EUCOR-Bibliotheksinformationen - Informations des bibliothèques: 13 (1999)

Die bildungspolitische Bedeutung der Schweizer Bibliotheken

Rainer Diederichs (ZB Zürich)


Die Schweiz gehört zu jenen Ländern, die sich einer vielgestaltigen Bibliothekslandschaft rühmen können [1]. Dies belegt das in regelmässigen Abständen erscheinende Nachschlagewerk "Information Schweiz - Suisse" - eine Art Baedeker der Archive, Bibliotheken und Dokumentationsstellen, soweit sie für den regionalen und nationalen Informationsaustausch von Bedeutung sind. Lässt man von Zürich aus den Blick in die Ferne schweifen, erkennt man einzelne Bibliotheken mit nationalen Aufgaben. Zu ihnen gehört die Schweizerische Landesbibliothek mit ihrer auf Vollständigkeit ausgerichteten Helvetikasammlung und dem Literaturarchiv. Auch die meisten Universitätsbibliotheken des Landes sind Horte regionalen Schrifttums und zugleich Sammelstellen für die Bedürfnisse von Wissenschaft und Forschung. Sie sind in der Regel kantonale Einrichtungen, wirken aber weit über die Kantonsgrenzen hinaus. Die Schweizerische Volksbibliothek, mit Sitz in Solothurn und Bibliothekscentern in der deutschen, französischen und italienischen Sprachregion, fördert das allgemeine öffentliche Bibliothekswesen der Schweiz. Sie fördert eine ausgeglichene Literaturversorgung und bietet Starthilfen für die Einrichtung lokaler und regionaler Bibliotheken.

Richtet man den Blick auf eine einzelne Stadt wie Zürich, so verdichtet sich das Landschaftsbild. Der Informationsbaedeker gibt allein für Zürich und die beiden Hochschulen 271 Bibliotheken an. Misst man sie an ihren Buchbeständen, so erreichen sie ansehnliche Höhen. Die Zentralbibliothek und die ETH-Bibliothek stellen mit je 3 Mio. Bänden die grössten Erhebungen dar. Zum Zürcher Bibliotheksmittelgebirge mit Beständen zwischen 100'000 und 300'000 Bänden gehören die Pestalozzigesellschaft, das Pestalozzianum, das Schweizerische Sozialarchiv, die Museumsgesellschaft und das Kunsthaus. Auch einzelne Institutsbibliotheken der Universität reichen in diese Höhenlage.

Den eigentlichen Reiz der Bibliothekslandschaft machen jedoch die sanften Erhebungen aus, die farbenfrohen Bibliotheksgärten und Parklandschaften mit ihrem oft unvermuteten Reichtum an seltenen Gewächsen. Es lohnt sich, hier Einkehr zu halten, zu verweilen und aus den bereitstehenden Quellen der Information zu schöpfen. Zu diesen landschaftsbereichernden Bibliotheken mit Bestandesgrössen von rund 20'000 Bänden gibt es in Zürich Fachbibliotheken in den Bereichen Wirtschaft, angewandte Psychologie, Elektrotechnik, Jugendliteratur, Altersfragen, Literatur für Blinde und Sehbehinderte, um nur einige zu nennen. Die Kleinstbibliotheken mit Beständen bis zu 5'000 Bänden stellen die liebevoll gepflegten Biotope dieser Landschaft dar. Hier gedeiht manches, was eher ausgefallenen Wünschen und Neigungen entgegenkommt. In Zürich findet man Literatursammelstellen zur Arbeiterbewegung, zu Frauenfragen, zur Kaffeegeschichte, zum Bestattungswesen, zur Ökologie, zur Dialektologie, zur Asyl- und Flüchtlingspolitik, zu sukkulenten Pflanzen, zum Kunsthandwerk, zur Suchtbekämpfung, zur Paartherapie, zur Abfallbewirtschaftung usw., usf. Das Bibliothekswesen erweist sich hier so bunt und vielfältig wie das menschliche Leben.

