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Les enfants sauvages,
les enfants sages

Sprache und Gesellschaft in Frankreich um 1800

9. Januar bis 6. Februar 2003
Mo - Fr 8 - 20 Uhr; Sa 10 - 18 Uhr
Universitätsbibliothek Freiburg | Werthmannplatz 2
im Ausstellungsraum der UB im 2. OG
Eintritt frei

Veranstalter:
Frankreich-Zentrum und Romanisches Seminar in Zusammenarbeit mit dem
Centre Culturel Français Freiburg und dem Kommunalen Kino

Allgemeines

 

Rahmenprogramm
  Informationen zur Ausstellung

Plakat zur Ausstellung


Allgemeines:

Vom 9. Januar bis zum 6. Februar 2003 wird im Ausstellungsraum der Freiburger Universitätsbibliothek die Ausstellung "Les enfants sauvages - Les enfants sages. Langue et société en France autour de 1800 / Die wilden und die wohlerzogenen Kinder. Sprache und Gesellschaft in Frankreich um 1800" zu sehen sein. Diese Ausstellung über das Sprachdenken im Umfeld der Französischen Revolution war vor zwei Jahren im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Tübingen konzipiert worden (siehe w.u. "Informationen zur Ausstellung"). Ein Rahmenprogramm mit verschiedenen Vorträgen begleitet die Ausstellung.

Ein Begleitheft zur Ausstellung kann gegen eine Schutzgebühr von 1 € an der Leihstelle der UB oder im Romanischen Seminar, KG I, Raum 1387 (Frau Junker-Lemm, Mo-Fr 8-12 Uhr) erworben werden.


Rahmenprogramm:

9. Januar, 18 Uhr c.t., Ausstellungsraum der UB Freiburg: Eröffnung

Begrüßung: Prof. Dr. Johannes Kabatek, Romanisches Seminar der Universität Freiburg
Einführung in die Ausstellung: Ilona Pabst M.A., Universität Tübingen
Vortrag von Prof. Dr. Jürgen Trabant (FU Berlin): Sprache - Denken - Revolution

23. Januar, 18 Uhr c.t., Ausstellungsraum der UB Freiburg:

Vortrag von Ilona Pabst M.A., Universität Tübingen: Sprach-Vandalismus. Die Französische Revolution und ihre Wörterbücher

31.Januar 19.30 Uhr, Kommunales Kino (im Rahmen der Truffaut-Retrospektive)

Vortrag von Robert Fischer, München: Truffaut: L'enfant sauvage
Anschließend Vorführung des Filmes

6. Februar, 18 Uhr c.t., Ausstellungsraum der UB Freiburg:

Finissage
Vortrag von Prof. Dr. Wulf Oesterreicher, Universität München: Die Sprachreflexion der französischen Ideologen und die Sprachwissenschaft heute

Informationen zur Ausstellung:

Zum Projekt, das der Ausstellung zugrunde liegt.

Seit Oktober 1997 wurde am Romanischen Seminar der Universität Tübingen unter der Leitung von Prof. Dr. Brigitte Schlieben-Lange und der Mitarbeit von Jochen Hafner, Ilona Pabst und Uwe Reutter ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt durchgeführt, das die Arbeiten der Ideologen und der Grammaire Générale-Lehrer untersuchte. Nach dem Tod von Frau Schlieben-Lange am 14. September 2000 haben Prof. Dr. Peter Koch und Ilona Pabst M.A. die kommissarische Leitung des Projekts übernommen. Ziel des Forschungsprojekts war und ist es, die Etablierung des Schulfachs Grammaire Générale möglichst detailliert und auf einer sehr breiten Quellenbasis zu dokumentieren (wer waren die Lehrer? wie wurde der Unterricht konzipiert? welche Texte wurden bearbeitet? wie verlief der Unterricht?). Die Ergebnisse des Projekts werden 2005 in Form eines Lexikons (hg. von Ilona Pabst und Jochen Hafner) mit dem Titel Idéologie - Grammaire Générale - Écoles Centrales vorgelegt. Unter diesem Titel fand im März des vergangenen Jahres ein internationales Kolloquium in Tübingen statt, an dem renommierte Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, den USA und Kanada teilnahmen. Begleitet wurde dieses Kolloquium von der Ausstellung Les enfants sauvages - Les enfants sages. Sprache und Gesellschaft in Frankreich um 1800. Beide Veranstaltungen waren dem Andenken an Brigitte Schlieben-Lange gewidmet.

