EUCOR-Bibliotheksinformationen - Informations des bibliothèques: 3 (1993)

Elektronischer Blindenarbeitsplatz in der UB Freiburg

Katja Ambrosy, Manuela Hübner, Christian Jamin


Wie ist es möglich, blinden Studenten wissenschaftliche Literaturverarbeitung zu ermöglichen? Diese Frage stellten sich vor zwei Jahren Rehabilitationspsychologen des Psychologischen Instituts der Universität Freiburg.

Die herkömmlichen Arbeitsmethoden für blinde Leser machen einen leichten Literaturzugang nicht möglich. Als wichtigste Hilfsmittel gab es bisher Kassetten mit aufgelesenen Texten für speziell ausgerüstete Recorder. Die Auswahl an aufgesprochenen Texten ist in jedem Fachbereich begrenzt; selten lassen sich Neuerscheinungen finden. Darüberhinaus ist das Arbeiten mit den Kassetten zeitaufwendig.

Einige Texte sind in Blindenschrift erhältlich. Texte, die in dem von dem Franzosen Louis Braille 1829 erfundenen, sechspunktigen Schriftsystem verfaßt sind, nehmen allerdings das zwei- bis dreifache Volumen der Schwarzschrifttexte ein. Außerdem geht es nicht nur darum, Texte für Blinde lesbar zu machen, sondern auch, die Zusammenarbeit mit Sehenden zu ermöglichen - die Brailleschrift müßte hierzu wiederum in Schwarzschrift übertragen werden.

Schließlich kann von Vorlesern die schwer zu beschaffende Literatur vorgelesen und aufgenommen werden. Dies erschließt zwar soziale Kontakte, muß aber oft 'aus eigener Tasche' finanziert werden. Doch gibt es auch Bereiche (persönliche Briefe, finanzielle Angelegenheiten, etc.), die man nicht vor anderen offenlegen will.

Im Rahmen des o.a. Projekts wurden verschiedene Blindenlesegeräte von sehgeschädigten und blinden Benutzern erprobt. Über die Dauer von einem Jahr testeten 19 Sehbehinderte im Alter von 22-81 Jahren die Geräte. Ziel dieser Studie war es, einen möglichst selbstständigen Literaturzugriff zu ermöglichen und durch technische Hilfsmittel die Literaturversorgung auf nicht-visuelle Art zu erleichtern.

Da das Projekt erfolgreich war, wurde ein Blindenarbeitsplatz als ständige Einrichtung von der Universitätsbibliothek Freiburg übernommen. Möglich war dies dank großzügiger Spenden verschiedener Organisationen und Privatpersonen sowie der finanziellen Unterstützung seitens der Universität Freiburg.

Nach Abschluß des Projekts wurde mit zwei studentischen Hilfskräften eine Betreuerstelle eingerichtet. Die Betreuer sollen für Fragen und Probleme zur Verfügung stehen und neue NutzerInnen in die Geräte einweisen. Sie stehen zur Zeit insgesamt 40 Stunden im Monat zur Verfügung.


Blindenlesegeräte eröffnen neue Möglichkeiten

Ein Scanner und eine Sprachausgabe bilden das Grundgerüst der Ausstattung. Ähnlich wie bei einem Kopiervorgang wird der Text auf eine Glasplatte gelegt. Eine Lichtschranke 'erkennt' die abgebildeten Buchstaben und Zeichen, diese werden von der 'künstlichen Stimme' der Sprachausgabe vorgelesen. Die Arbeit wird dadurch erleichtert, daß jeder Arbeitsschritt von einer akustischen Rückmeldung begleitet wird.

Die Sprachausgabe bietet darüberhinaus Möglichkeiten, den Text zu gliedern, innerhalb des Textes Markierungspunkte zu setzen u.v.m. An einen PC angeschlossen, kann der 'eingescannte' Text mit einem Textverarbeitungsprogramm bearbeitet werden. Eine elektronische Braillezeile überträgt den Bildschirmtext wiederum in Brailleschrift. Als Erweiterung der Tastatur kann man mit der Braillezeile sowohl den Text lesen, als auch ihn bearbeiten.

Blindenarbeitsplatz

Zwei Drucker für Punkt- und Schwarzschrift vervollständigen den Arbeitsplatz. So können die bearbeiteten Texte für Blinde und Sehende zugänglich gemacht werden.

In der Praxis stellte sich heraus, daß viele Arbeitsvorgänge, die nicht das Lesen direkt betrafen, berücksichtigt werden mußten. Zuerst sollte geklärt werden, wo das Gerät am besten aufgestellt wird. Das Vorlesen der Texte darf nicht die Arbeit anderer Benutzer der Universitätsbibliothek beeinträchtigen. Deshalb wurde ein eigener Raum zur Verfügung gestellt, der leicht zugänglich ist. Nach Beratung mit Mobilitätstrainern wurde überlegt, welche Orientierungshilfen den Weg vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel bis direkt zum Blindenlesegerät leicht begehbar machen. Nach diesen Überlegungen wurde der Weg mit den Benutzern eingeübt.

