentationen geht er aber von einem ähnlichen Modell aus. Seine Schriftstellerei dient wesentlich der Darstellung solcher Zeugen des Christlichen. Hierbei wendet er durchaus moderne Methoden historischer Forschung an, die ja durch die Mauriner, Bollandisten und ihre Nachfolger wie z.B. die St. Blasianer Wissenschaftler methodisch gekonnt gehandhabt wurden.

Wenn nun für den heutigen Betrachter der Stellenwert des Wunders verblüffend ist, so könnte man wiederum Pascal vergleichen, in dessen apologetischer Argumentation bzw. in dessen spirituellem Weg ja ebenfalls das - bzw. ein - Wunder einen hohen Stellenwert hatte. Daß Steyrer sich bis zu einer extremen Wundergläubigkeit steigern kann, ist nur im Gesamtrahmen seines Weltbildes verständlich.

Die formalen Strukturen seiner Argumentation ensprechen dem. Die Argumentation in den Polemiken ist weitgehend autoritär: sie legt Quellenzeugnisse vor und stützt sich auf deren Autorität. Das ist dort sachentsprechend, wo aus Quelleninterpretationen zu argumentieren ist - abgesehen von der jeweiligen Richtigkeit der Argumentation, die bei Steyrer häufig stark apologetisch ist, wie etwa in der Honoriusfrage oder bei der Geschichte des Zölibats. Es wird dort höchst problematisch, wo gerade die Autorität dieser Zeugnisse in Frage steht wie in der Polemik mit Ruef. Es fehlt hier sozusagen die fundamentaltheologische Ebene, die nötig wäre, um die Quellenautorität abzusichern. Dem aufklärerischen Vernunftpathos kann er nur mit eklektischen Ausführungen begegnen.

Dadurch daß die Glaubensautorität sich auf Tradition stützt, wird sie in einen direkten Gegensatz zur Vernunft gesetzt, die als Privatmeinung angesehen und theologisch als "protestantisch" klassifiziert wird: "In Zweifel ziehen oder erst untersuchen wollen, ob man thun müsse, was die Kirche in der ganzen Welt thut, ist die größte Unsinnigkeit. S. Augustinus E. 118".

Man kann eine echte Tragik in dieser Spannung im Wirken des bedeutenden Abtes sehen, eine Tragik, die er freilich nicht mehr voll austragen mußte, sondern die erst seinen Nachfolger traf. Manche der Spaltungen waren damals sachlich und persönlich bereits Historie, schärfere Frontstellungen hatten Gegner wieder in die Nähe gerückt. Insgesamt war der Untergang des im 18. Jh. nochmals so machtvoll erneuerten Ordenslebens aber nicht mehr aufzuhalten. Die Zwiespältigkeiten der Theologie Steyrers sind dafür sicher nicht maßgeblich, wohl aber bilden sie ein Element in dieser spannungsvollen Synthese, das nach einer neuen Grundlegung und Vermittlung verlangte.

 

Zuerst erschienen in: Unfreiwillige Förderung : Abt Phililpp Jakob Steyrer und die Universitätsbibliothek Freiburg / Albert Raffelt (Hrsg.). Freiburg : Universitätsbibliothek, 1995 (Schriften der Universitätsbibliothek Freiburg i. Br. / Hrsg. von Bärbel Schubel ; 19), S. 54-77