Stichpunkte zum Gegenstand des Projekts

Wie nehmen wir die Welt wahr? Was tun wir, wenn wir denken und sprechen? Welche Beziehung besteht zwischen Denken und Sprechen? Wie urteilen wir?

Dies sind Fragen, mit denen sich die Philosophie seit jeher beschäftigt hat. Heute befaßt sich damit u.a. die interdisziplinär arbeitende kognitive Wissenschaft. Als einer ihrer Vorläufer kann eine Gruppe von Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Bereichen (Philosophie, Literatur, Medizin, Physik, Chemie, Biologie, Anthropologie, Ehtnologie etc.) gelten: die sogenannten Ideologen. Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren sie der Überzeugung, daß allein die enge Zusammenarbeit von Geistes- und Naturwissenschaften zu befriedigenden Antworten führen kann. Diese Überzeugung versuchten sie in die Praxis umzusetzen, indem sie sich wesentlich an pädagogischen Projekten beteiligten. So übten sie maßgeblichen Einfluß auf die Reform der bis zur Revolution 1789 von der Kirche geprägten Collèges und schufen einen neuen Sekundarschultyp, der in jedem Département (von denen es rund einhundert gab) einmal vertreten war (in Paris dreimal): die sogenannten Écoles Centrales. Der strenge Lehrplan der Collèges , der sich vor allem auf das Fach belles-lettres konzentrierte (fünf Jahre langues anciennes und Rhetorik, gefolgt von zwei Jahren Philosophie) sollte von einem weniger rigiden System ersetzt werden, das die Ideen der Enzyklopädisten aufgriff und dem Schüler, indem es seine spezifischen Bedürfnisse mitberücksichtigte, größere Freiheiten in seiner Entfaltung bot. In einer ersten Sektion (12-14 Jahre) wurden die Fächer dessin, histoire naturelle, langues anciennes und langues vivantes unterrichtet, in einer zweiten Sektion (14-16 Jahre) Mathematik, Physik und Chemie, in einer dritten Sektion (ab 16 Jahre) grammaire générale, belles-lettres, histoire und législation. Den Naturwissenschaften und der Interdisziplinarität wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Oberstes Ziel war es, einen wissenden, aber auch verantwortungsbewußten Bürger zu schaffen. Dabei kam der grammaire générale, der allgemeinen Grammatik, ein besonderer Stellenwert zu. In diesem Fach, das als Unterrichtsfach bis zu diesem Zeitpunkt nicht existiert hatte, sollten die allgemeinen Prinzipien untersucht werden, die dem Denken und mehreren Sprachen (und nicht, wie bisher einer Einzelsprache) zugrunde liegen.

Durch die genaue Analyse von Aussagen und Urteilen sollte dem Schüler nahegebracht werden, was er tut, wenn er spricht, und vermittelt über die Sprache als dem einzigen Zugang zum Denken sollte er sich seiner Verstandesoperationen bewußt werden. Er sollte nicht mehr nur eingetrichtertes Wissen wiedergeben, sondern es stets einer kritischen Analyse unterziehen und somit zu eigenständigem Denken angeleitet werden. Das Fach Grammaire Générale wurde von Lehrern unterrichtet, die bisher Philosophie, belles-lettres oder Naturwissenschaften unterrichtet hatten. Unterrichtsmaterial für das neue Fach mußte bereitgestellt werden.

