§ 3. Der sich selbst widerlegende Zweifel: die Retorsion

3.1 Vorbemerkungen Der im Vorigen untersuchten Geltungsreflexion auf das Subjekt als letzten Wirklichkeitsgrund steht in der Philosophiegeschichte eine andere, nicht weniger bedeutende Weise eines radikalen Rückgangs auf die Subjektivität als Geltungsgrund zur Seite. Es ist dies eine sozusagen "vornehmere" Spielart des universalen methodischen Zweifels. Anstatt sich selbst am Zweifel "die Hände schmutzig zu machen", sieht man dem Skeptiker bei seinem Zweifel an allem zu und läßt ihn sich selbst des Widerspruchs überführen.

In der Maréalschule hat man für dieses Vorgehen den Begriff "rétorsion" eingeführt (1). Der Sache nach findet auch dieses Argument sich schon bei Augustinus (2) und bereits vorher bei Aristoteles (3). Eine klassische Formulierung hat es dann bei Thomas von Aquin gefunden:

"veritatem esse est per se notum: quia qui negat veritatem esse, concedit veritatem esse: si enim veritas non est, verum est veritatem non esse. Si autem est aliquid verum, oportet quod veritas sit" (4).

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Zu einer Weise des methodisch durchgeführten universalen Zweifels wird diese Argumentation dort, wo nicht von einem (bereits anderwärts gewonnenen) sicheren Boden der Wahrheitsevidenz vorübergehend auf den Skeptiker herabgeblickt wird ("Seht, auch er muß ja die Existenz von Wahrheit zugeben!"), sondern wo der Gedankengang selbst konstitutiv für die absolute Begründung von Geltung bzw. von Metaphysik wird. Das ist - mehr oder weniger ausdrücklich und bewußt - in der gesamten Maréchalschule der Fall (5). Auch wo man in diesem Zusammenhang nicht den (methodischen) Zweifel zum Ausgangspunkt des Philosophierens erklärt, setzt man ihn doch implizit, indem man für die transzendentale Analyse das Denken nur in der Bestimmung zum Ansatz bringt, wie es auch noch in seiner Negation vollzogen wird (6).

Die Notwendigkeit dieses Vorgehens zur Begründung eines "absoluten Bodens" des Philosophierens hat - hierin wohl gleichermaßen von J. Maréchal wie andererseits H. Wagner (7) inspiriert - unlängst besonders H. Holz betont (8). Da H. Holz seine diesbezüglichen Ausführungen im wesentlichen als eine Interpretation der Argumentation Maréchals versteht, bei dem die Retorsion in besonders prägnanter Form dargelegt ist, wollen wir dem Gedankengang anhand der Maréchalschen Aussagen nachgehen und von dorther erst zusehen, inwieweit H. Holz Neues in die Diskussion gebracht hat.

3.2 Die Retorsion bei J. Maréchal

J. Maréchal nimmt im "Cahier V" seines Hauptwerks die im "Cahier I" anhand der Aristoteles-Texte breiter dargelegte Argumentation gegen den Skeptizismus bzw. Relativismus (9) wieder auf (10). Er stellt fest, daß

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in der von "den Alten" durchgeführten Retorsion des Skeptizismus "in einer noch unentwickelten Form eine wirkliche transzendentale Deduktion" enthalten war (11) und - so darf man nicht nur aus der zitierten Stelle, sondern aus der Anlage des gesamten Werkes folgern - versucht selbst, diese noch unentwickelte Weise einer transzendentalen Letztbegründung von Metaphysik vor dem Problemhorizont der Kantschen Kritik entfaltet vorzulegen.

Maréchal formuliert die "Quintessenz" der Retorsion im Anschluß an die oben angeführte Thomasstelle (I 2,1 ad 3). Hierbei fällt die Zurückhaltung und Prägnanz auf, in der die Aussagen gemacht werden. Die Folgerung, daß die Existenz von Wahrheit evident sei, drückt Maréchal nur in der direkten Paraphrasierung des Thomastextes ("veritatem esse in communi, est per se notum") aus (12). Das spekulative Ergebnis im Hinblick auf die transzendental-kritische Begründung von metaphysischer Erkenntnis wird von ihm vorsichtiger umschrieben. Die "Konstatierung der transzendentalen Notwendigkeit" lautet: "le rapport de vérité est inhérent à la pensée objective" (13) - da diese Wahrheitsbeziehung nämlich in jedem Denkakt, ob Affirmation, Zweifel oder Negation (14) gesetzt wird. Dementsprechend sind die Aussagen über den im Denken notwendig gesetzten Bezug zum "absoluten Sein" gehalten:

"Tout objet d'intelligence revêt donc ... une relation nécessaire à l'absolu de l'être, c'est-à-dire à l'ordre ontologique en général." "La nécessité d'affirmer l'être se confond avec la nécessité même de la pensée" (15).

Hier gehen Maréchals Nachfolger zum Teil in ihren Folgerungen weiter. Nach J. B. Lotz z. B. ist durch die Retorsion bereits die absolute Geltung des Urteilens selbst sichergestellt (16). Durch die Retorsion wird auch nach O. Muck "die unrelativierbare Geltung der Erkenntnis ... ausgewiesen" (17). Auch H. Holz, der - sich dabei eng an die Ausführungen Maréchals

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anschließend - den besonderen Charakter der ursprünglichen Wahrheit in einer transzendental-philosophisch präziseren Terminologie herauszustellen bemüht ist, kommt im Grunde doch zum gleichen Ergebnis. Die nicht ausschließbare Affirmation wird mit der unumstößlichen Gewißheit von Wahrheit ("verbal" verstanden (18)) gleichgesetzt:

"Damit ist nicht auch schon irgendeine bestimmte 'Inhaltlichkeit' des Denkens gesetzt. Es ist noch nicht damit behauptet, daß dies oder jenes wahr sei. Unumstößlich gewiß ist allein, daß das Denken überhaupt, sofern es sich vollzieht ..., wahr ist. Ermöglicht und konstituiert wird dabei die Wahrheit durch den Selbstbezug des Denkens als vollzogenen. Das Denken, insofern es sich aktuell vollzieht als Behauptung oder Affirmation, ist eben darin schon unmittelbar auch in einem Bezug zu sich selbst. Genauer: das Denkeil, sofern es sich faßt als aktive Spontaneität und aktuelles Leisten oder Setzen ... und das Denken, sofern es zugleich und in eins damit - in aktualer Identität - sich als Möglichkeit von Leistbarem, Setzbarem überhaupt faßt" (19).

