Eröffnungsrede zur Ausstellung: "Großherzog Friedrich I. und die badischen Universitäten" in der UB Freiburg


Die badische Hochschulpolitik in der Ära Friedrichs I.
(1852/56 bis 1907)


Prof. Dr. Eike Wolgast
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Historisches Seminar


I.

Die badische Hochschulpolitik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umfaßt eine Periode, in der - nach einem Vorbereitungszeitraum von etwa dreißig Jahren - die Wissenschaften sowie die wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland und in Europa auf einen bis dahin nicht gekannten Höchststand gelangten. Das bis zum Ende des 18. Jahrhunderts unangefochten geltende Verständnis von Wissenschaft hatte sich an der Überlieferung und Vermittlung eines festen Kanons von Kenntnissen orientiert. Dieser statische Wissenschaftsbegriff wurde nach 1800 von einem dynamischen abgelöst, den Wilhelm von Humboldt klassisch definierte: Wissenschaft als "etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes". Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist demgegenüber gekennzeichnet durch den Zerfall des Einheitspostulats. "Aus dem enzyklopädischen Hochschullehrer ist der spezialistische Forscher geworden", resümierte Friedrich Paulsen am Ende des Jahrhunderts. Aus der Wissenschaft entfalteten sich die Wissenschaften, die je eigene Fragestellungen und Methoden sowie eigene Zwecke formulierten. Innerhalb der Großdisziplinen bildeten sich vielfältige Subdisziplinen heraus. Verbindlich blieb dagegen weithin die Absage an den Utilitarismus des 18. Jahrhunderts, die betonte Distanzierung gegenüber Anwendung und Praxis.

Die deutsche Universität war bis zur Reichseinigung eine der wenigen Institutionen, die als ihre originäre Aufgabe die Pflege des nationalen Gedankens ansahen; in ihrem wichtigsten Wesensmerkmal - der Freizügigkeit für Professoren und Studenten - nahm sie für den akademischen Bereich die nationale Einheit und das einheitliche Staatsbürgerrecht gewissermaßen vorweg. Diese nationale Aufgabe ersetzten die Universitäten nach 1870 durch eine gesteigerte Bedeutung von Wissenschaft und Forschung - einerseits in einer immer vielfältigeren Differenzierung in Einzelwissenschaften, andererseits in Verstärkung der Tendenz zum "Großbetrieb der Wissenschaft", wie Theodor Mommsen formulierte, in dem der einzelne Gelehrte zunehmend auf Zuarbeit und auf Zusammenarbeit angewiesen war.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderten die deutschen Universitäten ihr Erscheinungsbild. Das galt schon rein äußerlich, indem neue Kollegien- und Hauptgebäude entstanden sowie Institute, Laboratorien und Kliniken gebaut wurden. Es zeigte sich ferner in der Unterrichtsform - neben die Vorlesung traten das Seminar und experimentelle Übungen. Vor allem aber wurde die Veränderung in der Frequenz der Studenten und in deren Sozialstruktur sichtbar. Waren um 1850 an deutschen Universitäten 12.300 Studenten immatrikuliert, so betrug die Zahl 1880 bereits 21.000 und stieg bis 1910 auf 48.000. Der Lehrkörper vergrößerte sich gleichfalls, aber bei weitem nicht in demselben Ausmaß wie die Zahl der Immatrikulierten.


II.

Die gesamtdeutsche Entwicklung findet in Baden ihre Entsprechung, wenn auch mit gewissen Brechungen, die das Specificum der badischen Hochschulsituation ausmachen. Im Folgenden will ich in gebotener Kürze vier Aspekte behandeln:

  1. Die badische Hochschullandschaft bis 1860;
  2. die Beziehungen Großherzog Friedrichs I. zu Bildung und Wissenschaft;
  3. Minister und Ministerialbürokratie;
  4. die Entwicklung der badischen Hochschulen in der Ära Friedrichs I.

Ich muß vorauszuschicken, daß es mir aus Zeitgründen unmöglich war, ungedruckte Materialien auszuwerten. Es gibt auch weder eine zusammenfassende Arbeit über die Kultus- und Wissenschaftspolitik der badischen Regierungen während der Herrschaft Friedrichs I. noch gibt es eine wissenschaftliche Biographie des Großherzogs, so viel Material zu seiner Deutschland- und Reichspolitik auch publiziert worden ist. Allerdings gibt es aus dem Jahre 1912 ein umfangreiches Zahlenwerk: "Die badische Hochschulstatistik" mit vorzüglichen und ausführlichen Materialien zur Entwicklung des 19. Jahrhunderts und bis 1910. Auf sie werde ich im Folgenden vielfach zurückgreifen.


1. Die badische Hochschullandschaft bis 1860

Baden, das - nach über zweihundertjähriger Trennung - als einheitlicher Staat erst wieder seit 1771 bestand, hatte bis zur Auflösung des Alten Reiches und bis zum enormen Territorialzuwachs 1802/03 und 1805 über keine Universität verfügt. Beim Reichsdeputationshauptschluß fiel Baden die kurpfälzische Universität Heidelberg und nach dem Frieden von Preßburg die vorderösterreichisch-habsburgische Universität Freiburg zu. Karl Friedrich von Baden übernahm das Dauerrektorat - im 13. Organisationsedikt von 1803, das den Fortbestand von Heidelberg als Landesuniversität garantierte, hieß es: "Rektor der Universität ... wollen wir selbst sein und unsern Nachfolgern in der Kur diese Würde hinterlassen." Der jeweilig regierende Fürst wurde "Rector magnificentissimus", für den am Ort ein gewählter Prorektor die Geschäfte führte. Freilich war diese Bestimmung nicht, wie beflissene Lobredner in der Folgezeit immer wieder versicherten, der Ausdruck einer besonderen landesväterlichen Fürsorge für die Universitäten, sondern nur die Übernahme eines schon überholten Musters. Das landesherrliche Dauerrektorat gehörte zum absolutistischen Serenissimusverständnis des 18. Jahrhunderts, als es an verschiedenen deutschen Universitäten installiert worden war (Halle und Göttingen seit ihrer Gründung, Jena und Marburg eher zufällig).

