§ 3. Die durchgehaltene Verzweiflung als Entwurf möglicher Offenbarung

Was bedeutet dies nun aber, daß der Mensch, wenn er sich und seine Welt wahrhaft erfaßt, sich zur Verzweiflung bestimmt sieht? Es kann nicht heißen, daß er sich von Gott ab- und nur noch Endlichem zuzukehren hat - mit Gott und seiner eigenen absoluten Bestimmung wird er auf diese Weise nicht fertig. Noch weniger, daß er als letzte Konsequenz allem ein Ende setzen könnte, indem er seinem eigenen Leben ein Ende macht. Dieser letzte Wille zu einer absoluten Selbstverfügung, der nur aus der vorgängigen, sich gewährenden Offenheit des Absolutheit entspringen kann, widerspricht am tiefsten dieser ursprünglichen Offenheit.

Die Verzweiflung liegt darin, daß der Mensch die absolute Vollendung seiner selbst und der Welt als seine Bestimmung bejahen muß. Als seine Bestimmung kann er sie nur als Akt seiner Freiheit erwarten, und das heißt, er muß sich entschlossen zu ihr hin auf den Weg machen. Alles, zu dem er sich entschließen kann, ist aber nur endliches Werk und durch dieses kann er niemals das Absolute erstellen. Er muß sich also zu etwas auf den Weg machen, was nur als Werk der Freiheit Gottes erwartet werden kann. Er kann nur, an den Möglichkeiten seines Handelns verzweifelnd - ohne sein Handeln ablegen zu können und zu dürfen, denn die Vollendung muß Akt seiner eigenen Freiheit sein -, auf ein weiteres Wort Gottes harren, das ihm nicht nur für einen Augenblick, sondern endgültig Heil zuspricht.

Immer wieder wird er aus diesem Harren fliehen, um der Verzweiflung zu entgehen - und ein Blitzstrahl der Schönheit, ein Lied und Kinderlächeln wird ihn in das Harren auf jene Vollendung zurückrufen, die die Huld sich gewährender Freiheit ist, und tiefer in die Verzweiflung, weil Schönheit, Lied und Lächeln vergehen.

Das verzweifelnde Harren wird dort an sein Ende, in die verzweifelte Hoffnung gelangen, wo der Tod das letzte Wort über die Möglichkeiten des Menschen offenbart, ohne seine absolute Bestimmung zurückzunehmen. Hier gibt es als letzte und höchste Möglichkeit für den Menschen, dem Gott nicht endgültig sein Heil zugesprochen hat, nur jenen Schrei, der die ganze Wahrheit über ihn und die Welt zusammenfaßt: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

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Wo die Verzweiflung nicht durchgehalten wird - wo entweder Gott verkürzt wird zu einem solchen, der den Menschen nicht verlassen kann, oder die Verlassenheit des Menschen zu einer solchen, die nicht Gottverlassenheit ist -, mag es zwar den Entwurf mannigfacher Heilssurrogate geben, aber keine Offenheit auf jene Offenbarung, in der Jesus Christus die Antwort ist.

Von hierher wird schließlich der Sinn unserer Untersuchung deutlich. Der Aufweis der Möglichkeit von Offenbarung kann immer nur die transzendentale Offenheit der menschlichen Freiheit auf den geschichtlich begegnenden Gott im Blick haben, jene Offenheit, welche die notwendige Möglichkeitsbedingung auch der faktischen Verdeckung der Offenheit selbst ist. Die faktische Verdeckung der Offenheit auf Offenbarung kann dabei so universal sein, daß erst dort die Möglichkeit von Offenbarung ins wissende Bewußtsein tritt, wo die Offenbarung Wirklichkeit wird; konkret: die Verzweiflung als Entwurf möglicher Offenbarung wird faktisch erst dort als Bestimmung der menschlichen Freiheit erkannt, wo Jesus Christus als die Antwort auf diese Verzweiflung angenommen ist.


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