Die Zweigleisigkeit von wissenschaftlichen Allgemeinbibliotheken und Fachbibliotheken ist eine sinnvolle Investition, die den unterschiedlichen Informationsbedürfnissen entgegenkommt. Die wissenschaftliche Allgemeinbibliothek kann sich bei der Anschaffung eines Werkes auf ein einziges Exemplar beschränken, die Fachbibliothek dagegen bietet ein umfassendes Informationsangebot zu einem begrenzten Sachbereich für ein bestimmtes Publikum. Dabei berücksichtigt sie auch "graue Literatur", die nicht über den Buchhandel erhältlich ist, wie Dissertationen oder Diplomarbeiten, Firmenschriften und Tagungsberichte.

Der Blick auf die Zürcher Bibliothekstopographie lässt erkennen: Rund ein Drittel der Bibliotheken ist allein in den letzten drei Jahrzehnten gegründet worden, nicht dazu gerechnet die Institutsbibliotheken beider Hochschulen, die ebenfalls dynamische Entwicklungen durchlaufen. Diese Bibliotheksgründungen zeigen signifikante gesellschaftliche Bedürfnisse. Wirtschaft und Industrie sind nach wie vor auf rasch verfügbare Informationen angewiesen. Die Berufsberatungsstellen haben in den letzten Jahren ihre Dokumentationstätigkeit erweitert oder neu aufgenommen. Auch soziale Aspekte werden heute bibliothekspolitisch stärker wahrgenommen. So gibt es in Zürich seit 1975 die Suchtinfo und die Pro Senectute Schweiz, seit 1978 die Informationsstelle des Zürcher Sozialwesens, seit 1979 die Schweizerische Bibliothek für Blinde und Sehbehinderte, seit 1981 die schweizerische Fachstelle für behindertengerechtes Bauen, seit 1986 die Schweizerische Vereinigung Pro Infirmis.

Die Ausbreitung der Telekommunikation in unserer Arbeits- und Geschäftswelt hat zu einschneidenden Veränderungen der Arbeitsbedingungen geführt und weitere Dienstleistungen geschaffen. Die neuen Informationstechnologien ermöglichen Rationalisierung in Produktion und Verwaltung. Telebanking, Teleshopping, Telemedizin, Telearbeit etc. heissen die Errungenschaften unserer Arbeitswelt, die zugleich einen gesellschaftlichen Wandel hervorrufen. Die Datenautobahn des Internets bietet eine Vielzahl von Dienstleistungen, die das Leistungsprofil traditioneller Bibliotheken übertreffen. Mit PC, Modem und Telefonanschluss kann sich jeder Konsument den Zugang zur Datenautobahn selbst verschaffen. Per Mausklick gelangt er zu den neuesten Informationen, liest sich in Volltextspeicher ein oder nimmt an globalen Diskussionsrunden teil. Stimmen werden laut, dass Bibliotheken ersetzbar geworden sind, da wissenschaftliche wie literarische Texte heute über Internet vermittelt werden.

Die Schweizer Bibliotheken haben sich dem Internet rasch geöffnet und versuchen, mit den neuen Informationstechnologien Schritt zu halten. Grosse wie kleinere Bibliotheken bieten auf ihrer Homepage Aktualitäten und Dienstleistungen an. Sie geben über Internet Einblick in ihre Kataloge und nehmen per Knopfdruck Bestellungen entgegen. Sie zeigen nicht nur ihre eigenen Informationsträger an, sondern vermitteln auch Informationen, die sich physisch an anderen Orten befinden. Mit erprobten Links stellen sie die Weichen, die neue Informationswelten erschliessen. Die Bibliothek hat sich damit zur virtuellen Bibliothek entwickelt, zu einer "Bibliothek ohne Wände", die rund um die Uhr ohne Beschränkung zugänglich ist. Bibliotheken müssen aber auch den Zugang der Benutzer zum Internet fördern durch ein ausreichendes Angebot von Geräten, mit der entsprechenden Infrastruktur und den Kenntnissen der Bibliothekare. Dieser Schritt wurde erst zögerlich getan und bedarf weiterer Anstrengungen, wollen die Bibliotheken ihre Stellung als zeitgemässe Informationsanbieter behaupten. Ihre Aufgabe ist es, das Recht der Bevölkerung auf Grundversorgung mit Information zu sichern. Der Zugang zur Datenautobahn und ihren Informationsdiensten soll allen möglich sein, mit Unterstützung und unter kompetenter Anleitung der Bibliothekare.