Die Universität Heidelberg war nicht gefragt worden, ob sie auf ihr Rektorat zu verzichten bereit war - sie hatte gleichwohl Grund zur Dankbarkeit, da sie alle autonomen Einnahmequellen, vor allem auf der linken Rheinseite gelegen, verloren hatte und gänzlich auf die staatliche Alimentierung angewiesen war. Freiburg war finanziell sehr viel besser gestellt, denn der Freiburger Eigenbesitz war wenigstens teilweise erhalten geblieben - noch 1870 betrugen die Einnahmen daraus 40% des Universitätsetats. Um die Gleichbehandlung mit Heidelberg herzustellen, trug aber Freiburg nach dem Übergang an Baden von sich aus die Rektorwürde dem Großherzog an. Allerdings mußte zuvor Erzherzog Karl von Österreich die Würde des Rector perpetuus niederlegen, die ihm die Universität 1796 aus Dankbarkeit für die Befreiung von der französischen Besetzung verliehen hatte - was er auch bereitwillig tat. Das fürstliche Dauerrektorat blieb im ganzen 19. Jahrhundert in Freiburg und Heidelberg in Geltung und wurde erst durch die Revolution von 1918 abgeschafft.

Baden schien durch die Existenz von plötzlich zwei Universitäten statt bisher keiner finanziell und mental überfordert. Daher schwebte seit 1803, erst recht seit 1805 über den Universitäten das Damoklesschwert der Verlegung an einen anderen Ort (Karlsruhe, Mannheim), der Aufhebung einer von ihnen oder mindestens der Fächerkonzentration und Fakultätenzusammenlegung. 1807 wurde damit auch ein Anfang dazu gemacht, als die Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät von Heidelberg nach Freiburg versetzt wurden. Zeitweise plante die Regierung, die Medizin in Freiburg zu konzentrieren und die Jurisprudenz in Heidelberg. Zusammenlegungspläne oder die Aufhebung von Freiburg bzw. von Heidelberg wurde in der Öffentlichkeit vor allem im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts immer wieder diskutiert, und noch 1890 kam im Landtag die Aufhebung einer der beiden Universitäten zur Sprache. Damit könne, wie der Freiburger Vertreter damals in der Ersten Kammer feststellte, nur seine Universität gemeint sein, denn, wie der Bericht über die Landtagsverhandlungen in indirekter Rede festhielt, "eine Aufhebung der Universität Heidelberg sei ja nach der Entwicklung, die diese Universität in den letzten Jahren genommen habe, überhaupt nicht möglich, solange das deutsche Volk noch ein Kulturvolk sei." Aber auch eine Aufhebung von Freiburg sei nichts als eine Herostraten-Tat. Zu den beiden Universitäten kam 1865 als dritte Hochschule des Landes die Technische Hochschule Karlsruhe hinzu.

Im Kaiserreich zeichnete sich Baden durch seine Hochschuldichte aus. Legt man den Stand von 1872 zugrunde, die Technischen Hochschulen nicht mitgerechnet, kam Baden hinter Preußen (mit 9 von 20 deutschen Universitäten) und Bayern (drei Universitäten) auf den dritten Platz, obwohl es der Flächengröße wie der Einwohnerzahl nach erst an fünfter Stelle rangierte - die größeren und bevölkerungsreicheren, auch wirtschaftlich potenteren Bundesstaaten Sachsen und Württemberg begnügten sich jeweils mit einer Universität.

Die badische Verfassung von 1818 enthielt zwar keine Bestimmung über Lehr- und Wissenschaftsfreiheit, berücksichtigte aber die Landesuniversitäten in zwei Zusammenhängen. Freiburg und Heidelberg erhielten je einen vom akademischen Senat zu wählenden Vertreter in der Ersten Kammer - 1904 kam ein Delegierter der Technischen Hochschule Karlsruhe hinzu. Art. 21 sicherte die finanzielle Grundlage wenigstens auf dem gegenwärtigen Niveau: "Die Dotationen der beiden Landesuniversitäten ..., sie mögen in eigentümlichen Gütern und Gefällen - das ging vor allem Freiburg an - oder in Zuschüssen aus der allgemeinen Staatskasse (wie für Heidelberg) bestehen, sollen unverschmälert bleiben."