Bevor die Richtigkeit dieses Gedankens selbst zu prüfen ist, soll zunächst noch der Gedankengang bei Maréchal im Blick bleiben. Weder die erstgenannten Autoren noch H. Holz scheinen hier der Maréchalschen Argumentation zu folgen. Maréchal folgert nicht schon aus der Retorsion, daß das Denken als solches "wahr" sei, sich als den "absoluten Boden von Geltung überhaupt" begreife, sondern nur, daß die Wahrheitsbeziehung (rapport de vérité) dem Denken notwendig innewohne. Diese Wahrheitsbeziehung wird aber von ihm als Beziehung des Denkens auf eine "außer ihm" liegende absolute "Kontrollinstanz", das "absolute Sein" begriffen (20).

Holz versucht nun - offensichtlich von dem Begriff des Absoluten bei H. Wagner als einer nicht ontologisch, sondern nur geltungstheoretisch qualifizierten Größe (im Sinne des Neukantianismus) ausgehend -, auch bei Maréchal die Sicherung eines "absoluten Bodens" von Geltung überhaupt von der Frage nach dem absoluten Sein abzuheben. Durch die Retorsion sei auch nach Maréchal ein "absoluter Boden" erreicht, der streng transzendental, nicht ontologisch - im Sinne der Kennzeichnung

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des "cogito, ergo sum" in der Erkenntnismetaphysik (21) - zu fassen ist. Dieser absolute Boden bedeute "nichts anderes, als daß der Satz 'es gilt etwas', 'es gilt nicht nichts' absolut, nämlich schlechthin, und ohne jede Einschränkung gültig ist, wobei von der besonderen Bedeutung des 'etwas' noch abgesehen werden kann" (22). Maréchal sage zwar statt "es gilt etwas" "es ist etwas", der Sinn sei aber derselbe - wenn Holz an Maréchal auch auszusetzen hat, daß er aufgrund einer zu engen Anlehnung an die traditionelle Terminologie den gewonnenen absoluten Horizont vorschnell als "Seinshorizont" verstehe (23). Mit der Gewinnung dieses absoluten transzendentalen Geltungsbodens sei aber noch nicht der Übergang zu einem transzendenten Absoluten (nämlich dem "esse subsistens") gerechtfertigt.

"Der Unterschied zum Neukantianismus präzisiert sich weiter dahingehend, daß mit der Fassung des absoluten Bodens in seiner Totalität als Sein für Maréchal sich eine neue Möglichkeit zu einem transzendentalen (24) Absoluten eröffnet, d. h. der absolute Boden sich selbst als Beziehungsglied einer neuen, bisher verdeckten Beziehung zu einem jenseits seiner Liegenden interpretiert. Dieser Übergang erscheint aufgrund des bisher Erschlossenen meines Erachtens jedoch noch nicht gerechtfertigt ... bis jetzt ist kein Grund für einen derartigen Schritt zum Transzendenten einzusehen" (25).

Die Unterscheidung von "absolutem Geltungsboden" und "Übergang zu einem transzendenten Absoluten" dürfte aber nach dem Maréchalschen Ansatz nicht möglich sein: Das Denken ist für Maréchal absoluter Geltungsboden nur dadurch, daß es in einer notwendigen Beziehung auf das absolute Sein (Gottes) steht. Fällt der Schritt zum transzendenten Sein dahin, so ist das Denken nicht mehr als absoluter Geltungsboden anzusprechen.

In der gleichen Linie liegt der Versuch Holz', zwischen einem "Dynamismus" und einem "Finalismus" bei Maréchal zu differenzieren (26). Unter "Dynamismus" möchte Holz die geltungs- und prinzipientheoretische Reflexion bei Maréchal zusammenfassen, d. h. den transzendentalen Sachverhalt, der auf dem Wege der Retorsion ermittelt wird. Der Titel "Finalismus" umfaßte dann die mit dem Begriff des geistigen Naturstrebens

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verbundenen Aussagen. Inwieweit diese Differenzierung systematisch gerechtfertigt ist, d. h. inwieweit die Retorsion allein zur Gewinnung eines "transzendentalen Absoluten" führt, wird weiter unten zu prüfen sein.

Im Hinblick auf die Maréchaldeutung jedenfalls scheint eine solche Unterscheidung nicht berechtigt (27). Offensichtlich hat es Maréchal nicht bei der Geltungsbegründung "der Alten", der Retorsion, bewenden lassen. Sie liefert ihm zwar den Ansatz einer "transzendentalen Deduktion" metaphysischer Erkenntnis, wird sogar schließlich als "'déduction transcendantale' avant la lettre" bezeichnet (28). In dem entscheidenden fünften Band von Maréchals Hauptwerk dient sie jedoch nur zum Beweise der Unumstößlichkeit von Affirmation als der notwendigen Hinordnung des Denkens auf das absolute Sein. Die eigentliche transzendentale Deduktion der Affirmation in ihrer ontologischen Valenz legt Maréchal im Cahier V, livre II, sect. III, vor. Sie gipfelt im Beweise der Existenz des absoluten Seins aus der Finalität des Geistes, von woher erst die objektive Geltung aller Einzelurteile ihren Rechtsgrund durch Partizipation erhält.

Man darf nicht vergessen, daß es einerseits die Nähe zu M. Blondel (29), andererseits das Studium der Mystiker (30) gewesen ist, wodurch J. Maréchal zu seiner Lösung des Erkenntnisproblems gelangte.

Maréchal hat darüber hinaus die Unmöglichkeit gültiger Erkenntnis außerhalb einer (zumindest impliziten) Gotteserkenntnis unmißverständlich in seiner Vortragsreihe: "Au seuil de la métaphysique: abstraction ou intuition" (31) ausgesprochen:

"l'idée d'une nécessité absolue quelconque, d'ordre objectif, enveloppe essentiellement l'idée d'un Être absolument nécessaire" (32). "Considérer un objet particulier sous l'angle où il est absolu, c'est y considérer la nécessité radicale de l'essence, de l'ens qua ens; et cela equivaut, pour nous autres,

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théistes, à viser Dieu à travers l'objet" (33). "Si donc quelqu'un de nos concepts abstraits est, sous quelque aspect que ce soit, vraiment universel, et se prête à de véritables jugements nécessaires, ce ne peut être qu'en vertu d'une nécessité transcendantale posant d'abord, dans l'implicite de l'acte abstractif, - 'in exercitio', disent les scolastiques, - l'être comme être, l'unité comme unité; d'un mot: posant objectivement, quoique implicitement, l'Être absolu" (34). "un objet n'est métaphysique, en d'autres termes ne revêt les propriétés absolues d'un intelligible, d'un 'noumène', que par relation implicite à l'Être absolument absolu" (35).

