EUCOR-Bibliotheksinformationen - Informations des bibliothèques: 3 (1993)
Schwerpunktthema: UB Karlsruhe


OLIX als Einstieg in die Welt Offener Systeme

Herbert Kristen


Nach fast drei Jahren Entwicklungsarbeit am neuen Ausleih- und Katalogsystem OLIX [1] ist ein erstes Etappenziel erreicht. Der Prototyp für das zukünftige Landessystem geht in seine erste Bewährungsprobe. Zum Jahreswechsel wird an der Universitätsbibliothek Karlsruhe OLIX als Nachfolgesystem von OLAF installiert werden.

Die Einführung des neuen Systems ist mit großen Erwartungen verknüpft. Die Erneuerung des bisherigen Ausleihsystems OLAF und dessen Erweiterung durch einen Online-Benutzerkatalog waren zunächst die Intentionen der gemeinsamen Entwicklung der Universitätsbibliotheken Freiburg, Karlsruhe und Tübingen. Nach zehn Jahren Verbundkatalogisierung im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund werden nun auch die Benutzer baden-württembergischer Bibliotheken von den Vorteilen maschinenlesbarer Katalogdaten profitieren.

Neben der Entwicklung des Online-Katalogs war ein großer Teil der Entwicklungsarbeit vom Umstieg auf moderne Technologien bestimmt. Die Umsetzung innovativer Systeme wie z.B. der Einsatz von UNIX-Rechnern, Aufbau nach dem Client-Server-Prinzip und Anbindung an das Internet mit den entsprechenden Standards hatte nicht nur technische Gründe. Mit ihnen wird der Übergang in die Welt Offener EDV-Systeme vollzogen, auf deren Hintergrund und bibliothekspolitische Konsequenzen ich hier kurz eingehen möchte.

Der Begriff "Offenes System" bedeutet nicht, daß die bisherigen Systeme vollständig geschlossen waren; der Zugang zu entfernten Rechnern ist seit Jahren selbstverständlich. Die wesentliche Neuerung Offener Systeme ist die Fähigkeit zur "offenen Kommunikation".

Die herkömmliche Form der Kommunikation unter Rechnern setzt voraus, daß man die spezifischen Gegebenheiten des Gegenübers genau kennt und sich darauf einstellt. Jeder, der bei mehreren Datenbankanbietern recherchiert hat, kennt das: verschiedene Datenbanksysteme verlangen unterschiedliche Eröffnungsprozeduren, andere Dialogformen, Kenntnisse der Kategorieneinteilung usw. Bei der "offenen Kommunikation" hingegen verläßt man die vertraute Umgebung des eigenen Rechners nicht. Der Dialog mit fremden Rechnern geschieht - unabhängig von der eingesetzten Hard- und Software - immer auf die gleiche, vom eigenen Rechner her vertraute Weise. Für den Anwender verhält sich der fremde Rechner wie das eigene System.

Die Verbreitung von Arbeitsplätzen und die entsprechenden Netzwerke, die für die offene Kommunikation geeignet sind, nehmen sprunghaft zu und man kann davon ausgehen, daß noch im Laufe dieses Jahrzehnts diese Kommunikationsform zum technischen Standard im gesamten Wissenschaftsbereich gehören wird. Parallel dazu steigt das Angebot an Dienstleistungen und Informationsmöglichkeiten, die diesen Rechnern über Netze zur Verfügung stehen. Die Informationsversorgung über den am Arbeitsplatz vorhandenen Rechner wird zur Selbstverständlichkeit werden.

Es ist heute schon abzusehen, daß der Druck auf die Bibliotheken, auch ihre Dienstleistungen in dieser Form anzubieten, zunehmen wird. Auch aus eigenem Interesse sind sie gut beraten, sich dieser Entwicklung nicht zu verschließen, bringt doch die Öffnung der Bibliothekssysteme erhebliche Dienstleistungsverbesserungen und Rationalisierungseffekte mit sich. Die DFG sowie die Unterhaltsträger des Bundes und des Landes Baden Württemberg haben diese Entwicklung erkannt und in den letzten Jahren in einigen beispielhaften Projekten gefördert. Auch im europäischen Ausland und in Nordamerika finden sich zahlreiche Initiativen, "Offene Bibliothekssysteme" zu entwickeln.

Das Ziel all dieser Aktivitäten ist die Einbindung der verschiedenen Bibliothekssysteme in ein umfassendes Informationssystem, das dem Benutzer an seinem Arbeitsplatz unter der ihm geläufigen Oberfläche z.B. lokale, regionale, nationale und internationale Literaturnachweise zur Verfügung stellt. Die offene Architektur des Systems erlaubt es dem Benutzer, diese Daten in sein System zu übernehmen und sie auf die ihm gemäße Weise z.B. mit Online-Bestellung für Orts- und Fernleihe, Textverarbeitung oder anderen lokalen Anwendungen zu verknüpfen.

