Unser Denken ist möglicherweise ein Beispiel eines selektiven Systems. Zuerst kämpfen viele wahllos verstreute Ideen ums Überleben. Dann kommt die Selektion im Sinne dessen, was am besten funktioniert - eine Idee setzt sich durch und wird daraufhin verstärkt. Die Lehre daraus könnte sein, daß man nichts lernt, wenn man nicht bereit ist, ein Risiko einzugehen und ein wenig Zufall in seinem Leben zuzulassen.H. Pagels, The Dreams of Reason (1988)
Der folgende Beitrag von Prof. Dr. Wolfgang Kehr, dem ehemaligen Direktor der UB
Freiburg, ist Dr. Fredy Gröbli gewidmet, der in Kürze aus dem Amt des Direktors der UB Basel ausscheiden wird. Der Text ergänzt den Beitrag des Verfassers "Die Freihanddiskussion in Deutschland nach 1945" in der Festschrift (in Druck) f&uum
l;r Fredy Gröbli.
Dargestellt werden die Planungsphase und die Realisierung des neuen Aufstellungssystems der UB Freiburg ab 1967. Dieses zielte darauf ab, die bis dahin praktizierte systematische Aufstellung abzubrechen und stattdessen die häufig verlangte Liter
atur, d.h. die Erwerbungen der letzten 20 Jahre, in Freihandmagazinen nach Großgruppen mit Jahres-numerus currens und entsprechenden Großgruppensignaturen aufzustellen.
Im einzelnen werden die Konzeption und die Verwirklichung der Lehrbuchsammlungen (LB I und II) als erster Freihand-Ausleihbibliothek der UB Freiburg, der "Freizeitbücherei (FZ)", deren Charakteristikum Weltliteratur, moderne Literatur und das an
spruchsvolle Sachbuch sein sollte, sodann die Einrichtung eines großen Freihandmagazins (FM) im neuen Bibliotheksgebäude beschrieben. Die Entwicklung des FM wird bis in die 90er Jahre, als erstmals einige
ältere Bestandsgruppen aus Raumgründen in das Tiefmagazin abgesenkt werden mußten, skizziert, einschließlich der wichtigen Rolle, die das EDV-Ausleihsystem "OLAF I" für die stetig steigenden Ausleihfrequenzen des gesamten Selbst
bedienungs-Ausleihbereichs spielte.
Schließlich beschreibt der Verf. die neue Aufstellung der in den Lese-/Arbeitsbereichen und im Informationszentrum zur Verfügung stehenden Präsenzliteratur.
Das beschriebene System der differenzierten Buchaufstellung hat sich
in der Praxis als eine erfolgreiche und von den Benutzer(inne)n
akzeptierte Alternative zur systematischen Aufstellung in toto und zur
Aufstellung nach numerus currens erwiesen.
Cette contribution de Wolfgang Kehr, précédent directeur de la BU de
Fribourg, est dédiée à Fredy Gröbli qui va quitter prochainement la direction de la BU de Bâle. Elle complète son article "Le débat sur le libre accès en Allemagne après 1945" dans les mél
anges Fredy Gröbli (en cours d'impression).
L'auteur expose l'élaboration du nouveau système de classement de la BU de Fribourg et sa mise en oeuvre à partir de 1967. L'objectif était d'abandonner le classement systématique en vigueur et à la place de
regrouper dans un magasin en libre accès la littérature la plus demandée, c'est-à-dire les acquisitions des 10 à 20 dernières années, en la répartissant par grands ensembles
thématiques avec une sous-cotation par numéros d'entrée.
Il décrit en détail la conception et la réalisation de la collection de manuels, première bibliothèque de prêt en libre accès de la BU de Fribourg, de la bibliothèque de loisirs dont la spé
;cifité devait être la documentaire attractif, et enfin l'aménagement du magasin en libre accès dans le nouveau bâtiment. Le développement de ce magasin en libre accès est
retracé jusqu'aux années 90, lorsque, faute de place, des collections plus anciennes durent pour la première fois être refoulées dans les magasins fermés du sous-sol. Ets montré également le rôl
e important du système informatique de prêt "OLAF I" pour les transactions toujours plus nombreuses dans les salles de prêt en libre service.