Aus demselben Zusammenhang wird auch deutlich, daß die (wohlwollende) Kritik Holz' an Maréchal, er habe zwar richtig den transzendentalen Geltungshorizont von Erkenntnis erreicht - wie H. Wagner in der Nachfolge des Neukantlanismus -, ihn aber, einem scholastischen Vorurteil erliegend, zu sehr in ontologisch-metaphysischen Begriffen gekennzeichnet (36), die Grundlagen der Maréchalschen Geltungsbegründung verfehlt. Maréchal weist nicht nur eine Geltungsbegründung, die unter Absehung von der Existenz versucht wird (wie im Neukantianismus), ausdrücklich ab (37), sondern kennzeichnet auch den geltungstheoretischen Charakter seines Begriffs von Metaphysik:

"Lors donc que je parlerai de metaphysique, veuillez entendre toujours: une science objective, nouménale, qui exclut de son objet formel le contingent et le particulier comme contingent et particulier" (38).

3.3 Exkurs
Der ontologische Charakter der transzendentalen Subjektivität bei J. Maréchal

In den Zusammenhang des eben Dargelegten gehört auch die Erörterung des umstrittenen Problems, welche ontologische Valenz Maréchal dem kritisch gesicherten Ausgangsfaktum subjektiver Spontaneität beimißt.

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E. Coreth wirft Maréchal vor, daß er nicht einmal die Realgeltung des Dynamismus der Vernunft sichergestellt habe und so, vom bloßen Phänomen ausgehend, nie mehr die Schwelle zur Realität habe überschreiten können (39). J. de Vries weist diesen Vorwurf unter Bezugnahme auf den Ausdruck Maréchals "véritable intuition ontologique" (40) für den Geistesdynamismus (41) zurück (42). Hinzuzuziehen wäre die lange Liste von Belegstellen, mit denen J. Defever schon vorher die gegen Maréchal erhobene Kritik, er gehe nicht von einer Existenzerfahrung aus, zurückgewiesen hat (43). H. Holz verteidigt Maréchal gegen Coreth, indem er mit Maréchal den Ansatz von Coreth und de Vries beim unmittelbaren Existenzdatum des Selbstbewußtseins zurückweist. Mit der "ontologischen Intuition" könne bei Maréchal - gemäß der Ablehnung jeder intellektuellen Anschauung in seinem Hauptwerk - "nur das Moment der unmittelbaren Einsichtigkeit durch sich selbst, wie es in der fundamentalen Prinzipieneinsicht gegeben ist, gemeint sein, sofern und soweit es im Vollzug der Selbstreflexion des 'cogito-ergo sum' als unmittelbare Evidenz aktuiert wird" (44).

Das heißt aber nach Holz, daß die "ontologische Intuition" auf der phänomenalen Ebene verbleibt, nicht ein "An-sich-sein" erreicht (45).

Aber weder mit der Deutung, daß Maréchal mit dieser "intuition" auf der phänomenalen Ebene verbleibe, noch in der Beziehung der "intuition" auf das "cogito - ergo sum" scheint Holz den Gedanken Maréchals richtig getroffen zu haben. Im Kontext des angeführten Zitates (46) ist nicht vom "cogito/sum" die Rede, sondern vom Erkenntnisdynamismus - der "assimilation ... comme moment dynamique", dem "devenir réel". Maréchal hat überhaupt gegenüber der Reflexion auf das "Ich denke' und den daraus für die Erkenntnistheorie und Metaphysik gezogenen Folgerungen stets eine klare Distanz an den Tag gelegt (wie Holz sonst auch richtig betont (47)). Das geht nicht nur aus dem Hauptwerk Maréchals (48), sondern schon aus einem frühen Thesenentwurf von 1914 (49) wie auch aus seinen

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späteren Aufsätzen: "Au seuil de la métaphysique: abstraction ou intuition" (50) "Phénoménologie pure ou philosophie de l'action" (51) und "Le Problème de Dieu d'après M. Édouard le Roy" (52) hervor.

Andererseits besteht kein Grund zu der Annahme, Maréchal habe das Ausgangsfaktum seiner transzendentalen Analyse, die im Denken notwendig gesetzte Affirmation, unter rein phänomenaler Rücksicht betrachtet und seine Realgeltung auf sich beruhen lassen, behauptet er doch selbst die notwendig affirmierte Existenz dieses in der Affirmation gesetzten Wahrheitsbezuges:

"Au moment où vous dites: il n'y a pas de vérité, vous affirmez ... l'existence d'un rapport de véité dans l'acte même par lequel vous prétendez nier universellement ce rapport" (53).

Die folgende Deutung dürfte dem Gedanken Maréchals wohl näher kommen. Der Rückgang auf das bloße "Ich" als absoluten Geltungsboden wird von Maréchal abgelehnt, nicht weil er die Realgeltung der transzendentalen Spontaneität für zweifelhaft hielte, sondern weil eine schlechthinnige Geltung überhaupt, und dann auch der Erkenntnis der Existenz des "Ich", erst in Hinbeziehung auf das absolute Sein ausgemacht werden kann (54). Das hieße aber nach Maréchal, daß für den, der schon im bloßen Blick auf die Aktualität des Ich absolute Seinsgeltung zu entdecken vorgibt - sei es die Geltung der Existenz des Ich, sei es die Geltung der ursprünglichen Wahrheit ("verbal" verstanden) des Ich -, der Schritt in den "Ontologismus" oder in einen metaphysischen Idealismus unausweichlich wäre (55). Hier aber ist Maréchal zu sehr Schüler des Thomas von Aquin wie auch Kants: Ein Zu-sich-selbst-kommen des menschlichen Geistes gibt es für ihn nur in der "conversio ad phantasmata".

Wo die Aktualität des menschlichen Geistes aber sowohl als eine nach außen gewandte als auch in ihrem notwendigen Bezug auf das absolute

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Sein in den Blick kommt, d. h. in der Affirmation, da steht für Maréchal zweifelsohne auch die Realgeltung dieses Vollzuges fest - in dem Maße, wie das absolute Sein selbst in seiner Realgeltung erkannt wird (56).

Konsequenterweise wäre von hierher allerdings die Frage an J. Maréchal zu richten - und das scheint mir das Richtige an dem oben angeführten Einwand Coreths zu sein -, wie die Seinsgeltung des geistigen Dynamismus selbst zu bestimmen ist, wenn die zentrale Argumentation im Werk Maréchals, der Schluß von der Finalität des menschlichen Geistes auf das "esse subsistens", nicht als schlüssig angesehen werden kann (57).