Auch in der internen Bibliotheksverwaltung müssen unterschiedliche Systeme aufeinander zugreifen können. In einem effektiven, EDV-gestütztem Geschäftsgang müssen Lokaldaten, Daten aus regionalen und überregionalen Verbünden, Buchhandels- und Rechnungsdaten transferiert und gegenseitig ergänzt werden. Die Vielfalt der eingesetzten Systeme machte dies bis heute zu einem unlösbaren Problem. Zukünftig wird es mit offenen Schnittstellen, bibliographischen Standards und Normen zu lösen sein.

Die Anpassung der computer-gestützten Bibliothekssysteme an die Welt Offener Systeme stellt eine der größten bibliothekarischen Herausforderungen der kommenden Jahre dar. Es sind dabei nicht sosehr technische Probleme, die von uns Bibliothekaren gelöst werden müssen. Die technischen Grundlagen sind weitgehend vorhanden oder werden in naher Zukunft zur Verfügung stehen. Offene Bibliothekssysteme verlangen jedoch heute bibliothekarische Vorgaben, sie erfordern den Einsatz gemeinsamer Schnittstellen und vor allem Einigung darüber, wie man gemeinsam organisatorische Probleme löst.

Offene Kommunikation verlangt keine Einheitssysteme. Eine der großen Stärken dieses Prinzips ist die Unabhängigkeit von der eingesetzten Hard- und Anwendungssoftware. Die Eigenheiten und spezifischen Bedingungen der eingesetzten Systeme können beibehalten werden.

Diese Unabhängigkeit ist durch standardisierte Schnittstellen gewährleistet. Diese Schnittstellen übersetzen rechnerspezifische Daten in eine allgemeingültige Übertragungssprache, die von allen Systemen verstanden wird, und stellen diese dann dem Netz zur Verfügung. Die Schnittstelle des empfangenden Rechners übersetzt die Übertragungssprache in seine spezifische Sprache. Mit diesem Mechanismus wird es möglich, eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme zu einem für den Benutzer einheitlichen System zusammenzuschalten, ohne daß auf Besonderheiten der beteiligten Systeme verzichtet werden muß.

Die Ausarbeitung dieser allgemeingültigen Sprache ist außerordentlich aufwendig und entsprechend langwierig. Während man die technischen Dinge durchaus den EDV-Spezialisten überlassen darf, sind die Bibliothekare gefordert, bei der Definition der anwendungsspezifischen Protokolle mitzuarbeiten.

So spielt das Übertragungsformat bei der Kommunikation mit bibliographischen Datenbanken eine zentrale Rolle. Alle beteiligten Datenformate - die der Datenbanken, das Übertragungsformat und das eigene - können verschieden sein, müssen aber ineinander umgewandelt werden können, wenn die Daten verlustfrei übertragen werden sollen. D.h. bei der Schnittstellendefinition für bibliographische Datenbanken muß ein Übertragungsformat gefunden werden, das kompatibel zu den bereits vorhandenen Datenformaten mit all ihren Besonderheiten ist. Will man internationalen Datenaustausch miteinbeziehen, kommt als weiteres Problem hinzu, daß die von internationalen Standards abweichenden deutschen Datenformate und Katalogregeln den Anforderungen des Datenaustauschs mit ausländischen Systemen angeglichen werden müssen.

Neben der Arbeit an bibliothekarischen Standards und Normen sind noch vielfältige organisatorische Probleme zu lösen. Der technisch mögliche Zugriff auf beliebige Datenbanken und Bibliothekssysteme wirft Fragen auf, mit deren Beantwortung schon heute begonnen werden muß:

Es erfordert wenig Phantasie, diesen Fragenkatalog weiter auszudehnen. Hier sollen die Probleme auch nur angedeutet werden. Wir sind im deutschen Bibliothekswesen noch weit davon entfernt, flächendeckend über Offene Systeme zu verfügen. Aber jetzt, da die ersten Schritte getan sind und abzusehen ist, wohin die Reise geht, sollten wir Bibliothekare damit beginnen, über die Konsequenzen und Lösungen nachzudenken. Offene Systeme stellen ein Konzept dar, das die Öffnung zum Nachbarn und zur Region über nationale Grenzen hinweg möglich macht. Wir sind gefordert, bei der Umsetzung dieser Technologie aktiv mitzuarbeiten, um sie für unsere Bedürfnisse nutzbar zu machen.




 
[1] Vgl. Kristen, H.: Neues Bibliothekssystem soll den Benutzerservice der Bibliotheken verbessern. In: EUCOR--Bibliotheksinformationen Nr. 1 (1992) S. 17-20
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