Künftige Aufgaben sind nur durch Zusammenarbeit lösbar

Die föderalistische Struktur der Schweiz hinderte die Bibliothekare nicht, den Nutzen freiwilliger Zusammenarbeit frühzeitig zu erkennen und durch den Aufbau von Gesamtkatalogen oder durch bibliothekarische Fernleihe unter Beweis zu stellen. Der bibliothekarische Berufsverband, zu dessen wichtigen Zielen der Informationsaustausch gehört, gilt immerhin als der älteste Europas. Der heutige Technologiewandel, der Wechsel vom Industriezeitalter zum Informationszeitalter, verstärkt den Druck zur Zusammenarbeit und eröffnet zugleich neue Möglichkeiten. Dem allseits steigenden Wissenszuwachs und dem zunehmenden Angebot von Informationsträgern stehen jedoch die knapper werdenden Mittel der öffentlichen Haushalte gegenüber. Auch die Bibliotheken haben den Spardruck längst zu spüren bekommen. Glücklicherweise können die Schweizerische Landesbibliothek und die mit der Archivierung lokalen Schrifttums beauftragten Kantonsbibliotheken mit grosszügiger Hilfe von Verlagen ihrer Region rechnen, welche die Sammeltätigkeit mit Belegexemplaren unterstützen. Die Bibliotheken versuchen, durch Konzentration auf ihre Kernaufgaben, durch Rationalisierung und verstärkte Fundraising-Aktivitäten sich den verschärften Wettbewerbs- und Marktbedingungen zu stellen. In diesen Zusammenhang gehört auch die 1994 begonnene Annäherung der Dachverbände der Bibliothekare, Archivare und Dokumentalisten, um durch gemeinsame Bildungsoffensiven grösseres öffentliches Gewicht zu erlangen.

"Bibliotheksplan 2000"

Die allgemeinen öffentlichen Bibliotheken stellen sich mit ihrem Informations-, Medien- und Dienstleistungsangebot den aktuellen Herausforderungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturwandels. Sie haben sich 1995 neue Richtlinien gegeben, um ihrem Auftrag in der modernen Informationsgesellschaft gerecht zu werden. Neben den traditionellen Tätigkeiten wie Medienvermittlung, Leseförderung und Pflege des lokalen kulturellen Lebens sind neue Aufgaben hinzugekommen:

Die allgemeinen öffentlichen Bibliotheken sind aufgrund ihrer ideologischen und politischen Unabhängigkeit, ihres öffentlichen Charakters und ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung die geeigneten Institutionen zur Lösung dieser Aufgaben. Sie erreichen einen hohen Anteil der Bevölkerung aller Alters-, Sozial- und Bildungsschichten und sind dadurch Bildungs- und Kultureinrichtungen für eine freiheitliche, demokratische Gesellschaft, auf welche diese nicht verzichten kann, nicht verzichten darf. Anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens 1997 forderte die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der allgemeinen öffentlichen Bibliotheken (SAB/CLP) in einer Resolution: "Öffentliche Bibliotheken brauchen einen Internet-Zugang, denn Internet ist ein Medium, das für die Informationsbeschaffung unverzichtbar ist." Um den Zugang für die gesamte Bevölkerung zu gewährleisten, rechnete die SAB mit einer Beteiligung von 500 Bibliotheken, über das ganze Land verteilt. Die nötigen Investitionen, vor allem im Personalbereich mit einer zusätzlichen halben Stelle, werden von den Bibliotheksträgern erwartet. Eine Beteiligung des Bundes ist für zentrale Dienstleistungen, wie Aufbau der Infrastruktur und Schulung, erforderlich.