Politisch begann für Baden mit der liberalen Wende von 1860 eine neue Zeit. Die seit der Niederschlagung der Revolution nachdrücklich betriebene Politik der Restauration und Reaktion kam sinnfällig an ihr Ende, als die Zweite Kammer 1859 das von der Regierung mit dem Vatikan und dem Freiburger Erzbischof ausgehandelte Konkordat ablehnte, da in ihm der Einfluß der katholischen Kirche auf das Schul- und Unterrichtswesen weit ausgedehnt worden war. Auch die Universität Freiburg wäre vom Konkordat unmittelbar betroffen gewesen, erhielt doch der Erzbischof die Leitung und Aufsicht über die Theologische Fakultät in Bezug auf das kirchliche Lehramt. Das wurde im Einzelnen so erläutert: Der Erzbischof erteilt den Professoren die Ermächtigung zu "katholischen Lehrvorträgen" und entzieht sie ihnen nach seinem eigenen Ermessen; er darf auch "ihre Hefte und Lehrbücher einer Prüfung unterwerfen." Die Regierung verpflichtete sich zudem, etwaigen Beschwerden des Erzbischofs über Stellungnahmen von Angehörigen anderer Fakultäten gegen katholische Glaubens- und Sittenlehren Rechnung zu tragen. Die liberale Öffentlichkeit, insbesondere auch die liberalen Professoren protestierten gegen diesen massiven Eingriff in die Lehrfreiheit und trugen dazu bei, daß die Ratifizierung des Konkordats im Landtag scheiterte.


2. Die Beziehungen Großherzog Friedrichs I. zu Bildung und Wissenschaft

Als 1860 eine Regierung unter Anton Stabel mit den profilierten Liberalen August Lamey und Karl Mathy ihr Amt antrat, regierte Friedrich I. bereits acht Jahre - zuerst als Regent für seinen geisteskranken Bruder Ludwig, seit 1856 als Großherzog, obwohl der ältere Bruder erst zwei Jahre später starb. Seine Regierungsübernahme stand nicht gerade unter günstigen Vorzeichen. 1.) Friedrich I. repräsentierte eine evangelische Dynastie in einem Land mit einem katholischen Bevölkerungsanteil von zwei Dritteln, geistig geleitet von einem äußerst selbst- und machtbewußten Erzbischof, dessen Politik unverhohlen darauf abzielte, die Periode des Staatskirchentums zu beenden. 2.) Die Nachwirkungen der Revolution von 1848/49, die in Baden insbesondere in der zweiten Phase zu singulären Vorgängen geführt hatte (Flucht des Großherzogs aus dem Lande, Übergang der Truppen auf die republikanische Seite), prägten Politik und Politiker. Das Revolutionstrauma beherrschte den Großherzog offensichtlich sein ganzes Leben hindurch - noch 1891 notierte die Obersthofmeisterin: "Daß dieses Gespenst der Revolution ihn nie verläßt, davon bin ich überzeugt." 3.) Zur Verunsicherung Friedrichs I. trug auch das dynastische Legitimationsdefizit bei. Er war erst der zweite Großherzog der Hochberger Linie - der Schatten des 1833 ermordeten Kaspar Hauser, des angeblich letzten Vertreters der alten und der Abstammung nach untadeligen Zähringer Linie, der zugunsten der Nebenlinie um Thronfolge und Leben gebracht worden sein sollte, lag lange über der Regierung Friedrichs. Noch 1875 und erneut 1883 ließ der Großherzog Nachforschungen in der Hauser-Frage anstellen und Anschuldigungen in der Presse widerlegen. Einen dynastischen Rückhalt brachte Friedrich dagegen 1856 die Heirat mit der Tochter des damaligen Prinzen von Preußen, des späteren Kaisers Wilhelm I.

Auch wenn Friedrich I. 1860 sein Land in eine liberale Zeit führte, wobei seinem vertrauten Berater und Studienfreund Franz von Roggenbach als grauer Eminenz eine wichtige Rolle zugekommen war, ist nach allen vorliegenden Zeugnissen doch zu sagen, daß zwar die Minister und ihre Politik liberal wurden, der Großherzog jedoch nicht annähernd in demselben Maße. Der Staatsminister Arthur von Brauer urteilte jedenfalls über den altgewordenen Fürsten nach der Jahrhundertwende, er sei "in seiner Regierungsweise nicht so ‘konstitutionell’ gewesen, im Sinne der Lehre, wie man von ihm glaubte und er auch wohl glauben machen wollte. Er hatte im Grunde eine starke Neigung, selbstherrlich zu entscheiden." Die monarchische Autorität bestand für ihn unhinterfragt als Selbstverständlichkeit, seine fürstliche Stellung sah er lediglich durch die Verfassung von 1818 begrenzt. Über dieses Selbstverständnis, beruhend auf dem monarchischen Prinzip, war aber die faktische politische Entwicklung der Parlamentarisierung und indirekten Demokratisierung längst hinweggegangen.

Über die innenpolitischen Anschauungen Friedrichs I. läßt sich den veröffentlichen Quellen nicht sehr viel Material entnehmen. Unbezweifelbar ist jedoch seine ausgeprägt nationale Gesinnung, die ihn - nicht zuletzt unter dem Einfluß des Historikers Ludwig Häusser - zum entschiedenen Vorkämpfer der kleindeutschen Lösung machte. Friedrich I. dachte sein ganzes Leben hindurch national und suchte diese Gesinnung in zahlreichen Ansprachen und auch in anonymen Zeitungsartikeln zu verbreiten und zu festigen, trotz enttäuschender Erfahrungen mit Bismarck und dann vor allem mit Wilhelm II. Zumindest im Alter hatte der Großherzog, wie Brauer feststellte, "fast mehr Interesse für die Reichsangelegenheiten und für Fragen der hohen Politik ... als für die Angelegenheiten seines Landes." Bei Ministerialvorträgen "pflegte er die badischen Angelegenheiten mit einer gewissen Ungeduld zu Ende zu hören, um dann mit behaglicher Breite über alle möglichen Reichsfragen sich auszulassen." Vermutlich geschah dies um so ausgedehnter, je geringer sein faktischer Einfluß auf die Reichspolitik war.