3.4 Die Retorsion als Sicherung eines absoluten Geltungsbodens

Nach den vorangegangenen, mehr vorbereitenden Erörterungen anhand der Maréchalschen Aussagen soll nun der spekulative Ertrag der Retorsion selbst für die Sicherung eines absoluten Geltungsbodens der Erkenntnis, abgesehen von dem systematischen Zusammenhang, in den die Retorsion bei Maréchal aufgenommen ist, in den Blick genommen werden.

H. Wagner - der die Stichhaltigkeit der Retorsion grundsätzlich anerkennt - hat als Einwand gegen die traditionelle Argumentation vorgebracht, der Relativismus, der die Relativität aller Thesen behaupte, gehöre "- sowohl seinem Selbstverständnis als auch dem Recht nach - jener Menge von Wahrheiten nicht auch selbst an, über die er mit seiner These urteilt" (58). Daß dieser Einwand nicht gegen den eigentlichen Nerv der Retorsion geht, zeigt jedoch schon der kurz hierauf folgende Satz Wagners:

"Freilich heißt das, daß der Relativismus nicht schlechthin universal sein wollen kann, daß er diejenige These, die er selbst ist, von der sonst universalen Relativität ausschließen und ausnehmen muß" (59).

Nichts anderes sagt doch auch das traditionelle Argument:

"si enim veritas non est, verum est veritatem non esse" (60).

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Auch hier wird doch auf die sich aus der beurteilten Totalität ausnehmende Behauptung des Skeptikers zunächst eingegangen, um daraus erst den Schluß zu folgern: veritas est.

Man darf sich allerdings angesichts der Tatsache, daß nicht nur die Retorsion des Skeptizismus "ebenso alt" ist wie der Skeptizismus selbst, sondern offenbar Skeptizismus und Relativismus (61) "ebenso jung" geblieben sind wie diese ihre "Widerlegung", fragen, ob durch die Retorsion allein wirklich aller Relativismus und Skeptizismus so grundsätzlich aus dem Wege geräumt werden kann, wie man immer wieder vorgibt (62).

Nehmen wir die in der Nachfolge Maréchals stehenden Werke O. Mucks und H. Holz' in den Blick, in denen die Retorsion als solche als ausreichender Weg einer absoluten Geltungssicherung erscheint. H. Holz gibt gegenüber einem Einwand W. Stegmüllers ge-en die Widerlegung des Skeptizismus zu: "Es ist freilich richtig, daß aus dem Satz: 'es gibt keine Erkenntnis', sofern dieser keine Erkenntnis ist, nicht folgt, der Satz: 'es gibt eine Erkenntnis', sei eine Erkenntnis". Holz fährt dann aber fort:

"Stegmüller übersieht die metasprachliche Ebene, unter deren Rücksicht allein der von ihm aufgestellte Satz sinnvoll, und nicht der bare Unsinn, sein kann und die in dem Satz: Der Satz: 'es gibt keine Erkenntnis' ist eine Erkenntnis' formuliert werden kann" (63).

Holz folgt hier genau der thomanischen Formulierung: "verum est veritatem non esse".

Schaut man genauer hin, so handelt es sich bei dieser Argumentation entweder um einen analogen (oder gar äquivoken) Gebrauch des Wahrheitsbegriffs oder um eine Sophisterei. Eine Sophisterei liegt dann vor, wenn man die Behauptung des Skeptikers im Grunde nicht ernst nimmt und nur scheinbar auf das Wahrheit beanspruchende Urteil: "es gibt keine Wahrheit", eingeht, um den Gegner bei diesem Wahrheitsanspruch als Zeugen für die - auch ohnedies genugsam gewisse - Wahrheit "in flagranti" zu ertappen. Ein solches Verfahren ist unzulässig, weil man dann konsequenterweise aus diesem "verum est" nicht folgern darf, daß es Wahrheit gibt. Hat der Gegner von vornherein Unrecht, so ist sein Urteil kein Beweis für die Wahrheit (64).

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Anders verhält es sich weitgehend in der Maréchalschule, bei H. Wagner und - in der Nachfolge beider - ausgeprägt bei H. Holz (65). Hier wird die Retorsion zur Grundlage eines transzendentalen Verfahrens, in dem auf die Möglichkeitsbedingungen des Denkens überhaupt reflektiert und das Denken nur soweit in Anschlag gebracht wird, als es auch noch notwendige Voraussetzung seiner eigenen Negation ist. Das Urteil des Skeptikers oder Relativisten wird also in seinem Wahrheitsanspruch ernstgenommen oder zumindest auf sich beruhen gelassen, und nur die Möglichkeitsbedingungen dieses im universalen Zweifel implizierten Urteils werden im transzendentalen Verfahren untersucht.

Für ein solches Vorgehen ist aber wesentlich, daß die Gültigkeit jeder gesetzten Bestimmung außer Betracht bleiben muß. Die etwaige Gültigkeit der vom Zweifler relativierten (nämlich: "aller") Wahrheitssetzungen ist bereits dadurch "eingeklammert", daß man sich methodisch auf den Standort des Zweiflers einläßt. Dieses Einlassen auf das Urteil des Skeptikers ist aber selbst ein vorläufiges: Daß sein Urteil gültig sei, will man ja gerade nicht mitbehaupten, sondern in einer Besinnung auf die Gründe des Denkens überhaupt widerlegen.

Folgert man also aus der Retorsion das sicher erwiesene Bestehen von Wahrheit, so führt man einen äquivoken - oder zumindest "analogen" Wahrheitsbegriff ein. Zur Frage stand doch gerade das Bestehen von gültiger Bestimmung, nicht das Bestehen von Wahrheitsbehauptungen - diese wird auch der schlimmste Skeptiker nicht bezweifeln wollen. Das Ergebnis der Retorsion ist aber zunächst nur das durch das Denken nicht aufhebbare Bestehen von Wahrheitsbehauptung. Der Unterschied der Aussagenebene wird - von H. Holz jedenfalls - auch deutlich gesehen. Es handelt sich um "Wahrheit im 'verbalen' Sinn" (66), die unbezweifelbar gewiß ist, und zwar auf einer "metasprachlichen Ebene" (67).