En dernier lieu, l'auteur décrit le nouveau classement des usuels dans les salles de lectures et dans le centre d'information.
Dans la pratique, ce système bien accepté par les usagers s'est
révélé une alternative heureuse au classement systématique intégral ou au classement par ordre d'entrée.
(Trad. par G. Littler)
1. Im alten Bibliotheksgebäude aus dem Jahr 1902 mit einer raumbeanspruchenden durchgehenden systematischen Buchaufstellung nach einer hausgemachten Klassifikation aus dem 19. Jh. und mit komplizierten, zum Teil schwer lesbaren Buchsignaturen he rrschte eine katastrophale Raumnot. Die für Jan. 1968 zu erwartende provisorische Auslagerung von 150.000 Bdn der Naturwissenschaften und der Medizin und von 500.000 Diss. würde nur kurzfristig eine Entlastung im Hauptgebäude bringen kö ;nnen. Die Feststellung in den Jahresberichten der Bibliothek (1968: 1 u. 1969: 9) war nicht übertrieben, daß "in einigen Jahren die Bibliothek durch Raumnot in Magazin, Publikumsbereich und Lesesaal nicht mehr funktionsfähig sein wird".
2. Zwar war bekannt, daß 1968 mit den ersten Planungen (Struktur- und Bedarf) für ein neues Bibliotheksgebäude begonnen werden kann. Ob dieses aber jemals entstehen würde, war und blieb einige Jahre lang völlig ungewiß . Ein geeignetes Grundstück im Universitätszentrum dafür existierte nicht. In der Prioritätenliste des Landes für den Hochschulbau in den nächsten 10 - 20 Jahren spielte ein solcher Neubau keine Rolle. Stattdessen war nicht a uszuschließen, daß, ähnlich wie in Straßburg, in den räumlich voneinander entfernt liegenden Universitätsbereichen (Zentrum - naturwiss. Institutsviertel - Klinikum) separate Zentren für die Literaturversorgung eingerichtet werden sollten. Auch die zukünftige Entw icklung im Bereich der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften war völlig offen. Im Fall solcher Strukturveränderungen wäre es nötig gewesen, die neuere Literatur aus der UB ausgliedern zu können und die Verwaltung großer Zweigbibliotheken zu übernehmen.
3. Eine Universitätsbibliothek konnte nur dann wieder als leistungsfähig angesehen werden, wenn die Neuzugänge 4 - 6 Wochen nach Eingang der Bücher benutzbar waren. Als nachteilig hatte sich u.a. im Geschäftsgang der "Flaschenhals" der Systematisierung herausgestellt. Um die umfangreichen Arbeitsrückstä ;nde aus den letzten Jahren (ca. 20.000 Monogr. u. ca 21.000 Diss.) abbauen und die Bibliothek für seine Benutzer wieder attraktiver machen zu können, mußte der Geschäftsgang des Buches wesentlich vereinfacht werden.
4. Andere Reformziele waren vordringlicher als die Systematisierung sämtlicher Neuzugänge. Das vorhandene wissenschaftliche Personal wurde dringender benötigt für: eine neue Erwerbungspolitik, den Aufbau einer neuen Lehrbuchsammlu ng, die Umorganisation der "Akademischen Lesehalle" in eine moderne "Bildungsbücherei" für Studenten und andere Bibliotheksbenutzer, für die intensivere Benutzerberatung, die Vorbereitung eines Neubaus und nicht zuletzt für den ehrgeizigen Plan des Aufbaus eines universitären Bibliothekssystems. Zum Letzteren gehörte auch die Zusammenlegung kleiner Institutsbibliotheken zu Fakultätsbibliotheken und die schrittweise Übern ahme von Sanierungs- und laufenden Verwaltungsarbeiten dort.
