Büchernachlass Gertrud Luckner

Die Bestände der Privatbibliothek von Gertrud Luckner verteilen sich auf die UB, die Caritas-Bibliothek und die Bibliothek der Gertrud-Luckner-Gewerbeschule. In einem gemeinsamen Nachlasskatalog wurden diese Bestände virtuell zusammengeführt und recherchierbar gemacht.

Einführung

Der Buchnachlass von Gertrud Luckner ist in seiner Bedeutung nur verständlich, wenn man um Ihre Person und Ihr Wirken weiß. Von daher lassen sich die Bestandsschwerpunkte erläutern.

Gertrud Luckner wurde am 25. September 1900 in Liverpool geboren. Ihre ersten sechs Lebensjahre verbrachte sie in England. In Deutschland besuchte sie das Lyzeum in Berlin und Potsdam, lebte im Ersten Weltkrieg in Ostpreußen, musste sich aus diesem und aus Krankheitsgründen privat weiter für die Reifeprüfung vorbereiten, die sie als „Externe“ 1925 in Königsberg ablegte. Der Lebenslauf im „Freiburger Rundbrief“ (12. Folge, 1959/60, Nr. 49: Sonderausgabe zum 60. Geburtstag von Dr. Gertrud Luckner, S. 29), dem wir in unseren Angaben folgen, schreibt weiter: „Schon vorher erteilte sie Privatunterricht in verschiedenen Schulfächern und arbeitete auch als Praktikantin in der städtischen Familienfürsorge und in der Berufsberatung in Königsberg. Nach dem Abitur studierte sie Volkswirtschaft, vornehmlich Sozialwissenschaften, an der Universität Königsberg, im Quäkercollege für religiöse und soziale Arbeit Woodbrooke bei Birmingham (mit einem Praktikum in der sozialen Krankenfürsorge im General Hospital Birmingham), an der Universität Frankfurt a. M. und an dem der Universität angeschlossenen Fürsorgeseminar bei Professor Klumker. Sie erwarb den Diplom-Volkswirt (sozialer Richtung) an der Frankfurter Universität und promovierte 1938 in Freiburg i. Br. bei Prof Dr. Bernhard Pfister ... (Korreferent war Prof. Dr. Walter Eucken) zum Dr. rer. pol. mit einer Dissertation über »Die Selbsthilfe der Arbeitslosen in England und Wales - auf Grund der englischen Wirtschafts- und Ideengeschichte«.“ Dass sie 1936 in den Dienst des Deutschen Caritasverbandes trat, war bei dieser Vorbildung nicht verwunderlich. Seit 1938 war sie hauptamtlich dort tätig.

Die bislang wiedergegebenen Daten zeichnen das Bild einer sehr selbständigen, engagierten Frau, die konsequent ihren ungewöhnlichen Weg, gegangen ist. Die folgende Periode verlangte freilich noch mehr von ihr. Und es ist ihr großes Verdienst, dass sie die Aufgabe, die sich ihr stellte, angenommen und im wörtlichen Sinne als Lebensaufgabe wahrgenommen hat. »Lebensaufgabe« auch in dem Sinn, dass wirklich der volle Einsatz ihres Lebens gefordert war.

Der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber beauftragte Gertrud Luckner nämlich mit der Hilfe für die vom Nationalsozialismus Verfolgten. Insbesondere galt dies den jüdischen Verfolgten. Der genannte Lebenslauf schreibt, dass sie bereits 1933 aus eigener Initiative hiermit begonnen hat - wesentlich weitsichtiger als der Erzbischof, der dann später aber auch Verdienste in dieser Hinsicht aufzuweisen hat: vor allem eben durch Personen wie Gertrud Luckner! Wir zitieren nochmals: „Es gelang ihr, viele Verfolgte in das Ausland zu vermitteln oder selber hinüberzubringen und sich innerhalb der Grenzen des damaligen Deutschen Reiches den Zugang zu den Ghettos und Sammellagern der Verfolgten zu verschaffen. Auf einer ihrer zahllosen Dienstreisen, die sie, wie so oft, wieder nach Berlin führen sollte, wurde sie am 24. März 1943 aus dem Zug heraus von der Gestapo verhaftet. Nach neun Wochen fast ununterbrochener Verhöre und einigen weiteren Monaten Gestapohaft, wurde sie in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert, jeden Tag des Todes gewärtig. Nach ihrer Befreiung am 3. Mai 1945 ging sie - obgleich gesundheitlich schwer geschädigt! - alsbald daran, die Abteilung Verfolgtenfürsorge im Freiburger Werthmannhaus von neuem aufzubauen. Seitdem ist sie unermüdlich bemüht, den Opfern des Nationalsozialismus zur Seite zu stehen und zwischen Juden und Christen Kontakte zu schaffen".

Diese Arbeit ist vor allem dokumentiert in einer Zeitschrift, dem Freiburger Rundbrief : Beiträge zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk im Geiste beider Testamente (1947-1986). Die Machart dieser Zeitschrift war (auch wenn man die schlechteren technischen und sonstigen Möglichkeiten zumindest der ersten Jahre seines Erscheinens ansieht) alles andere als verlegerisch „professionell". Aber vielleicht ist dieses Zurückstellen (auch wichtiger) äußerer Dinge zugunsten der Sache auch ein liebenswertes Kennzeichen dieser Arbeit.