Bei der Reichsgründung hatte der Großherzog für sein Land im Gegensatz zu Bayern und Württemberg auf alle Reservatrechte verzichtet - an den verbliebenen Souveränitätsrechten hielt Friedrich I. dagegen betont fest. Zu ihnen gehörte in erster Linie die Kulturstaatsaufgabe. 1875 erklärte er dem Staatsminister Jolly: "Sie wissen, daß ich insbesondere seit der Entstehung des Deutschen Reiches den Gedanken verfolge, es sei die Aufgabe der einzelnen deutschen Staaten, mehr noch, denn früher geschah, für Künste und Wissenschaften mit ganzer Kraft einzutreten. Die Förderung derselben in vielen kleinen oder größeren Zentren bildet den tiefsten Gehalt unserer nationalen Bedeutung und Kraft."

Letztlich sah Friedrich I. also auch den Zweck des Kulturstaates vor allem in der Erziehung zu national-vaterländischer Gesinnung. Voller Sorge glaubte er seit der Jahrhundertwende eine Abnahme des Nationalgedankens in Süddeutschland feststellen zu müssen. Das Heilmittel gegen den Verfall sah er in einem verstärkten Geschichtsunterricht an Schulen und Hochschulen: "Die nationale Gesinnung entsteht nur aus der genauen Kenntnis der Geschichte." Noch kurz vor seinem Tod trat er dafür ein, die Zahl der Geschichtsprofessuren an den Universitäten zu vermehren und eine Art obligatorisches Historicum für Staatsexamenskandidaten einzuführen.

Es ist nicht leicht, über Friedrich I. eine zusammenfassende Wertung zu formulieren. Der beste Kenner, Walter Peter Fuchs, dem wir die umfangreiche Aktenpublikation "Großherzog Friedrich I. und die Reichspolitik" verdanken, resümierte 1995 als Ergebnis einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit Person und Politik Friedrichs I.: "Der Großherzog war kein eigentlich schöpferischer Geist, nicht einmal in dem ihm in besonderer Weise zugewiesenen politischen Bereich. Er war im Grunde ein Mann der Tradition, trotz aller Einsicht in den ewigen Wandel aller von Menschen geschaffenen Verhältnissen nicht gewillt, seinen Stand als Monarch und die Rechte seiner Dynastie auch nur einen Augenblick lang zu vergessen, und einsichtig genug, die Möglichkeiten seines Landes nicht zu überschätzen. Bei seinen Standesgenossen war er wegen seiner Gabe als Vermittler und Schlichter wie kein anderer geachtet, bei der Mehrzahl seiner Landeskinder verehrt und sogar beliebt wegen seiner natürlichen Einfachheit und Zugewandtheit, mit der er jedermann ohne Ansehen von Rang und Stand zu begegnen wußte."

Die Hochschulen seines Landes stellten für Friedrich I. einen wichtigen Faktor der Kulturstaatsaufgabe dar, wenn nicht sogar den wichtigsten überhaupt. Dabei war Heidelberg in der fürstlichen Gunst eindeutig bevorzugt - hier hatte Friedrich I. studiert, zwei Jubiläen fielen in seine Regierungszeit: 1886 die 500-Jahrfeier, 1903 die hundertjährige Wiederkehr der Übernahme durch Baden. Das 400-jährige Jubiläum von Freiburg 1857, das gleichfalls in Anwesenheit des Großherzogs gefeiert wurde, war dagegen noch in die Reaktionszeit gefallen.

Daß die badischen Prinzen studierten, besaß Tradition. Schon Friedrichs Vater Leopold von Hochberg (Großherzog 1830-52) hatte in Heidelberg Staatswissenschaften studiert. Friedrich und sein älterer Bruder Ludwig hörten 1843-45 in Heidelberg Vorlesungen und erhielten Privatlektionen. Wie der Großherzog in seinen Jugenderinnerungen berichtete, wurde das Studium durchaus ernsthaft betrieben. Alle Vorlesungen wurden "nachträglich durch häusliche Arbeit noch ergänzt und ausgearbeitet", bei Privatvorträgen wurden "die schriftlichen Ausarbeitungen dem Lehrer am folgenden Tage zur Durchsicht und Korrektur vorgelegt."

Einflußreichster akademischer Mentor des bei seiner Immatrikulation erst siebzehnjährigen Prinzen war der damals 25-jährige Privatdozent der Geschichte Ludwig Häusser. Daneben nannte Friedrich I. später bei unterschiedlichen Gelegenheiten als seine Lehrer immer wieder die Historiker Schlosser und Gervinus, den Theologen Rothe, die Juristen Mittermaier und Vangerow. Mit Häusser, den er als Ratgeber in Universitätsangelegenheiten nutzte und der unmittelbar und als Abgeordneter der Zweiten Kammer auch mittelbar auf die politische Willensbildung Friedrichs I. Einfluß nahm, blieb der Großherzog bis zu dessen Tod 1867 in Verbindung. Mehrfach (so 1858/59) ließ er ihn in Karlsruhe vor einem ausgewählten Hofpublikum historische Vorträge halten.

Bei Freiburg fehlten die persönlichen Anknüpfungspunkte. Eine dezidiert antikatholische Einstellung des Großherzogs ließ die Beziehungen zu dieser Universität, insgesamt gesehen, eher formell bleiben. Der Kirchenhistoriker und Archäologe Franz Xaver Kraus, ein liberaler, nicht ultramontan gesinnter Freiburger Theologieprofessor, diente ihm als Gewährsmann in katholischen Angelegenheiten und wohl auch als Ratgeber bei Personalfragen der Universität. Seinen Sohn, den späteren Friedrich II., ließ der Großherzog offenbar aus Paritätsgründen sowohl in Heidelberg als auch in Freiburg studieren, ebenso den potentiellen Thronfolger Max von Baden.