Man darf, das Ergebnis der Erörterungen im vorausgegangenen Paragraphen hinzunehmend, noch einen Schritt weitergehen (68). Wie selbst der radikalste Zweifel an allem, auch der eigenen Existenz, die mit dem Denken notwendig gegebene Seinsgeltung des transzendentalen Ich nicht

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aufzuheben vermochte, so vermag der radikale Zweifel an aller Wahrheit die Wahrheit nicht aufzuheben, daß mit dem Denken notwendig Affirmation ist. "In actu exercito" gesteht der Zweifler an aller Existenz die Wahrheit seiner Existenz, der Zweifler an aller Wahrheit die Existenz seiner "Wahrheit" zu. Dieselbe transzendentale Grundeinsicht, die unter dem "cartesianischen" Aspekt die im Denken notwendig implizierte Existenz erfaßte, erfaßt hier die Weise, in der Denken notwendig existiert: als Affirmation, als Wahrheitssetzung. Insofern diese transzendentale Grundeinsicht Sein nicht als bloß Gesetztes, als Faktum, als Objekt begreift, sondern Sein in seiner ihm selbst eigenen Helligkeit, als "reditio in seipsum", als Licht, das sich zugleich auf anderes hin ergießt, um es in seiner Helligkeit hell werden zu lassen, darf man mit Recht sagen, daß hier im methodischen Rückgang auf den universalen Zweifel die Spontaneität des Denkens als Identität von Sein und "Wahrheit" ("verbal" verstanden) zutage tritt.

Nun bleiben O. Muck wie H. Holz aber nicht dabei stehen. Schon indem Holz den Terminus "absoluter (Geltungs-)Boden" bzw. "absoluter Grund" von Geltung überhaupt, der durch die Retorsion gewonnen werden soll, übernimmt, ist mehr behauptet als die tatsächlich gewonnene Einsicht, daß jedes, auch das radikal zweifelnde und verneinende Denken, affirmierend ist, Wahrheit setzt. Es ist zugleich damit angedeutet, daß auf diesem Boden wirklich gültige Setzungen geleistet werden können.

Bei O. Muck heißt es:

"Wird die transzendentale Deduktion als Retorsion angewandt, so wird direkt die Realgeltung der betreffenden Aussagen abgeleitet. Hier braucht es keinen Rekurs auf das Finalitätsprinzip. Auch ist nicht von der Ausrichtung der Erkenntnisfähigkeit die Rede. Es wird vielmehr direkt durch Retorsion die Erfüllung, nämlich die Geltung der Erkenntnis aufgezeigt" (69).

"Die Retorsion ... geht ... von der Feststellung des Anspruches der Erkenntnisfähigkeit aus (1). Die unrelativierbare Geltung der Erkenntnis wird dadurch ausgewiesen (2), daß die Tatsache der grundsätzlichen Notwendigkeit solcher unrelativierbarer Geltung aufgezeigt wird. Denn wird der Versuch unternommen, sie in Frage zu stellen, so wird selbst darin wieder der Anspruch auf unrelativierbare Geltung erhoben (4). Indem sich daher die Vernunft überhaupt betätigt, erweist sie sich gerade darin bereits einer Erkenntnis von grundsätzlich unrelativierbarer Geltung fähig" (70).

Hier wird offenbar einfach von der Notwendigkeit absoluten Wahrheitsanspruches auf die grundsätzliche Notwendigkeit von absoluter Wahrheitsgeltung geschlossen.

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Auch H. Holz - bei dem die geltungstheoretischen Überlegungen gegenüber O. Muck allerdings weitaus differenzierter erscheinen - beschreibt das Denken, dessen unumstößliche Wahrheit durch die Retorsion gewiß wird, als "Möglichkeit von Leistbarem, Setzbarem überhaupt" (71). Konsequenter als bei O. Muck - der neben der Retorsion grundsätzlich auch andere Wege der kritischen Begründung von Philosophie gelten läßt - wird bei H. Holz die Retorsion als für ein nichtintuitives Erkenntnisvermögen der einzig mögliche Modus einer Selbst- und Letztbegründung der Philosophie überhaupt" (72) dargestellt. Durch die Retorsion soll demnach also über die Selbstgewißheit der transzendentalen Subjektivität als Affirmation hinaus eine transzendentale Deduktion der (grundsätzlichen) Gültigkeit unseres (objektsetzenden) Erkennens erbracht werden können. Unmittelbar leuchtet das aus der Retorsion des Zweifels nicht ein. Wie ist dies durch weitere Diskursion einsichtig zu machen? Bei O. Muck finden wir außer dem Referat der betreffenden Autoren, die sich der Retorsion bedienen, nur die oben angeführte Behauptung. H. Holz bringt detaillierte Untersuchungen über den durch die Retorsion erreichten "absoluten Boden". Bestimmend ist hier seine Absicht, einen "systemmorphologischen Vergleich" zwischen der transzendentalen Geltungsbegründung bei Maréchal und seinen Nachfolgern einerseits, H. Wagner (und anderen Autoren) andererseits zu ziehen. Bei beiden Denkansätzen geschieht der Rückgang auf ein "transzendentales Absolutes".

Kennzeichnend ist nun für diesen Versuch, daß H. Holz um eines solchen Vergleichs auf transzendentaler Ebene willen bewußt von jeder metaphysischen Charakterisierung des Absoluten - und entsprechend auch von jeder möglichen Differenzierung zwischen dem reflektierenden Ich und der absoluten subsistierenden Wahrheit -, wie sie in der Maréchalschule zu finden ist, absieht. Dies ist unumgänglich, insofern im System H. Wagners die Frage nach einer möglichen Metaphysik in keinem unmittelbaren Zusammenhang steht mit der absoluten Geltungsbegründung. Die Geltungsreflexion steht am Anfang, die Frage nach einer möglichen Metaphysik am Ende der Entfaltung seines Systems der Philosophie. Die absolute Geltungsbegründung ist unabhängig von der Frage nach Gott (73). Inwieweit der von Holz durchgeführte Vergleich den einzelnen Autoren der Maréchalschule gerecht wird, kann hier nicht näher untersucht werden. Im Hinblick auf Maréchal - auf den sich H. Holz vornehmlich stützt - hatte sich oben schon gezeigt, daß die wesentlichste Voraussetzung für

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den angestrebten Vergleich fehlt, insofern nach Maréchal die letzte Gewißheit über eine grundsätzlich unrelativierbare Geltung der Erkenntnis nicht unabhängig von der Erkenntnis des transzendenten absoluten Seins gewonnen werden kann (74). Hier steht Maréchal durchaus mehr in der Nähe Descartes' als Kants, insofern für ihn das Erkenntnisproblem nur im Zusammenhang mit dem Gottesbeweis zu lösen ist. Holz dürfte hier die Grundintention Maréchals verfehlt haben, indem er den "Finalismus" Maréchals aus der Gewinnung des "absoluten Bodens" ausklammert (75).

