Proslogion

Capitulum II: Quod vere sit Deus

Ergo Domine, qui das fidei intellectum, da mihi, ut, quantum scis expedire, intelligam, quia es sicut credimus, et hoc es quod credimus. Et quidem credimus te esse aliquid quo nihil maius cogitari possit. An ergo non est aliqua talis natura, quia 'dixit insipiens in corde suo: non est Deus'? Sed certe ipse idem insipiens, cum audit hoc ipsum quod dico: 'aliquid quo maius nihil cogitari potest', intelligit quod audit; et quod intelligit, in intellectu eius est, etiam si non intelligat illud esse. Aliud enim est rem esse in intellectu, alium intelligere rem esse. Nam cum pictor praecogitat quae facturus est, habet quidem in intellectu, sed nondum intelligit esse quod nondum fecit. Cum vero iam pinxit, et habet in intellectu et intelligit esse quod iam fecit. Convincitur ergo etiam insipiens esse vel in intellectu aliquid quo nihil maius cogitari potest, quia hoc, cum audit, intelligit, et quidquid intelligitur, in intellectu est. Et certe id quo maius cogitari nequit, non potest esse in solo intellectu. Si enim vel in solo intellectu est, potest cogitari esse et in re; quod maius est. Si ergo id quo maius cogitari non potest, est in solo intellectu: id ipsum quo maius cogitari non potest, est quo maius cogitari potest. Sed certe hoc esse non potest. Existit ergo procul dubio aliquid quo maius cogitari non valet, et in intellectu et in re.

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2. Kapitel: Daß Gott wahrhaftig existiert

Also, Herr, der Du dem Glauben vernünftiges Einsehen gibst, verleihe mir, daß ich, soweit Du es nützlich weißt, einsehe, daß Du bist, wie wir glauben, und das bist, was wir glauben. Und zwar glauben Kir, daß Du etwas bist, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.

Oder gibt es etwa ein solches Wesen nicht, weil "der Tor in seinem Herzen gesprochen hat: es ist kein Gott"? Wenn dieser Tor ebendas hört, was ich sage: "etwas, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", dann versteht er aber sicherlich, was er hört; und was er versteht, ist in seinem Verstand, auch wenn er nicht einsieht, daß dies existiert.

Denn, daß eine Sache im Verstande ist, ist eines; ein anderes einzusehen, daß die Sache existiert. Wenn nämlich ein Maler vorher bedenkt, was er schaffen will, so hat er es zwar im Verstande. Er erkennt aber noch nicht, daß existiert, was er noch nicht geschaffen hat. Wenn er aber schon gemalt hat, so hat er es sowohl im Verstande, als er auch erkennt, daß existiert, was er bereits geschaffen hat.

So muß also auch der Tor zugeben, daß wenigstens im Verstande etwas ist, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, weil er das versteht, wenn er es hört, und was immer verstanden wird, ist im Verstand.

Doch sicherlich kann "das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann", nicht im Verstande allein sein. Wenn es nämlich schon im Verstande allein ist, so kann gedacht werden, daß es auch in Wirklichkeit ist -und das ist größer. Wenn also "das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann", im Verstande allein ist, so ist eben "das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann", (etwas,) worüber hinaus Größeres gedacht werden kann. Das aber kann gewiß nicht sein. Es existiert also ohne Zweifel "etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann sowohl im Verstande als auch in Wirklichkeit.

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Capitulum III: Quod non possit cogitari non esse

Quod utique sic vere est, ut nec cogitari possit non esse. Nam potest cogitari esse aliquid, quod non possit cogitari non esse; quod maius est quam quod non esse cogitari potest. Quare si id quo maius nequit cogitari, potest cogitari non esse: id ipsum quo maius cogitari nequit, non est id quo maius cogitari nequit; quod convenire non potest. Sic ergo vere est aliquid quo maius cogitari non potest, ut nec cogitari possit non esse. Et hoc es tu, Domine Deus noster. Sic ergo vere es, Domine, Deus meus, ut nec cogitari possis non esse. Et merito. Si enim aliqua mens posset cogitare aliquid melius te, ascenderet creatura super creatorem et iudicaret de creatore; quod valde est absurdum. Et quidem quidquid est aliud praeter te solum, potest cogitari non esse. Solus igitur verissime omnium et ideo maxime omnium habes esse, quia quidquid aliud est, non sic vere, et idcirco minus habet esse. Cur itaque 'dixit insipiens in corde suo: non est Deus', cum tam in promptu sit rationali menti te maxime omnium esse? Cur, nisi quia stultus et insipiens?