5. In diesen dezentralen Bibliotheken standen 1 Mio Bde systematisch gegliedert, mehr als 30.000 Monographien kamen jährlich neu hinzu. Daher waren Zweifel angebracht, ob es zweckmäßig ist, daneben den gesamten Neuzugang in der Zentra lbibliothek weiterhin systematisch geordnet aufzustellen. Der Gedanke lag nahe, die weithin geübte Praxis der Selbstbedienung (von der Tankstelle bis zum Kaufhaus) auf eine Bibliothek mit einer zu erwartenden Massenausleihe zu übertragen und daf ür eine andere geeignete Organisationsform zu finden.
6. Denn was in Frankfurt, Hamburg, Köln und anderswo längst Realität war, würde auch in Freiburg das Bibliothekswesen verändern. Die stetig wachsende Zahl von Wissenschaftlern, Studenten und Information suchenden außeru niversitären Benutzern würde auch in Freiburg die zentrale Ausleihbibliothek der Universität und der Region sehr bald vor Probleme in einem bis dahin nicht bekannten Ausmaß stellen.
"Als Forderung für den Neubau standen deshalb im Vordergrund:
Eine Befragung der Professoren mit Zugangserlaubnis für die systematisch gegliederten Magazinbestände hatte ergeben, daß in den meisten Fällen nicht "browsing" am Bücherregal der Grund für die Freihandbenutzung war sond
ern der schnelle, unbürokratische Zugriff auf das gewünschte Buch. Dies bestätigte frühere Feststellungen von Leyh (1913: 258) und spätere von Ratcliffe (1968: 102).
7. Welche ausleihbare Literatur eignete sich dann aber für eine Freihandaufstellung? In der neueren Fachliteratur war im Zusammenhang mit eingeschränkter Freihandaufstellung meist von "aktueller Literatur" die Rede, so auch in der "internen Freihanddiskussion" 1970. Dieses Auswahlkriterium war für einen größeren Freihand-Ausleihbereich aber viel zu diffus und nicht verwendbar. Die Meinungen der Fachreferenten darüber, was in den einzelnen Wissenschaftsfächern "aktuell" ist, würden weit voneinander abweichen. Trends in der Benutzung ließen hingegen darauf schließen, daß die oft zitierte Äußerung Milkaus, "daß sich zu 90 und mehr Prozent die W&uum l;nsche des Benutzers auf die Literatur des letzten Jahrzehnts beziehen" (Leyh 1913: 127) so völlig falsch nicht sein konnte. Häufig verlangte Literatur war im Unterschied zur "aktuellen" eine meßbare, überprüfbare und kalkulier bare Größe. Neben den neueren Jahrgängen der ca. 2000 wichtigsten Zeitschriften, der Studien- und Examensliteratur und den Beständen in der sog. Bildungsbücherei gehörten die Monographien der letzten 10 - 20 Jahre, vor allem die gezielt durch Kauf erworbenen, zu dieser Kategorie. Diese in Großgruppen mit Jahres-numerus currens gegliederten Neuzugänge mußten für die zu erwartende Massenbenutzung in das Freihandkonzept eines Neubaus miteinbezogen werden.
8. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte in den weiterführenden Überlegungen auch die Feststellung, daß die in- und ausländische Buchproduktion rasch und stetig anwuchs und ebenso rasch veraltete. Mit dem wachsenden Literaturbed
arf in der Universität und der höheren Zahl an Neuerwerbungen würden sich auch die Struktur und die Benutzung in der Zentralbibliothek verändern. Zu dem Problem der Benutzermassen
würde sich das der Büchermassen und der Magazinierung "toter Literatur" gesellen. Bereits 1931 war es als "von bedrängender Aktualität" diskutiert worden (Juntke 1931, Kehr 1994), dann aber durch Devisenmangel, Krieg und Zerstörun
g in den Hintergrund getreten. In den USA hingegen hatten Bibliothekare immer wieder vor "cancerous tendencies" im Bibliotheksbau gewarnt und "some kind of bibliothecal birth control" gefordert (Ellsworth 1969 : 25). Jetzt waren auch in Deutschland in ein
zelnen wissenschaftlichen Bibliotheken die Neuzugänge auf 50.000 und mehr Einheiten jährlich angewachsen. (Bestand Freiburg: 1970 rund 1 Mio Einheiten; 1990 rund 2,5 Mio Einheiten; 1994 2,87 Mio Einheiten)
Das neue Aufstellungssystem in Freiburg mußte daher so beschaffen sein, daß es damit möglich würde, ganze Blöcke selten oder gar nicht benutzter Gebrauchs literatur aus Freihandbereichen in geschlossene Magazine oder von do
rt in regionale Speicher zu überführen, ohne daß dadurch weitere Folgearbeiten an den Katalogen oder bei der Buchbeschriftung entstehen.