In diesem Zusammenhang ist nun danach zu fragen, welchen Weg H. Holz selbst von der Retorsion zur Begründung der Gültigkeit des objektsetzenden Denkens weist, wenn er den entscheidenden Gedankengang Maréchals nicht übernimmt. Im fünften Kapitel seiner Untersuchung (76) diskutiert H. Holz zwar ausführlich die erste formale Prinzipialität des "absoluten Bodens". Die Kennzeichnung des absoluten Bodens als "absolute Gesetzmäßigkeit" geht aber, insofern es sich im Grunde hier nur um die Erörterung des Widerspruchsprinzips bzw. analoger Fassungen dieses ersten Prinzips handelt, noch nicht über die Formulierung der durch die Retorsion erreichten ursprünglichen Selbstgewißheit des affirmierenden Denkens hinaus, gibt jedenfalls noch keinen Maßstab dafür ab, ob das Denken, insofern es anderes als wahr setzt (und: insofern es sich selbst inhaltlich bestimmt), diese Setzungen (grundsätzlich) gültig vollziehen kann.

Darüber hinausführend schneidet Holz zwar im sechsten Kapitel die Frage nach dem Absoluten "in gegenständlich-gehaltlicher Rücksicht" an (77), stellt hier aber nur die "erkenntnismetaphysische Theorie der Gegenstandserkenntnis" bei Maréchal infrage (78) und verweist auf das Werk H. Wagners als auf eine transzendentalphilosophisch weiter geläuterte Stufe der prinzipientheoretischen Begründung gültiger Gegenstandssetzung (79). Holz sagt selbst, daß in seiner Arbeit der "Übergang zu gegenstandstheoretischen Fragen nur als ein erster Aufriß geschehen" konnte (80). Man muß tatsächlich feststellen, daß Holz die Möglichkeit eines solchen

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Übergangs von der durch die Retorsion gesicherten absoluten Selbstgewißheit des affirmierenden Denkens zu dem Denken als Leistungsgrund gültiger Objektsetzungen nicht hinreichend einsichtig gemacht hat. Wir werden damit also auf den Geltungsrückgang bei Wagner als einzigen Anhaltspunkt dafür verwiesen, ob man dem Verständnis des "transzendentalen Absoluten" als dem absoluten Boden gültiger Erkenntnis bei Holz folgen kann oder nicht.

Bevor dieser Gedankengang Wagners zu betrachten ist, wollen wir jedoch noch kurz rückblickend ins Auge fassen, was durch die Retorsion selbst im Hinblick auf die kritische Begründung eines absoluten Geltungsbodens nun eigentlich gewonnen ist.

Es scheint sich eine ganz analoge Aporie zu der im vorigen Paragraphen hinsichtlich des "cartesianischen" Zweifels aufgewiesenen zu zeigen (81). In der Retorsion ist das Denken zwar als unaufhebbare Wahrheitssetzung zutage getreten, man darf mit Recht sagen, als der absolute, unhintergehbare "Boden" von Wahrheit, versteht man darunter das Denken als sich selbst lichtes Sein, in dem allein etwas hell, etwas wahr sein kann. Versteht sich das Denken aber als der offene Horizont von Wahrheit, d. h. als den leistenden Möglichkeitsgrund gültiger Bestimmung, so geht es über die retorsiv zu vermittelnde Gewißheit hinaus. Auch auf dem Wege der Retorsion ergibt sich nicht nur der Selbstwiderspruch des universalen skeptischen Zweifels, sondern ebenso die notwendige Selbstaufhebung dieses Zweifels als Methode radikaler Geltungsreflexion: Bei einem Verharren in der Unbestimmtheit absoluten Setzens (das Ergebnis der Retorsion) wird die Intention der auf bestimmte Gültigkeit hinzielenden Geltungsreflexion aufgegeben; bei einem Sprung in den metaphysischen Idealismus w;rd die Faktizität des Denkens und damit der Grund des universalen Zweifels mißachtet. Der Versuch aber, den in der Retorsion aufgewiesenen absoluten Geltungsboden dadurch als Leistungsgrund gültiger Bestimmungen zu denken, daß man ihn als Partizipationsverhältnis begreift - in dem die leere Möglichkeit meines Setzens in ihrer Abkünftigkeit von dem wirklich absoluten Wahrheitsgrund erfaßt wird -, muß den grundsätzlichen Zweifel an allem anderen, dem Ich Erscheinenden, aufgeben: Eine Partizipation meines (in seiner Absolutheit leeren) Setzens an dem wirklich absoluten Wahrheitsgrund ist nur möglich, indem der absolute Grund zugleich in seiner Andersheit zu meinem Setzen erscheint.

Soll diese Paradoxie für den methodischen Zweifel überwunden werden, ohne daß der kritische Ausgangspunkt selbst fallengelassen wird, so muß

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die ursprüngliche Einsicht in die Notwendigkeit einer universalen Geltungsreflexion noch einmal auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hin befragt werden. Dies ist das Thema des folgenden Kapitels.

Zuvor soll jedoch noch - als eine dritte Weise der auf kritische Letztbegründung zielenden Geltungsreflexion - der Rückgang des Denkens auf sich selbst, den absoluten Boden von Gültigkeit, in den Blick genommen werden, wie ihn H. Wagner geführt hat. Dies scheint einmal zum Verständnis des retorsiven Ansatzes von H. Holz erforderlich, der uns im vorigen Paragraphen besonders beschäftigte. Zum anderen ist durch den "systemmorphologischen Vergleich", den Holz zwischen der Maréchalschule einerseits und andererseits (vor allem) dem Denken H. Wagners vorgelegt hat, die Interpretation des Maréchalschen Ansatzes selbst - der in unserer Arbeit vornehmlich den Ausgangspunkt und Gegenstand der Auseinandersetzung bildet - in einen Horizont gerückt, von dem er nur dadurch wirksam abgegrenzt werden kann, daß auch der Horizont selbst wenigstens in Umrissen zur Darstellung kommt.