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3. Kapitel: Daß nicht gedacht werden kann, er existiere nicht

Und dieses existiert schlechthin so wahrhaft, daß auch nicht gedacht werden kann, es existiere nicht. Denn es läßt sich denken, daß es etwas gibt, das als nichtexistierend nicht gedacht werden kann - und das ist größer, als was als nichtexistierend gedacht werden kann. Wenn daher "das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann", als nichtexistierend gedacht werden kann, so ist eben .das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann", nicht "das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann"; was sich nicht vereinbaren läßt. So wahrhaft existiert also "etwas, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann", daß es als nichtexistierend nicht einmal gedacht werden kann.

Und das bist Du, Herr, unser Gott. So wahrhaft also bist Du, Herr, mein Gott, daß Du als nichtexistierend nicht einmal gedacht werden kannst. Und mit Recht. Denn wenn ein Geist etwas Besseres als Dich denken könnte, erhöbe sich das Geschöpf über den Schöpfer und urteilte über den Schöpfer, was ganz widersinnig ist. Und in der Tat läßt sich alles, was sonst ist, außer Dir allein, als nichtexistierend denken. Du allein also hast am wahrsten von allem und damit am meisten von allem Sein, weil alles, was es sonst gibt, nicht so wahrhaft und daher weniger Sein hat.

Warum also "sprach der Tor in seinem Herzen: es ist kein Gott", da es dem vemunftbegabten Geiste so offen zutage liegt, daß Du am meisten von allem bist? Warum, wenn nicht deshalb, weil er töricht und unvernünftig ist?

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Capitulum IV: Quomodo insipiens dixit in corde, quod cogitari non potest

Verum quomodo dixit in corde quod cogitare non potuit; aut quomodo cogitare non potuit quod dixit in corde, cum idem sit dicere in corde et cogitare? Quod si vere, immo quia vere et cogitavit, quia dixit in corde, et non dixit in corde, quia cogitare non potuit: non uno tantum modo dicitur aliquid in corde et cogitatur. Aliter enim cogitatur re, cum vox eam significans cogitatur, aliter cum id ipsum quod res est intelligitur. Illo itaque modo potest cogitari Deus non esse, isto vero minime. Nullus quippe intelligens id quod Deus est, potest cogitare quia Deus non est, licet haec verba dicat in corde, aut sine ulla aut cum aliqua extranea ignificatione. Deus enim est id quo maius cogitari non potest. Quod qui bene intelligit, utique intelligit id ipsum sic esse, ut nec cogitatione queat non esse. Qui ergo intelligit sic esse Deum, nequit eum non esse cogitare.

Gratias tibi, bone Domine, gratias tibi, quia quod prius credidi te donante, iam sic intelligo te illuminante, ut, si te esse nolim credere, non possim non intelligere.

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4. Kapitel: Wie "der Tor im Herzen gesprochen hat", was nicht gedacht werden kann

Wie aber hat er im Herzen gesprochen, was er nicht hat denken können; oder wie hat er nicht denken können, was er im Herzen gesprochen hat, da doch im Herzen sprechen und denken dasselbe ist?

Wenn er dies wirklich, ja weil er es wirklich gedacht hat, da er es im Herzen gesprochen hat, und nicht im Herzen gesprochen hat, da er es nicht denken konnte, so wird etwas nicht nur auf eine Weise im Herzen gesprochen oder gedacht. Anders nämlich wird ein Ding gedacht, wenn der es bezeichnende Laut gedacht wird, anders wenn eben das, was das Ding ist, verstanden wird. Auf jene Art also kann Gott als nichtexistierend gedacht werden, auf diese jedoch keinesfalls. Denn niemand, der das einsieht, was Gott ist, kann denken: ,Gott ist nicht", auch wenn er diese Worte im Herzen spricht, sei es ohne jede oder mit einer fremden Bedeutung. Denn Gott ist "das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann". Wer das gut versteht, versteht durchaus, daß dies so existiert, daß es nicht einmal in Gedanken nicht existieren kann. Wer also einsieht, daß Gott auf diese Weise ist, der kann ihn nicht als nichtexistierend denken.

Dank dir, guter Herr, Dank dir, daß ich das, was ich zuvor durch Dein Geschenk geglaubt habe, jetzt durch Deine Erleuchtung so einsehe, daß ich, wollte ich es nicht glauben, daß Du existierst, nicht vermöchte, es nicht einzusehen.


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