Im Hinblick auf einen wirtschaftlichen Einsatz der nur spärlich fliessenden öffentlichen Gelder und wegen der beschränkten personellen Möglichkeiten der Bibliotheken hat die SAB einen "Bibliotheksplan 2000" entwickelt, der sich an die Behörden und Trägerschaften der einzelnen Bibliotheken richtet. Dieser Bibliotheksplan ergänzt die Richtlinien für Gemeindebibliotheken von 1995, indem er ein strukturiertes Bibliotheksnetz konzipiert, in welchem Bibliotheken mit unterschiedlichem Leistungskatalog zusammenarbeiten. Aus der Einsicht, dass nicht jede Bibliothek sämtliche Leistungen erbringen kann, ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass eine umfassende bibliothekarische Versorgung nur durch Zusammenarbeit aller Bibliotheken einer Region möglich ist. Kantonaler oder regionaler Planung obliegt es, das Angebot innerhalb einer Region zu koordinieren und dabei lokale Besonderheiten zu berücksichtigen. Für die Vernetzung allgemeiner öffentlicher Bibliotheken hat die SAB einen Raster aufgestellt mit unterschiedlichen Leistungen und Angeboten, je nach Einwohnerzahl des Einzugsgebiets:

Bei der Planung ist vom Ist-Zustand auszugehen. Andere Bibliothekstypen sind in Zusammenarbeit und Vernetzung einzubeziehen. Der angestrebte Veränderungsprozess baut auf einer erhöhten Qualifizierung der Bibliotheksmitarbeiter auf, für die Medienkompetenz und Navigationshilfe zu Schlüsselqualifikationen werden. Die SAB hat deshalb ein Curriculum für Ausbildungskurse von mindestens hundert Lektionen entwickelt, die in den verschiedenen Bibliotheksregionen angeboten werden und von Weiterbildungskursen begleitet sind. Das Programm richtet sich an nebenamtlich tätige Bibliothekare, die Ordnungs- und administrative Arbeiten verrichten. Für die bibliothekarische Facharbeit, insbesondere für die Bibliotheksleitung, wird eine hauptberufliche Ausbildung erwartet.

Elektronische Bibliotheksverbünde

Die Entwicklung des wissenschaftlichen Bibliothekswesens der neueren Zeit ist geprägt von der Zusammenarbeit in elektronischen Netzen. Voraussetzung dazu war die Schaffung gemeinsamer Katalogisierungsregeln, die den Bedürfnissen eines mehrsprachigen, multikulturellen Landes entgegenkamen. Die Westschweizer Bibliotheken sowie die Kantonsbibliotheken Wallis und Tessin bildeten das "Réseau des bibliothèques romandes et tessinoises" (RERO). Dem Netz sind heute rund 150 Bibliotheken angeschlossen, die mit dem Automatisierungssystem VTLS (Virginia Tech Library System) zusammenarbeiten. In der Deutschschweiz haben sich mehrere Bibliotheksverbünde herausgebildet: der Bibliotheksverbund der Universitäten Basel und Bern, der Informationsverbund Zürich mit ETH-Bibliothek und Zentralbibliothek, der Bibliotheksverbund der Universität Zürich, der Bibliotheksverbund der Universität St. Gallen.