Dass jüdische Autoren überhaupt für ein solche Zeitschrift gewonnen werden konnten, Verbindungen und Freundschaften entstanden, all das ist beileibe nicht selbstverständlich. Der Rundbrief ist eine Quelle für die Geschichte des deutsch-jüdischen und christlich-jüdischen Verhältnisses nach dem Zweiten Weltkrieg, die derzeit sicher noch nicht voll ausgewertet ist. Es existiert ein Index, der dazu hilfreich sein kann.

Es kann hier nicht weiter das Lebenswerk Gertrud Luckners nachgezeichnet werden. Es wäre z. B. von Ehrungen zu berichten - durch den Staat Israel, die Bundesrepublik Deutschland, die Stadt Freiburg usw. Im genannten „Luckner-Band" des Freiburger Rundbriefs kann man die Gratulationsliste zum 60. Geburtstag - beginnend mit Konrad Adenauer - ansehen. In dem seit 1993 in Neuer Folge erscheinenden, nun äußerlich wie redaktionell professionell und angemessen gestalteten Freiburger Rundbrief : Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung (Schriftleitung 1993-1996: Ursula Blum), schreibt der neue Herausgeber Clemens Thoma einen kurzen Nachruf auf die am 31. August 1995 fast fünfundneunzigjährig verstorbene Gertrud Luckner. Dort findet sich auch die Predigt des Erzbischofs von Freiburg beim Requiem (Heft 1, 1996).

Der Büchernachlass ist nun infolge einer testamentarischen Verfügung in die Universitätsbibliothek gelangt. Auch wenn Frau Luckner in ihrer Wohnung im Altersheim gar nicht mehr die Möglichkeit hatte, eine besonders große Bibliothek aufzubewahren und zwischenzeitlich schon abgeben und aussondern musste, so sind doch überraschend viele Meter an Literatur vorhanden gewesen. Der Schwerpunkt ergibt sich leicht: Judentum, Staat Israel, Verhältnis Deutschland/Israel und Deutsche Juden, dabei wieder mit Schwerpunkten in der schrecklichen jüngeren Vergangenheit. Es finden sich die großen Namen des Judentums in diesem Jahrhundert, Leo Baeck, Martin Buber, Franz Rosenzweig...; Gestalten, die in dieser Tradition eigenständig weitergearbeitet haben wie Hermann Levin Goldschmidt in Zürich, Theologen und Kirchenmänner, die im Dialog tätig waren (Mgr. Oesterreicher, Kardinal Bea), jüdische Dichter wie Nelly Sachs und viele andere mehr. Selbstverständlich hatte die Universitätsbibliothek in diesem Bereich keinen unbedeutenden Bestand. So musste sorgfältig geprüft werden. Allerdings ergab die elektronische Überprüfung von Leihfrequenzen, dass diese Literatur durchaus ausleihintensiv ist und sich in vielen Fällen Dubletten schon aus quantitativen Gründen lohnen.

Andere Teile des Bestands gehören zu eigenen christlichen Tradition: Reinhold Schneider ist vielfach vertreten, auch im Kriegsausgaben, die in der Universitätsbibliothek bislang z.T. nur unter Rara vorhanden waren; einiges mit Widmungen an "Fräulein Luckner" (es finden sich natürlich viele andere Widmungsexmplare...). Den theologischen Aufbruch vor und im Zweiten Vaticanum hat Frau Luckner verfolgt, usw.

Das Akten- und Archivmaterial des Nachlasses ist - wie auch schon Bestände aus früheren Abgaben von Frau Luckner - in der Bibliothek des Deutschen Caritasverbandes in Freiburg. - Die Universitätsbibliothek Freiburg ist mit dieser Sammlung dem Gedenken an eine große Persönlichkeit verpflichtet.

Albert Raffelt

Das Exlibris

Für den von der Universitätsbibliothek übernommenen Teil des Büchernachlasses von Dr. Gertrud Luckner wurde 1997 ein Exlibris entworfen, um die einzelnen Bücher konkret und augenfällig diesem Vermächtnis zuzuordnen. Die textgeprägte Gestaltung des Exlibris greift auf das alttestamentarische Buch der Psalmen zurück und rückt dabei Psalm 125 Vers 5 – somit den Wunsch des Psalmisten um Frieden für Israel – ins Zentrum der Aussage, um auf diese Weise einen das Lebenswerk Gertrud Luckners bestimmenden Impuls zu verbildlichen.

Psalm 125

Gott, der Beschützer seines Volkes

1 [Ein Wallfahrtslied.] Wer auf den Herrn vertraut, steht fest wie der Zionsberg, der niemals wankt, der ewig bleibt.
2 Wie Berge Jerusalem rings umgeben, so ist der Herr um sein Volk von nun an auf ewig.
3 Das Zepter des Frevlers soll nicht auf dem Erbland der Gerechten lasten, damit die Hand der Gerechten nicht nach Unrecht greift.
4 Herr, tu Gutes den Guten, den Menschen mit redlichem Herzen!
5 Doch wer auf krumme Wege abbiegt, den jage, Herr, samt den Frevlern davon! Frieden über Israel!

Eindeutschung: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Mit dem Wunsch des Psalmisten um Frieden für Israel ist das Exlibris gestaltet, das die Bände aus dem Nachlass von Gertrud Luckner kennzeichnet, die in der Universitätsbibliothek Freiburg verwahrt werden.

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