Peinlich genau in Protokoll- und Etikettefragen, sorgte der Großherzog für ein würdiges Äußeres seiner Hochschullehrer. 1902 verlieh er den Professoren von Freiburg und Heidelberg eine Amtstracht: Schwarze Talare aus Wollstoff mit farbigen Fakultätsunterscheidungen an Aufschlägen und Ärmeln sowie ein Barett.

Die 1825 gegründete "Polytechnische Schule" in Karlsruhe wurde in der Regierungszeit Friedrichs I. 1865 zur Technischen Hochschule erhoben und nach und nach mit den Universitätsprivilegien ausgestattet, 1902 durfte sie den Namen "Fridericiana" annehmen. 1854 stiftete der Großherzog in seiner Residenzstadt eine Kunstschule, die 1876 vom Staat übernommen und 1892 zur Akademie der bildenden Künste aufgewertet wurde. In die letzten Amtsjahre Friedrichs fielen die Planungen für die 1908 eröffnete Handelshochschule Mannheim, die allerdings nicht dem Staatshaushalt zur Last fallen, sondern von der Stadt finanziert werden sollte.


3. Minister und Ministerialbürokratie

Im monarchischen Staat wird jedwede amtliche Aktivität dem Fürsten zugeschrieben - das war auch im liberalen Baden nicht anders. Wichtiger als der Großherzog waren für die Alltagsgeschäfte, aber auch für neue Konzeptionen die Minister und die hohen Beamten. In der Kultusverwaltung herrschte eine bemerkenswerte personelle Kontinuität. Regierte der Großherzog mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch, so lag die Leitung der Hochschulabteilung zwischen 1868 und 1915 in der Hand von nur zwei Beamten, Wilhelm Nokk (1832-1902) und Franz Böhm (1861-1915) - beide bürgerliche Juristen und katholischer Konfession. Organisatorisch gehörte das Hochschulwesen mit der gesamten Unterrichtsabteilung zunächst zum Innenministerium - Hochschulreferent war seit 1868 Wilhelm Nokk, der 1881 das neugeschaffene "Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts" übernahm. 1893 wurde er zusätzlich Staatsminister und Präsident des Staatsministeriums, erst 1901 gab er seine Ämter auf. Franz Böhm war seit 1899 Hochschulreferent und damit gewissermaßen Ressort-Nachfolger Nokks. Er erhielt 1911 die Leitung des vom Justizwesen abgetrennten und neuerrichteten "Ministeriums des Kultus und Unterrichts", starb aber bereits 1915.

Nokk wie Böhm waren politisch liberal - Nokk vertrat sogar mehrere Jahre die Nationalliberalen im Landtag. Beide besaßen Respekt vor der Autonomie von Fakultät und Hochschule, Respekt vor der Freiheit von Forschung und Lehre. Gegenüber dem problematischen, wenn auch effizienten System Althoff in Preußen lobte Max Weber im Rückblick die badische Kultuspolitik in aller Öffentlichkeit: "Ich bekenne ganz offen, als ich seinerzeit (sc. 1894) aus dem Gebiet der preußischen Unterrichtsverwaltung in das der badischen (sc. nach Freiburg) kam, hatte ich das Gefühl, in saubere Luft zu kommen."

In Nokks Amtszeit fiel die Entscheidung zugunsten des Frauenstudiums - im Sommersemester 1901 studierten in Heidelberg 10, in Freiburg 12 junge Frauen, bis 1910 stieg die Zahl auf 191 bzw. 115. Auf Nokk geht im übrigen auch die Inventarisierung der badischen Kunstdenkmäler zurück (der erste Band erschien 1887), ebenso die Gründung der Badischen Historischen Kommission (1883). Er förderte mit großem Einsatz die Entwicklung der Technischen Hochschule und die Akademie der bildenden Künste.

Wenn es auch nicht wörtlich zutraf, daß in Nokks Amtszeit der Hochschuletat jährlich zunahm, so waren die Zuwachsraten doch beträchtlich. Durchschnittlich betrug das Hochschulbudget 3% des Staatshaushalts und lag damit an der Spitze der deutschen Staaten. Die überregionale Attraktivität der badischen Hochschulen rechtfertigte diesen Aufwand. Kritik am Hochschuletat wies Nokk 1890 in der Ersten Kammer zurück, indem er - ganz untypisch für den Geist des Kaiserreiches - militärische und Bildungskosten in Vergleich setzte: Der Unterhalt eines Kavallerieregiments erfordere jährlich mehr als das Ordinarium der drei badischen Hochschulen betrage. Zwar sei, wie Nokk hinzufügte, das Heer notwendig, "um den Fortbestand des Staates zu verbürgen, aber in zweiter Linie sei es Pflicht, dieses Gebäude (sc. des Staates) mit einem würdigen und köstlichen Inhalt zu füllen."

Die Universitäten dankten dem Minister seinen Einsatz mit zahlreichen Ehrungen. Bei der 500-Jahrfeier erhielt Nokk in Heidelberg den juristischen Ehrendoktor, zehn Jahre später die Würde eines Dr.rer.nat.h.c. Anläßlich seines Ausscheidens aus dem Amt wurde Nokk auch noch Ehrendoktor der Medizinischen und Philosophischen Fakultät in Heidelberg sowie Ehrendoktor der Philosophischen und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in Freiburg, ferner Dr. der Ingenieurswissenschaften in Karlsruhe. Die Städte Heidelberg und Karlsruhe ernannten ihn zum Ehrenbürger.