1998 haben sich die Deutschschweizer Hochschulbibliotheken für ein neues, gemeinsames System entschieden, das ihre bisherigen Automatisierungssysteme ersetzen soll. Der Entscheid fiel einstimmig für das System ALEPH, das bereits in über 400 Bibliotheken und Informationszentren in 33 Ländern installiert ist. Parallel zum Evaluationsverfahren des "Informationsverbunds Deutschschweiz" (IDS) liefen auch System-Abklärungen der wissenschaftlichen Bibliotheken Österreichs. Deren Entscheid fiel ebenfalls auf ALEPH, denn das System zeichnet sich durch hohe Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit aus und kommt vielfältigsten Anforderungen entgegen. Ein gemeinsames Automatisierungssystem ermöglicht die Schaffung eines Verbundkatalogs, der das Informationsangebot für Bibliotheksbenutzer beträchtlich erweitert und die Suchmöglichkeiten verbessert. Zu den Vorzügen des neuen Systems gehört eine moderne graphische Benutzeroberfläche, die den Bedienungskomfort erhöht.

Die Abfrage gibt den Ausleihstatus eines Werkes bekannt. Ist es ausleihbereit in einer anderen Bibliothek vorhanden, kann es von dort direkt per Knopfdruck bestellt werden. Diese Ausleihe erfolgt gebührenpflichtig per Post direkt an die Privatadresse. Die Dokumentenlieferung kann teilweise auch als Kopie, E-mail oder Filetransfer geschehen. Neben gedruckten Medien sollen vermehrt digitale Informationen – elektronische Zeitschriften, CD-ROMs, digitale Karten – von den Bibliotheken gemeinsam beschafft und für den Verbund bereitgestellt werden. Vorteile ergeben sich auch für jene Bibliotheken, die vermehrt Daten anderer übernehmen und so Dokumente schneller und kostensparender verarbeiten. Der Verbund stellt ausserdem nationalbibliographische Datendienste anderer Länder bereit, welche die Erschliessungsarbeiten erleichtern. Dazu war es notwendig, von den schweizerischen auf international weitverbreitete Katalogisierungsregeln überzugehen. Auch für die Sachkatalogisierung ist die Einführung international verbindlicher Regeln vorgesehen. Die Daten der bisherigen lokalen Verbünde werden bis Spätsommer 1999 in das neue System überführt und unter einheitlicher Oberfläche mit gleichen Suchmöglichkeiten erscheinen. Im Jahr 2000 werden die lokalen Kataloge zum Verbund zusammengeführt. Dieser Bibliotheksverbund 2000 wird mit grossem volkswirtschaftlichem Nutzen ein optimales Angebot von Dienstleistungen für Bildung, Wissenschaft und Forschung erbringen. Der Verbund steht auch anderen Partnern offen.

Die elektronischen Möglichkeiten haben zu neuen Formen bibliothekarischer Zusammenarbeit geführt. Die Stadt- und Universitätsbibliothek Bern sowie die Schweizerische Landesbibliothek sind für das "Internet Clearinghouse Schweiz" (ICH) zuständig, das Dienstleistungen und aktuelle Informationen von Schweizer Bibliotheken auf einer Homepage anbietet. Die Zentralbibliothek Zürich hat das von ihr herausgegebene, periodisch erscheinende Nachschlagewerk "Information Schweiz – Suisse" mit allen Angaben über Bibliotheken, Archive, Dokumentationsstellen und Datenbankanbieter ins Internet gebracht und aktualisiert die Daten fortlaufend aufgrund der Meldungen der Sammelstellen. Unter Federführung der ETH-Bibliothek Zürich haben sich 15 Bibliotheken von Universitäten und wissenschaftlichen Institutionen zu einem Zeitschriftenkonsortium für die Benutzung elektronischer Zeitschriften der Springer Verlagsgruppe zusammengeschlossen. Das Angebot umfasst rund 400 Fachzeitschriften, die den Benutzern der beteiligten Bibliotheken zur Verfügung stehen. Das weitere Ziel ist ein nationales Hochschulkonsortium für Datenbankprodukte und elektronische Zeitschriften aus vielen Verlagen. Auch im lokalen Bereich sind Netzbildungen erfolgreich. Die CD-ROM-Datenbanken der Zentralbibliothek Zürich und der Hauptbibliothek Irchel sind seit Sommer 1998 für Studenten und Professoren im Netzwerk der Universität Zürich zugänglich. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Benutzer schätzen den direkten Zugriff, die Institute halten die Kosten niedrig, da Netzlizenzen billiger als Mehrfachbeschaffungen sind. Die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit zeigen, wie Bibliothekare mit innovativen Ideen ein immer grösser werdendes Informationsangebot zeitgemäss und kostensparend dem Publikum zur Verfügung stellen.