ANMERKUNGEN

1 Im Anschluß an den thomanischen Ausdruck "redarguitio elenchica", vgl. G. Isaye, La justification critique 205 (unsere Hervorhebung): "Certaines objections sont ainsi faites que l'objectant, par le fait mˆme de son objection, in actu exercito, concède la thèse qu'il voulait nier ou mettre en doute. Porter l'attention de l'objectant sur la concession qu'il vient de faire implicitement, c'est retourner l'objection en ma faveur, c'est rétorquer, c'est faire une rétorsion." Der Ausdruck begegnet innerhalb der Maréchalschule auch bei J. Defever (La preuve 17 A 2, 22, 26, 27) und besonders bei O. Muck (Die transzendentale Methode, passim). H. Holz verweist zwar auf Muck, schlägt selbst aber den Ausdruck "transzendentale Paradoxie" für dieselbe Sache vor (Transzendentalphilosophie 159).

2 Sol. II 2, vgl. II 15.

3 Met. Gamma 3 ff.

4 I 2,1 obi. 3 (der nähere Zusammenhang der Formulierung soll uns hier nicht interessieren); vgl. CG II 33 ampl.

5 Zu J. Maréchal s. o. S. 46 f.; zu J. Defever s. S. 54; zu J. B. Lotz s. S. 60; zu E. Coreth s. S. 72 f.; vgl. K, Rahner, Geist in Welt 142-144; A. Marc, Dialectique de l'Affirmation 178 ff.; B. J. F. Lonergan, Insight 329-332; G. Isaye a.a.O.; A. Grégoire, Immanence et Transcendance 95, 98, 122. Zur Bedeutung des "retorsiven Elementes" in der transzendentalphilosophisch orientierten Scholastik vgl. O. Muck, Die transzendentale Methode, passim, zusammenfassend 283; H. Holz, Transzendentalphilosophie 130: "Es ist nun bezeichnend, daß für Maréchal wie für die ihm verpflichteten Philosophen die Gewinnung des absoluten Bodens nur indirekt, gewissermaßen auf einem Umweg zu bewerkstelligen ist, auf dem Wege einer Polemik gegen den Einwand der prinzipiellen Skepsis, und auch noch des prinzipiellen Relativismus."

6 Besonders auffällig ist dies bei E. Coreth, s. o. S. 72 f.

7 Vgl. H. Wagner, Philosophie und Reflexion, bes. §§ 18, 32. Zum unterschiedlichen Ansatz Wagners gegenüber der Retorsion s. den folgenden Paragraphen.

8 Bei H. Holz ist der retorsive Ansatz (gegenüber der mehr historisch interessierten Arbeit von O. Muck) systematischer entfaltet. S. bes. Transzendentalphilosophie 98 A 2; §§ 16, 17, 29 (bes. S. 234).

9 Cah. 1 21-30.

10 Bes. Cah. V 86-99, 501-504.

11 "Aussi pouvions-nous dire à juste titre que le préambule du Réalisme ancien présentait, sous une forme encore enveloppée, une véritable déduction transcendantale de l'affirmation ontologique" (Cah. V 98, vgl. 503).

12 "Qu'il y ait du vrai, en général, cela s'impose inévitablement à notre esprit, c'est d'une évidence absolument contraignante" (Cah. V 86).

13 Cah. V 86.

14 Ebd. 87.

15 Ebd. 97.

16 "In iudicio revera valorem absolutum attingi, constat ex sequentibus ... valorem absolutum evitare omnino non possumus; nam negantes vel in dubium vocantes ..." (Metaphysica 98).

17 Die transzendentale Methode 172, vgl. 168, 173 u. ö. Vgl. a. A. Marc (Dialectique de l'Affirmation 178 f.), der über die Retorsion unvermittelt zu Aussagen kommt wie:

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"Éternellement donc l'ˆtre et la réalité sont ˆtre et réalité par soi, non seulement de fait, mais de droit..." (ebd. 179), und: "Dans le précaire et le contingent paraĩt une nécessité, dont ils ne sont qu'une dérivation, une participation" (ebd. 180).

18 Vgl. Transzendentalphilosophie 115 u. ö.

19 Ebd. 116.

20 "... reconnaĩtre un rapport de vérité, c'est admettre, en dehors de votre pénsée actuelle et subjective, 'quelque chose' qui la 'contrõle' ... vous opposez l'ˆtre à la pensée actuelle, l'absolu au relatif" (Cah. V 87).

21 Vgl. o. S. 97 ff.

22 Transzendentalphilosophie 140.

23 Vgl. ebd. 140 ff.

24 Holz meint hier wohl den &šuml;bergang zu einem transzendenten Absoluten innerhalb des transzendentalen absoluten Bodens, wie aus den folgenden Zeilen hervorgeht: a.a.O. 144.

25 A.a.O. 144.

26 A.a.O. 230, vgl. 160 f., 212, 216.

27 H. Holz scheint hier von E. Wingendorf (Das Dynamische in der menschlichen Erkenntnis) abhängig, zu dessen Werk Maréchal selbst ein Geleitwort geschrieben hat, aus dem man - trotz des guten Vorsatzes, sich aller "Kritik am Kritiker" zu enthalten - doch nur zu gut das Unbehagen Maréchals über eine solche Unterscheidung bzw. Trennung herausspürt: "La transposition (sc. des Originalwerks in eine deutsche Paraphrasierung) ... concerne, dans le cas présent, autant le fond que la forme. Le fond: en effet, le finalisme intellectuel, envisagé seulement, dans mes écrits, comme partie d'un tout, est ici traité à part comme une theorie qui s'affirme et doit se justifier par elle-mˆme ..." (a.a.O. VII).

28 Cah. V 503.

29 Vgl. den programmatischen späteren Aufsatz: "Phénoménologie pure ou philosophie de l'action" (1930), in: Mél. Maréchal I 181-206.

30 Vgl. A. Milet, Les premiers écrits philosophiques du P. Maréchal, ebd. 23-46.

31 1928, ebd. 102-180.

32 Ebd. 107 (Es folgt an erster Stelle eine Auseinandersetzung mit dem Neukantianismus!).

33 Ebd. 111.

34 Ebd. 113.

35 Ebd. 115.

36 Transzendentalphilosophie 140f. (u. ö.).

37 "... la pure nécessié logique, hypothétique quant à l'existence, et valable indifféremment pour tout contenu, repose, elle aussi, en dernière analyse, sur l'existence nécessaire" (Au seuil de la métaphysique, a.a.O. 108). Hier trifft sich die Kritik Maréchals mit der des Husserl-Interpreten Th. Seebohms an H. Wagner: "... so zeigt sich auch hier, daß eine sich nur der transzendental-logischen Methode bedienende Transzendentalphilosophie in sich selbst nicht zu einer Letztbegründung gelangt, sondern eine sie tragende Metaphysik fordert ... Die transzendentale Subjektivität wird hier zwar als letztbegründendes Prinzip postuliert, sie kann aber als solches nicht ausgewiesen werden, weil die Bedingungen der Möglichkeit originären Ausweises, die Erfahrung, in einer reinen Theorie der Geltung keinen Platz findet" (Bedingungen 179 f.).