Die Ministerialzeit Böhms war zu kurz, zudem am Ende durch den Ausbruch des 1. Weltkriegs bestimmt, als daß er sich nach außen besonders hätte profilieren können. Immerhin hat der Freiburger Historiker Georg von Below in seiner "Selbstdarstellung" die Ära ab 1899 "die Blütezeit der badischen Universitäten" genannt. Böhm wurde nachgerühmt: "Er machte den Dozenten ihre Tätigkeit möglichst angenehm."


4. Die Entwicklung der badischen Hochschulen in der Ära Friedrichs I.

Von den beiden Landesuniversitäten nahm Freiburg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eindeutig den größeren Aufschwung. Die Philosophische Fakultät erklärte denn auch im Ehrendoktordiplom geradezu, daß Nokk "alter quasi conditor constitutorque dici potest" - eine bemerkenswerte Aussage, da derartige Ruhmesbezeichnungen eigentlich nur Fürsten zustanden. Auch die Dankesbezeugungen der Freiburger Vertreter in der Ersten Kammer fielen stets um einiges enthusiastischer aus als die der Heidelberger.

Zu Beginn der liberalen Ära war dies anders gewesen - damals hatte Freiburg noch in jeder Hinsicht im Schatten Heidelbergs gestanden. Nachdem im Vormärz die Universität unter Rotteck und Welcker ein Mittelpunkt der Opposition gewesen und deswegen zwecks Personalsäuberung und Beschneidung der Autonomie 1832 sogar für kurze Zeit geschlossen worden war, erwies sie sich in der Folgezeit als domestiziert - mit entsprechend negativen Konsequenzen für die Studentenzahl: Freiburg gehörte lange Zeit zu den kleinen Universitäten Deutschlands. Zudem war sie eindeutig konfessionell ausgerichtet; die Theologische Fakultät beanspruchte und praktizierte Mitwirkungsrechte bei der Besetzung der Lehrstühle in anderen Fakultäten. Bis in die siebziger Jahre hinein galt Freiburg als katholisch-konservativ-großdeutsch, während Heidelberg evangelisch-liberal-kleindeutsch geprägt war. Ein großer Teil der Freiburger Studenten stammte aus Baden - auch dies lange Zeit ein Unterschied zu Heidelberg. Die Errichtung der Reichsuniversität Straßburg 1872 drohte das Freiburger Einzugsgebiet zusätzlich zu verkleinern - in jenen Jahren wurde daher erneut öffentlich über die Aufhebung der Universität diskutiert, zumal die Zahl der Theologiestudenten infolge des Kulturkampfes stark zurückging. 1871 waren nur noch 204 Studenten in Freiburg immatrikuliert. Erst 1878 glaubte der Freiburger Vertreter in der Ersten Kammer feststellen zu können, durch die Verhandlungen des Landtages "sei ein Alp von der Universität Freiburg genommen worden, der lange Jahre auf ihr gelastet habe, nämlich die Besorgnis der Aufhebung." Aber schon 1890 wurde erneut über dieses Thema gesprochen.

Bis weit über die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die katholischen Professoren in Freiburg in der großen Mehrheit. Seit 1860 bemühten sich aber die liberalen Regierungen systematisch, durch Berufungen evangelischer Dozenten den exklusiven Charakter der Universität zu modifizieren. Schon 1863 wurde Heinrich von Treitschke als beamteter Extraordinarius für Staatswissenschaften berufen. Er sah selbst seine Aufgabe darin, "als ein vorgeschobener Posten protestantischer Bildung inmitten dieser ultramontanen Welt" zu wirken. Um die Jahrhundertwende war die angestrebte Konfessionsumschichtung gelungen. 1910 war eine große Mehrheit des Lehrkörpers evangelisch, wenngleich im Interesse der Theologiestudenten, die für ihre philosophischen Studien gleichfalls auf die Universität angewiesen waren, stets eine Professur für Philosophie und eine für Geschichte mit einem Katholiken besetzt wurden - vertraglich verankert wurde dies allerdings erst im Konkordat von 1932. Freiburg galt als Aufsteigeruniversität und war attraktiv besonders für jüngere Professoren. Die Zahl der etatmäßigen Professuren betrug 1850 29 und stieg bis 1910 auf 64 (davon 52 ordentliche, 12 außerordentliche Professoren), wobei allein im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts acht neue Professuren (davon 2 außerordentliche) eingerichtet wurden.

Organisatorisch veränderte sich das Gesicht der Universität 1896 durch die Errichtung einer Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, in der die Juristische Fakultät und die staatswissenschaftlichen Fächer der Philosophischen Fakultät aufgingen - diese Reform hat in Heidelberg nie stattgefunden. 1894 teilte sich die Philosophische Fakultät in die Philologisch-historische und die Mathematisch-naturwissenschaftliche Sektion, zu deren endgültiger organisatorischer Trennung es aber erst 1910 kam - in Heidelberg war diese Trennung ohne ein Zwischenstadium bereits 1890 erfolgt.