Eine sorgfältige Einarbeitung in die Geräte ist unerlässlich, um die Selbständigkeit der Sehgeschädigten zu gewährleisten. Dieser Bereich nimmt den größten Umfang der Betreuung ein. Wie bereits oben erwähnt, gehören die Benutzer verschiedenen Altersstufen an. Deshalb sind auch die Kenntnisse im Umgang mit EDV und technischen Hilfsmitteln sehr unterschiedlich. Während die Benutzung des Computers für blinde Studenten oft selbstverständlich ist, betreten ältere und späterblindete Menschen meist ein völlig neues Gebiet. Gerade diese Arbeit erfordert einen flexiblen und einfühlsamen Umgang mit den jeweiligen Bedürfnissen der Benutzer. Diese erstrecken sich von den Anforderungen eines Studiums bis hin zur privaten Nutzung. Teilweise wird Hilfe beim Bibliographieren und beim Erstellen von Datenbanken benötigt, teilweise werden erste Schritte der Datenverarbeitung (Textverarbeitung, Datentransfer, etc.) vermittelt.


Ein Beispiel aus der Benutzung:

Schwester Franziska aus dem Lioba-Orden in Freiburg ist seit Beginn des Projekts eine ständige Benutzerin des Blindenlesegeräts. Nachdem sie in die Benutzung der Geräte eingeführt wurde, kann sie nun allein Texte `vorlesen` lassen und auf Diskette abspeichern. Um diese Texte dann auch bearbeiten zu können, nimmt sie das Angebot der Hilfskräfte an und läßt sich in Textverarbeitungsprogramme einweisen.

Eine Arbeitssitzung könnte sich so gestalten: Nachdem Schwester Franziska eine telephonische Nachricht bei der Lesesaalkontrolle der Universitätsbibliothek hinterlassen hat, nimmt Christian, die studentische Hilfskraft, Kontakt mit ihr auf. Sie vereinbaren ein Treffen für den nächsten Dienstag. Treffpunkt ist der Informationsschalter im Bibliotheksgebäude. Von hier ab begleitet Christian Schwester Franziska in den 4. Stock, wo er sich an der Lesesaalinformation den Schlüssel für den Blindenleseraum aushändigen läßt. Ein kurzer Weg führt von hier bis zu dem Raum, in dem die Geräte stehen. In einem kurzen Gespräch vereinbaren die beiden, an welchen Punkten sie weiterarbeiten wollen. Die Geräte werden eingeschaltet, die Arbeit kann beginnen.

Nach einer kurzen Wiederholung des bereits Gelernten werden neue Möglichkeiten der Textverarbeitung an Beispielen ausprobiert. Vom Scanner schlecht erkannte Textstellen können hierbei als Schwierigkeiten auftreten. Gemeinsam wird versucht, den Fehlern auf die Spur zu kommen. Mit dem korrigierten Text kann nun weitergearbeitet werden. Heute soll ein eigener Text verfaßt werden, der nachher als Schwarzschrift- und Brailleschriftausdruck vorliegen soll. Hier leistet die Braillezeile große Hilfe, sie läßt sofort erkennen, wo Schwester Franziska sich im Text befindet und ermöglicht es ihr, im Text hin und her zu springen.

Nachdem sie den Text fertig geschrieben hat, erklärt Christian ihr, wie sie den Text formatieren kann. Schließlich wird er ausgedruckt. Das Ergebnis ist ein qualitativ einwandfreies Schriftstück, das nun sowohl von Sehenden als auch Sehgeschädigten lesbar ist.

Nach zwei Stunden beschließen sie die Arbeit, und Christian begleitet Schwester Franziska zur Straßenbahnhaltestelle. Für die nächste Woche fanden sie bereits einen neuen Termin, diesmal wollen sie ein Buch 'scannen' und dafür eine Datei im Computer anlegen.

Das Beispiel zeigt, daß die Arbeit mit dem Blindenlesegerät vielen Sehbehinderten einen freieren Zugang zu Literatur und deren Verarbeitung ermöglicht.


Zukunftsperspektiven

Nachdem die Grundlagen für die Arbeit mit dem Blindenlesegerät geschaffen wurden, läßt sich das System sicher noch erweitern. Demnächst sollen beispielsweise Diskettenbibliotheken erstellt werden. Außerdem wird zur Zeit eine Hörcassette über die Universitätsbibliothek Freiburg erarbeitet: Dabei werden das Gebäude, die Verkehrslage und Orientierungshilfen für Sehbehinderte ebenso berücksichtigt wie Spezialbestände der Bibliothek. Die Einbindung von elektronischen Speichermedien (z.B. CD-ROM) ist ebenfalls vorgesehen. Schließlich wird es wesentlich auf den Austausch mit anderen Institutionen für Sehbehinderte ankommen, um den Blindenarbeitsplatz der UB Freiburg optimal auszunutzen.


Interessierte Sehbehinderte setzen sich bitte mit der Universitätsbibliothek Freiburg in Verbindung:

Tel.: 0761/203-3941

Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht und Ihre Telefonnummer. Die Betreuer des Blindenarbeitsplatzes werden sich dann telefonisch bei Ihnen melden.


Ausstattung des Blindenarbeitsplatzes

Hardware


An Software steht u.a. zur Verfügung:




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