Das Innenministerium, das die Arbeit der Zentralschulen zentral in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Schulen und Lehrern steuerte, rief in mehreren Rundschreiben, die alle Zentralschulen und ihre Lehrer erreichten, dazu auf, neue Lehrmittel zu entwickeln. Gestützt durch den Conseil d'instruction publique, in dem wiederum renommierte Ideologen vertreten waren, prüfte es die Vorschläge der Lehrer und kritisierte, machte Vorschläge, versandte Bücher (Allgemeine Grammatiken, die vorher entstanden waren) als Grundlage des neu zu entwickelnden Lehrbuchs. Auf diese Weise entstand eine rege Korrespondenz zwischen der Provinz und Paris (zwischen den Provinzideologen und den Hauptstadtideologen ), die von der Energie zeugt, mit der darum gerungen wurde, ein neues Fach zu begründen. 1799 umfaßte es die Unterbereiche: Idéologie - Grammaire Générale - Grammaire Française - Logique . 1802 ließ Napoleon die Écoles Centrales schließen und ersetzte sie durch die lycées, gerade in dem Moment, als man von einer Konsolidierung der Arbeit in den Écoles Centrales sprechen konnte. Napoleon, der den Ideologen anfangs sehr nah gestanden hatte, mußte sich von ihnen distanzieren, als er aus politischen Gründen die Unterstützung der Kirche in Anspruch nahm. Ein religions- und kirchenfeindliches Schulsystem war ihm dabei im Wege.

Stichpunkte zur Ausstellung

Die Ausstellung, die erstmals in den Räumen des Institut culturel franco-allemand Tübingen gezeigt (29. März - 25. Mai 2001) und dann anläßlich des Deutschen Romanistentags vom 8. bis 31. Oktober 2001 im Institut für Romanische Philologie (Französische Abteilung) in München präsentiert wurde, umfaßt 7 Vitrinen und 8 Wandtafeln. Hinzu kommen etwa 100 Exponate (Originalgraphiken, bis dato unbekannte Autographen von Ideologen und Grammaire Générale -Lehrern, Erstausgaben, Bücher zum Thema), die in dieser Zusammenstellung bislang weder in Frankreich noch in Deutschland öffentlich zu sehen waren.
Es handelt sich um eine Ausstellung, die sich nicht ausschließlich an Spezialisten für das 18. Jahrhundert wendet. So bilden Ausgangs- und Endpunkt der Ausstellung der Fall des Wilden von Aveyron, bekannt geworden durch François Truffauts Spielfilm "Der Wolfsjunge" (1969). Der authentische Fall, dem sich zahlreiche Ideologen in der Gesellschaft für Menschenbeobachter annahmen, faszinierte ganz Europa. Dieser Aufhänger soll anschaulich machen, wie intensiv um 1800 das Verhältnis von Denken und Sprache diskutiert wurde und wie spannend und unterhaltsam es sein kann, sich heute damit zu beschäftigen.
Die Ausstellung stellt die wichtigsten Persönlichkeiten vor, die im Umkreis der Ideologen gewirkt haben, Lehrer der Grammaire Générale und ihre Werke werden ebenso präsentiert wie Abbildungen einiger ausgewählter Schulen.
Dokumente zu Antoine-Louis-Claude Destutt de Tracy (1754-1836), dem Chefdenker der Ideologen, der 1796 den Begriff Idéologie prägte und darunter der Etymologie des Wortes gemäß die Wissenschaft von den Ideen verstand, nehmen einen besonderen Platz ein; sie wurden zum Teil von Nachfahren Destutts zur Verfügung gestellt.

Darüber hinaus werden Themen in den Blick gerückt, die im Grammaire Générale-Unterricht behandelt wurden und auch heute noch nichts von ihrer Virulenz verloren haben. Ganz besonders wichtig war die Auseinandersetzung mit der Frage nach der angemessenen Bedeutung von Wörtern und dem Mißbrauch der Wörter zu persönlichen oder politischen Zwecken. Während der Französischen Revolution war diese während der gesamten Aufklärung heftig geführte Debatte auf dem Höhepunkt angelangt, wurde doch die Definition von Wörtern (wie z.B. Freiheit, Gleichheit u.ä.) je nach politischer Couleur umgedeutet. Die Mehrdeutigkeit von abstrakten Begriffen und die bewußte Umdefinition von Wörtern wurde im Unterricht diskutiert, vor allem aber die Methode, dieser Verfälschung zu begegnen: der bewußte Gebrauch der Sprache durch ständige Analyse dessen, was ausgedrückt werden soll. In diesem Zusammenhang erfüllten die Naturwissenschaften eine Modellfunktion. So exakt und eindeutig wie die Naturwissenschaften ihre Terminologie verwendeten, wünschte man sich die Sprache, um Mißverständnisse in der Kommunikation zu vermeiden. Gleichzeitig wußte man von der Unmöglichkeit, die menschliche Sprache zu vereindeutigen. Die Utopie blieb dennoch. Den Revolutionswörterbüchern ist daher eine eigene Vitrine gewidmet. Unter den Seltenheiten befindet sich ein Pamphlet des Abenteurers Casanova, der die revolutionären Wortschöpfungen verdammt.