38 Au seuil de la métaphysique, a.a.O. 117.

39 "Für Maréchal bleibt ... jede, auch die innere Erfahrung im bloß phänomenalen Bereich" Metaphysik als Aufgabe 54 A 75, vgl. a. oben S. 81.

40 Au seuil de la Métaphysique, in: Mél. Maréchal I 173.

41 "le devenir réel", nicht - wie Holz anscheinend meint (a.a.O. 118 A 16) - der Gegenstand ist in dieser "intuition" erfaßt.

42 J. de Vries, Der Zugang zur Metaphysik 490.

43 La preuve 130-135.

44 A.a.O. 119.

45 Vgl. a.a.O. 138.

46 Mél. Maréchal I 173.

47 A.a.O. 138.

48 S. die Belege bei H. Holz, a.a.O. 118 A 1.

49 Jugement 'scolastique' concernant la racine de l'agnosticisme kantien, in: Mel. Maréchal I 286 f.

50 S. bes. Mél. Maréchal I 116 f.

51 S. bes. ebd. 191-195.

52 S. bes. ebd. 247-249.

53 Cah. V 86, vgl. a. die von Defever beigebrachten Belege (La preuve 132f.); bes. Mél. Maréchal I 95, 252-253, 255.

54 "Aucune connaissance intuitive ou reflexive du Moi ne pourrait atteindre à la nécessité métaphysique qu'en vertu d'une référence, explicite ou implicite, à l'absolu de l'ˆtre: soit que nous pénétrions 'angéliquement' l'essence de l'ƒme jusqu'à sa dépendance transcendantale vis-à-vis de Dieu; soit que nous découvrions, dans le Moi en acte, la postulation logique imperieuse de l'Etre absolu. En deçà de cette perspective infinie, s'amorçant au Moi, il n'y aurait place, dans la conscience objective de nous-mˆmes, que pour une 'phénoménologie' plus ou moins épurée" (Au seuil de la métaphysique, in: Mél. Marechal I 116 f.).

55 Vgl. neben der vorigen Anm. a.a.O. 116: Cette intuition, si nous la possédions, serait incontestablement métaphysique, car elle saisirait, dans et par le Moi, l'absolu de l'ˆtre."

56 Mit dieser Deutung stimmt überein, daß Maréchal in seiner Theorie des intellektuellen Dynamismus "das Richtige" an dem idealistischen Rückgang auf das transzendentale Ich gewahrt sieht (vgl. Au seuil de la Métaphysique, Mél. Maréchal I 116 mit 179). Schon in dem frühen Thesenentwurf von 1914 hatte Maréchal seine Position zwischen der Kantischen Auffassung des transzendentalen Ich als bloßer "Möglichkeitsbedingung des inneren Sinnes" und einer "vollständigen Intuition des Ich in sich selbst" markiert (Jugement 'scolastique' ..., Mél. Maréchal I 286 f.).

57 S. o. Abschn. I, Kap. 1, S 3; zu Coreth selbst vgl. Abschn. I, Kap. 3, õ 1 II.

58 Philosophie und Reflexion 155. - Wagner nimmt von hierher den Hegelschen Begriff des "sich vollbringenden Skeptizismus" und Relativismus auf. Der Relativismus habe, indem er seine eigene Behauptung auf ihre Rechtsgültigkeit hin prüfen müsse, selbst auf die letzten Prinzipien seines Urteilens zurückzugehen und werde somit zum Zeugen für die Absolutheit des Geltungsbodens. - Zu der Geltungsreflexion Wagners selbst s. d. folg. Paragraphen.

59 Ebd. 156. 59 60 Thomas v. A., I 2,1 obi. 3.

61 Eine gute Darstellung beider Spielarten des universalen Zweifels s. bei H. Wagner, a.a.O. § 18.

62 Wagner selbst versucht, absolute Geltungsbegründung wie im Faktischen notwendig erfolgenden Skeptizismus dialektisch zu vereinen.

63 Transzendentalphilosophie 98 A 2.

64 Den Anschein eines solchen sophistischen Vorgehens, das selbst immer apologetisch bleibt und nicht über eine "ad-hominem"-Argumentation hinauskommt, erwecken etwa die Retorsionsketten G. Isayes (La justification critique).

65 "Daher ist die Retorsion des universalen Zweifels nicht bloß, wie bei Muck referiert wird, ein mehr oder weniger apologetisches Verfahren, das bei geschickter Handhabung auf fast jeden Gegenstand anwendbar erscheint, sondern für ein nicht-intuitives Erkenntnisvermögen der einzig mögliche Modus einer Selbst- und Letztbegründung der Philosophie überhaupt" (H. Holz, Transzendentalphilosophie 234).

66 H. Holz, a.a.O. 115.

67 Vgl. ebd. 98 A 2.

68 H. Holz bewahrt gegenüber einer ontologischen Charakterisierung der affirmierenden Subjektivität eine deutliche Zurückhaltung. Sein Seinsbegriff ist - wohl aufgrund des Versuchs, einen "system-morphologischen Vergleich" zwischen Maréchal und Wagner (und anderen) zu ziehen - sehr kompliziert und kann hier nicht näher erörtert werden.

69 Die transzendentale Methode 168.

70 Ebd. 172.

71 Transzendentalphilosophie 116.

72 A.a.O. 234.

73 H. Wagner, Philosophie und Reflexion, bes. § 34. "Nur als philosophia ultima ist die Metaphysik im System der Philosophie möglich" (416).

74 S. o. S. 113-115.

75 O. Muck steht insofern H. Holz nahe, als auch er den Rekurs auf das Finalitätsprinzip nicht zur Geltungsbegründung für notwendig hält, sondern lediglich zum näheren Verständnis der Erkenntnisgeltung (Die transzendentale Methode 168-178, bes. 177). Vgl. a. unsere Ausführungen zu J. Defever, S. 54 Anm. 1.

76 "Der absolute Boden als absolute Gesetzmäßigkeit und deren Formulierung", a.a.O. 175 ff.

77 S. bes. § 27, 209 ff.

78 A.a.O. 210 ff., bes. 213 f. In der Darstellung des Maréchalschen Gedankengangs entfällt dabei der - für Maréchal entscheidende - Schritt von der Möglichkeit des Absoluten auf seine Wirklichkeit.

79 A.a.O. 217 f.

80 Vgl. ebd. 231.

81 Siehe o. S. 107-109.


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