Eine staatliche Dotation erhielt Freiburg erstmals 1820 (15.000 fl.), die Dotation stieg bis 1844 auf 32.000 fl. Zwischen 1850 und 1865 blieben die Staatszuwendungen unverändert, stiegen danach aber nahezu kontinuierlich. 1850 betrugen sie 60.800 Mk im ordentlichen und 23.200 Mk im außerordentlichen Etat, für 1910 lauteten die Zahlen 927.000 Mk im ordentlichen und 805.600 Mk im außerordentlichen Etat. Die Heidelberger Vergleichssummen lagen zunächst wegen fehlenden Eigenbesitzes sehr viel höher, blieben aber auch später immer etwas über den Aufwendungen für Freiburg. Sie betrugen für 1850 173.000 Mk im ordentlichen und 25.700 Mk im außerordentlichen Etat, für 1910 1.175.000 Mk bzw. 609.000 Mk. Damals hatten sich also die Summen fast angeglichen: 1.784.000 Mk für Heidelberg, 1.733.000 Mk für Freiburg.

Die Zahl der Freiburger Studenten erhöhte sich seit Ende der 70er Jahre rasch. Waren bisher durchschnittlich 300 Studenten in Freiburg immatrikuliert, so stieg die Zahl bis Mitte der achtziger Jahre auf über 1.000. Die Immatrikulation des 1.000. Studenten feierte die Stadt 1885 mit einem Fest, das sie den Professoren und Studenten gab; dasselbe wiederholte sich 1898 bei 1.500 und 1904 bei 2.000 Studenten. 1885 überholte Freiburg mit 1144 Studenten Heidelberg mit lediglich 957 und blieb seitdem von der Studentenpopulation her die größere Universität. Im Sommersemester 1910 waren in Freiburg 2.864 Studierende eingeschrieben; für Heidelberg betrug die Zahl 2.371, also 500 weniger. Beide Universitäten waren bis zum Ersten Weltkrieg ausgesprochene Sommeruniversitäten, d. h. die Zahl der Studenten sank im Wintersemester regelmäßig. Lag in Freiburg der Studienschwerpunkt auf der Medizin, so in Heidelberg auf den Rechtswissenschaften.

Dem Anstieg der Studentenzahl entsprach eine rege Bautätigkeit, die sich auf die Kliniken und auf naturwissenschaftliche Institute konzentrierte. Ihren Höhepunkt fand sie neben dem Millionenbau der Universitätsbibliothek (1896-1904) in der Errichtung des neuen Kollegiengebäudes, für das der Großherzog 1906 den Grundstein legte und das 1911 fertiggestellt wurde.

Die Technische Hochschule Karlsruhe besaß seit ihrer Reorganisation 1865 bzw. 1885 Universitätsrang und erhielt 1899 gegen den Widerstand von Freiburg und Heidelberg das Promotionsrecht; seit 1903 durfte der Rektor den Titel "Magnifizenz" führen. Ihr Lehrkörper vergrößerte sich von 25 (davon 1 außerordentlicher) Professoren im Jahr 1870 auf 37 (davon 2 außerordentliche) im Jahre 1910. Von Anfang an war die Technische Hochschule mit einer ordentlichen Professur für Geschichte und Literatur ausgestattet, zeitweise waren es sogar zwei. Die staatlichen Zuwendungen wuchsen wie für Freiburg und Heidelberg beträchtlich - die Zahl der Studierenden stieg auf fast das Dreifache, von 450 (1870) auf 1.300 (1908).

Die Universität Heidelberg konnte sich, wie schon erwähnt, besonders enger Beziehungen zum Landesfürsten rühmen. Dementsprechend versicherte der Innenminister Stösser 1878 in der Ersten Kammer, die Regierung betrachte die Universität Heidelberg "als ein teures Vermächtnis ..., welches im alten Glanze zu erhalten sie stets bestrebt sein werde." Zu diesem Zeitpunkt lag hinter Heidelberg gerade eine mehrjährige schwere Krise, verursacht durch persönliche Animositäten der Professoren, vor allem aber durch politische Gegensätze (Großdeutsch-Kleindeutsch) und durch den Verlust der besonderen Stellung als liberale Vorkämpferin der Reichseinigung - diese Aufgabe war 1871 erfüllt.

Angezogen von der Universität der Hauptstadt des Kaiserreiches und von der modernen Universität Straßburg verließen nach 1870 mehrere bedeutende Gelehrten Heidelberg, die bisher den Ruhm Heidelbergs ausgemacht hatten. Entsprechend sank die Zahl der Immatrikulationen.

Dennoch zählte die Universität seit den 80-er Jahren für Geistes- wie für Naturwissenschaften zu den deutschen "Endstationsuniversitäten" (Marita Baumgarten), d. h. Wegberufungen erfolgten in der Regel nur noch an die drei Großstadtuniversitäten Berlin, Leipzig und München.

Die Zahl der beamteten Professoren betrug in Heidelberg 1850 30, sie stieg bis 1910 auf 59 (davon 12 außerordentliche) (Freiburg: 64); 3 ordentliche und 4 außerordentliche Professuren waren erst zwischen 1900 und 1910 errichtet worden (Freiburg: 8).

Wie in Freiburg wurden auch in Heidelberg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Neu- und Umbauten für Institute vorgenommen. Seit 1866 entstand das Bergheimer Klinikviertel, das dann schon zu veralten begann, als in Freiburg die Klinikgebäude errichtet wurden. 1905 wurde der Prunkbau der Universitätsbibliothek eingeweiht, der fast 2 Millionen Mark gekostet hatte.