In der Ausstellung kommen auch Schüler und ihr Alltag in den Écoles Centrales zu Wort. Der berühmteste Absolvent war zweifellos Stendhal, dessen literarisches Werk vom Einfluß der Ideologen nachhaltig geprägt wurde. Der Schüler Stendhal und sein Grammaire Générale -Lehrer Gattel stehen deshalb im Vordergrund des entsprechenden Ausstellungsabschnitts.

Schließlich wird unveröffentlichtes Material aus dem Projekt zugänglich gemacht, verschiedenste Textsorten, die belegen, wie sich das Fach Grammaire Générale allmählich herausgebildet hat.

Reaktionen auf die Ausstellung

Die Ausstellung stieß bei den Teilnehmern des o.g. Kolloquiums auf lebhaftes Interesse, so daß bereits Angebote gemacht wurden, sie in Washington D.C., Grenoble, Lyon, Clermont-Ferrand, Paris und mehreren deutschen Städten zu zeigen. Frau Prof. Dr. Gerda Haßler (Professorin für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Potsdam) schrieb in einem Brief:

Sie haben mit der Vorbereitung dieser Ausstellung eine wirklich verdienstvolle Arbeit geleistet, die fundierte Forschungen und ihre Ergebnisse in einer bisher für unser Gebiet ungewöhnlichen Form präsentierte. Die Bedeutung der Ideologen als singulärer Fall in der Wissenschaftsgeschichte, aber auch ihr Weiterwirken in der Sprachwissenschaft, den Erziehungswissenschaften und der Medizin, sind trotz nicht weniger Beiträge von Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern bisher wenig bekannt. Ihre Initiative hat einen Weg erschlossen, die Komplexität des Wirkens der Ideologen zu veranschaulichen und damit auch einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der Ausstellung vereinten Sie sowohl philologische Sorgfalt als auch Professionalität in der Visualisierung der Ergebnisse.

Die international bekannte Sprachwissenschaftlerin Henriette Walter (Paris) bescheinigte der Ausstellung ein sehr hohes Niveau.

Virtuelle Ausstellung

Angesichts des insgesamt positiven Echos, das die Ausstellung erfahren hat, wurde der Entschluß gefasst, die Ausstellung ins Internet zu stellen. Im Unterschied zum Ausstellungsheft, das neben den Texten der Wandtafeln ein reines Verzeichnis der Exponate ist, enthält die virtuelle Ausstellung sämtliche Ausstellungstexte und Bilder (Porträts, Handschriften, Bücher etc.).
Unser Ziel war und ist es, mit der virtuellen Ausstellung
- den internationalen wissenschaftlichen Austausch zu befördern und
- die avanciertesten Möglichkeiten des Mediums ‚Internet' zu nutzen, um in graphisch ansprechender Weise einem größeren Publikum die Ergebnisse unserer Arbeit mitzuteilen. Der Betrachter kann tatsächlich mit dem Curser über Photos der jeweiligen Ausstellungsvitrinen ‚fahren' und per Mausklick jedes einzelne Exponat anschauen, vergrößern, ergänzende Informationen lesen und sich ein Gesamtbild verschaffen, als ob er sich in der realen Ausstellung befände.
Die virtuelle Ausstellung ist vorläufig unter der Adresse
http://www.neccessaire.com/exposition/index.htm
einzusehen und steht kurz vor der Fertigstellung (Abschluß Ende Dezember 2002).

Kontakt:

Ilona Pabst M.A. Romanisches Seminar der Universität Tübingen Wilhelmstr. 50 D-72074 Tübingen Tel.: 07071-2974290 Fax: 07071-295859 E-Mail: ilona.pabst@uni-tuebingen.de



Organisation in Freiburg: Prof. Dr. Johannes Kabatek , Romanisches Seminar, Werthmannplatz, D-79085 Freiburg, Tel. 0761-2033185 Fax 0761-2033138

 

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Letzte Änderung: 19.12.2002