Vom Bibliothekar zum Informationsspezialisten

Die Informationsgesellschaft verlangt heute vom Bibliothekar bzw. Mediothekar bzw. Informationsspezialisten einen Spagat zwischen der Bewahrung von Informationsträgern einerseits und der Verwaltung, Aufbereitung sowie Vermittlung digitalisierten Wissens andererseits. Bibliothekarische Fähigkeiten der Wissensorganisation werden im digitalen Zeitalter um so mehr benötigt, als die Veröffentlichungen im Netz nur von flüchtiger Natur sind und Qualitätskontrollen des konventionellen Publikationsmarktes oft fehlen. Zum Bestandesaufbau einer Bibliothek werden in Zukunft auch elektronisch übermittelte Dokumente gehören. Der Informationsspezialist hat zu entscheiden, was wichtig und aufbewahrungswürdig ist. Dazu bedarf es eines Kriterienkatalogs zur Bewertung digitaler Dokumente. Diese Qualitätssicherung bietet eine entscheidende Orientierungshilfe für die im Informationsozean surfenden Nutzer. Die Bibliothek wird zu einem Hafen für herausgefilterte elektronische Publikationen. Ob sie die Veröffentlichungen elektronisch auf Servern archiviert oder den Aggregatzustand der Information ändert und auf Papier oder Mikroformen aufbewahrt, wird die Zukunft weisen.

Zu den Aufgaben der Informationsspezialisten gehört, auch digitales Wissen zu erschliessen und Nutzern zur Verfügung zu stellen. Die Kundenorientierung muss vornehmste Aufgabe der Informationsspezialisten bleiben. Der Umgang mit OPACs, mit CD-ROM-Datenbanken sowie mit Online-Recherchen im Internet unterliegt raschen Veränderungen, die Navigationshilfen erfordern. In der virtuellen Bibliothek übernehmen Bibliothekare die Funktion von Lotsen, die mit Retrievaltechniken und -sprachen vertraut sind und dem Kunden helfen, virtuelle Publikationen auf den eigenen Personalcomputer zu laden.

Das sind radikale Änderungen des bibliothekarischen Berufs mit entsprechenden Konsequenzen für die Ausbildung. Die bisher praktizierte duale Berufsausbildung durch Lehrbetrieb und Kursbesuch hat sich überlebt, ein Nachholbedarf an Informatik- und High-Tech-Ausbildung ist auch in Bibliotheken spürbar.

Die Ausarbeitung des neuen Ausbildungskonzepts lief parallel zu zwei wichtigen Änderungen der schweizerischen Berufsausbildung, zur Einführung der Berufsmatura und zur Schaffung von Fachhochschulen. Die hauptberufliche Bibliothekarenausbildung war bisher zweistufig aufge-

baut: Diplombibliothekare und wissenschaftliche Bibliothekare. Das neue Rahmenprogramm geht von einem dreistufigen Aufbau und einer neuen Berufsbezeichnung aus. Den Status "Informations- und Dokumentationsassistent(in)" erreicht man nach einer dreijährigen Berufslehre. Mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis kann man die Berufsmatura erwerben, die wie die Gymnasialmatura zum Besuch der Fachhochschule berechtigt. Diese führt zum Status "Informations- und Dokumentationsspezialist(in)". Als dritte Stufe ist nach Erlangung des Fachhochschul diploms oder nach einem Hochschulabschluss auf Universitätsstufe ein "Nachdiplomstudium I+D" vorgesehen.