Unerfüllt blieb dagegen - im Gegensatz zu Freiburg - in Heidelberg der Wunsch nach einem neuen Zentralgebäude, das nach den Vorstellungen der Universität bis zur 500-Jahrfeier hätte fertiggestellt sein solle. Als Bluntschli 1879 in der Ersten Kammer die Mängel der Alten Universität beklagte, hielt der Innenminister den Neubauwunsch zwar für berechtigt, aber aus finanziellen Gründen für unerfüllbar. Er beschied Bluntschli daher abschlägig und meinte, "die Universität Heidelberg habe lange Zeit mit großem Ruhme in diesen alten Räumen gewirkt, und diese würden wohl in der nächsten Zukunft noch ausreichen, um das Gleiche zu erzielen." Für die Neugestaltung der Aula und für sonst notwendige Umbaumaßnahmen in der Alten Universität wurden vom Landtag zum Jubiläum immerhin 160.000 Mk bewilligt, so daß der Rector magnificentissimus in würdigem Rahmen agieren konnte.

Anläßlich des Jubiläums von 1886 wollte der Großherzog - offenbar aus eigener Initiative - Heidelberg das Geschenk einer Akademie der Wissenschaften machen, die aber als Landeseinrichtung (also auch für Freiburg und Karlsruhe offen) gedacht war. Trotz mehrerer Unterredungen Friedrichs I. mit Heidelberger Professoren während seines Besuchs der Jubiläumsfeierlichkeiten scheiterte der Plan an sachlichen Einwänden und an persönlichen Rivalitäten, nicht zuletzt aber auch an der Furcht des Ministeriums vor den Kosten. Auch ein neuer Anlauf 1893, diesmal von Heidelberg ausgehend, wurde nicht realisiert, obwohl der Chemiker Victor Meyer die geänderten Umstände hervorhob: "In der akademischen Korporation herrscht statt Zwist jetzt erfreuliche Eintracht." Werbend fügte er hinzu: "Die Gründung einer Akademie in Baden unter dem erleuchtetsten der deutschen Fürsten würde der Wissenschaft eine ungeheure Förderung gewähren." Erst unter Friedrichs Nachfolger wurde 1909 die Heidelberger Akademie der Wissenschaften gegründet. Als Stiftungstag wurde der 24. April, der Tag des Regierungsantritts Friedrichs I., gewählt.


III.

Im badischen Parlament ist bei der Vorlage des Unterrichtsbudgets häufig über die Belastung durch drei Hochschulen geklagt worden. Außerdem beschäftigten sich die Abgeordneten gelegentlich mit angeblichen oder auch tatsächlichen Mißständen an den Universitäten, so 1892 mit dem Ausmaß der Privatliquidationen der Mediziner, mit der Höhe der Gebühren für Promotionen, dem vermeintlichen Cliquenwesen bei Berufungen, den zu langen Ferien der Dozenten. Die Universitätsvertreter in der Ersten Kammer bemühten sich um Widerlegung und Entkräftung - gegen "die so beliebte Klage wegen der langen Ferien" setzte sich mit Freiburger Unterstützung der Heidelberger Kammervertreter energisch zur Wehr, indem er darauf verwies, daß die Universitäten nicht nur Lehranstalten seien, sondern auch "die Pflanzstätten der wissenschaftlichen Forschung". Zur Forschung aber bedürfe es "langer Ferien", die Ferien seien "die Zeit saurer Arbeit ..., die Zeit der Hauptarbeit."

Immer wieder erhobene Forderungen der Kammern nach Sparsamkeit wurden von der Regierung aufgenommen und angeblich überzogenen Ansprüchen der Hochschulen entgegengehalten. Auf der anderen Seite stellten Nokk und seine Beamten aber auch den Nutzen der Universitäten für das Land heraus, der durchaus auch auf wirtschaftlichen Gebiet läge, und zogen daraus die Konsequenz, das Land müsse "mit aller Kraft, aber auch mit aller Vorsicht, weil die Opfer groß sind, auf dem alten Weg bleiben, die drei Hochschulen auf der vollen Höhe der Konkurrenzfähigkeit und in größter Leistungsfähigkeit zu erhalten." Der Großherzog bezeichnete es 1902 in Freiburg geradezu als einen Vorzug seines Landes, daß "für Wissen, Bildung, Erziehung überhaupt so viel geschehen könne."

In akademischen Gedenkfeiern würdigten die Hochschulen nach dem Tod Friedrichs I. 1907 die Verdienste des Großherzogs. Der Freiburger Prorektor (ein Theologe) stellte dabei den Wiederaufstieg seiner Universität in den vergangenen Jahrzehnten und die Frömmigkeit des Verstorbenen in den Mittelpunkt, der Karlsruher Rektor betonte die Aufgeschlossenheit des Landesfürsten für die angewandten Naturwissenschaften und die moderne Technik. Selbstbewußt stellte demgegenüber der Heidelberger Prorektor fest, daß es im 19. Jahrhundert keinen deutschen Fürsten gegeben habe, "dem die Universität so den Weg gewiesen hätte zu seinen Taten wie Friedrich von Baden, der nur aus den geistigen Strömungen seiner Universitätsjahre ganz zu verstehen ist. ... Er wäre ohne uns (gemeint war natürlich nur Heidelberg) nicht das geworden, was er war, und wir wären ohne ihn nicht das geworden, was wir sind." Angesichts des vorher über die konservative Gesinnung Friedrichs I. Gesagten war diese Auskunft allerdings mindestens teilweise eine Selbsttäuschung. Einigkeit herrschte in den Nekrologen, daß die Ära Friedrichs I. eine Zeit großer geistiger und materieller Expansion für die Landeshochschulen gewesen war - eine Blütezeit, die, von Ministerium, Landtag und Landesfürst gefördert, dann allerdings nur noch wenige Jahre anhielt - durch den Ersten Weltkrieg wurde sie jäh unterbrochen.



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Letzte Änderung: 19.08.1998