Die beiden Etappenziele Berufslehre und Fachhochschulstudium haben 1998 sowohl im Welschland wie in der Deutschschweiz begonnen, während die bisherige berufsbegleitende Ausbildung 1999 zu Ende geht. In der Deutschschweiz bewarben sich die HWV Luzern und die HTL Chur um den Status einer Fachhochschule zur Ausbildung von I+D-Spezialisten. Entgegen der Empfehlung der eidgenössischen Fachhochschulkommission und entgegen den Wünschen der Bibliothekare hat der Bundesrat die Fachhochschule Chur mit der Ausbildung von I+D-Spezialisten beauftragt. Dieser schwerwiegende Entscheid hat dem Reformeifer für eine neue I+D-Ausbildung im Bibliothekswesen einen starken Dämpfer gegeben. Die Folgen werden später spürbar, wenn sich die geringe Anzahl ausbildungswilliger Interessenten nicht erhöhen lässt. Das dreijährige Fachhochschulstudium umfasst rund 3'600 Lektionen mit den Schwerpunkten Allgemeinbildung, Kommunikation und Informatik, Fachausbildung sowie Führungsausbildung. Ein I+D-Spezialist soll befähigt sein, anspruchsvolle Aufgaben in allen Bereichen einer I+D-Stelle zu übernehmen sowie Leitungsfunktionen auszuüben. Im Jahr 2001 werden die neuen I+D-Spezialisten ihre Ausbildung abschliessen. Im Jahr 2001 soll auch ein Curriculum für die dritte Ausbildungsstufe, das Nachdiplomstudium I+D, vorliegen. Die bisher zweijährige Ausbildung für wissenschaftliche Bibliothekare mit Hochschulabschluss wird unter Aufsicht des bibliothekarischen Berufsverbands vorerst weitergeführt. Die Zentralbibliothek Zürich bietet dazu alle zwei Jahre einen berufsbegleitenden Kurs im Umfang von 400 Lektionen an. Die Faculté des Lettres der Universität Genf führt ebenfalls alle zwei Jahre eine berufsbegleitende Weiterbildung durch, die nach vier Semestern mit dem Certificat de formation continue en information documentaire (CESID) abschliesst. Teilnahmeberechtigt sind auch hier Personen mit Hochschulzeugnis oder Bibliothekarendiplom.


Verwendete Literatur

Bibliotheken. Vom Bücherwald zum Datennetz. Magazin der Universität Zürich, Nr. 3/95, Bulletin der ETH Zürich, Nr. 259/Oktober 1995

Diederichs, Rainer: Ausbildung im Umbruch. Vom Bibliothekar zum Informations- und Dokumentationsspezialisten. In: EUCOR-Bibliotheksinformationen, 10/1997, S. 12-18

Heidtmann, Horst: Multimedia, neue Informationstechnologien, gesellschaftlicher Wandel. Herausforderung und Chancen für Öffentliche Bibliotheken. In: Buch und Bibliothek, 47 (1995) 11/12, S. 1015-1022

Information Schweiz – Suisse 1998. Hrsg. von der Zentralbibliothek Zürich. 4. Ausgabe. Aarau 1998

Nohr, Holger: Virtuelle Bibliotheken. Fragen, Vorstellungen und neue "alte" Aufgaben. In: Buch und Bibliothek, 48 (1996) 10/11, S. 824-830

Senser, Christine: Die Bibliotheken der Schweiz. Wiesbaden 1991. (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens. 13)




[1] Die folgenden Ausführungen sind Auszüge aus einem umfassenden Beitrag, der Mitte Juni in der Festschrift "Buchbranche im Wandel" zum 150. Jubiläum des Schweizerischen Buchhändler- und Berleger-Verbandes im Verlag Orell Füssli erscheinen wird.
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