Ein solches Speichermagazin war zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht konkret geplant, wurde aber schon bald darauf im "Gesamtplan" (Bd 1: 143) gefordert und später im Auftrag des Ministeriums in einer kleinen Arbeitsgruppe (Hauser, Hering, Kehr,
Mittler) genauer analysiert (Hauser 1983).
9. Außer diesen Gründen waren aber auch noch die von Kehr in einem Brief an Tiwisina (27.2.70) erwähnten dafür ausschlaggebend, daß die systematische Aufstellung abgebrochen und der Gesichtspunkt des "browsing" bei einem ne uen Freihand-Ausleih-Konzept von sekundärer Bedeutung wurde: die dezentralen Freihandbibliotheken in den Fakultäten, die schwindende Bedeutung der Monographie in der Forschung, der Trend zur fächerübergreifenden wissenschaftlichen Arbe it und die gegenseitige Durchdringung der Wissenschaftsfächer in der einzelnen Monographie sowie das negative Urteil befragter Wissenschaftler über die Verwendbarkeit rasch veraltender gängiger Klassifikations systeme in Bibliotheken.
In seinem Bericht über den Fortgang der Reformarbeiten teilte der Freiburger Bibliotheksdirektor im Mai 1968 der Bibliothekskommission knapp mit: "Für die Neuzugänge ab 1968 wurde das Aufstellungssystem geändert und vereinfacht." (Jahresbericht der Bibliothek 1968:
Was bedeutet dies konkret?
Als erste Reformmaßnahme wurden nach dem Abbruch der systematischen Buchaufstellung und mit der Einführung des vereinfachten Geschäftsganges in der Buchbearbeitung (d.h. ab Jan. 1968) die neuen Monographien nach Großgruppensigna
turen (GE =Geisteswissenschaften; MD = Medizin; NA = Naturwissenschaften; SW = Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) mit jeweils diesen 2 Buchstaben, der zweistelligen Zahl des Erwerbungsjahres und einer laufenden Nummer in der Signatur (z.B. G
E 68/1) aufgestellt. Die neuen Zeitschriftenjahrgänge und -titel erhielten entsprechend die Signaturen ZG, ZM, ZN uz. ZR mit einer laufenden Nummer, Zeitungen die Signatur ZT. Mit dieser neuen Aufstellung war beabsichtigt, die in den verschiedenen G
roßgruppen unterschiedlich rasch veraltende Literatur nach Jahresringen blockweise und ohne besonderen Verwaltungsaufwand wie Umsignieren, Katalogisieren, Neubeschriftung in andere Aufstellungsbereiche (Zweigbibliotheken, geschlossene Magazine im
Neubau, Landesspeicher) ausgliedern zu können.
Das neu erworbene Schrifttum, das in einem geplanten Neubau auf jeden Fall in den
geschlossenen Magazinen archiviert werden sollte, erhielt andere Signaturen, so z.B. KA für (Kapsel-) Kleinschrifttum, DS/DS4 für neue Dissertationen, VS für Vorlesungsverzeichnisse und Schulschriften, TM/TX (ab 1971) für spezielle Mo
nographien (Antiquaria, Kunstbände u.a.), BS/BX für zentral zu magazinierende veraltete Bestände aus den dezentralen Bibliotken der Universität.
Kurz darauf, schon in der ersten Planungsphase für den Neubau (1968) bildete sich die Meinung heraus, daß die neue Großgruppenaufstellung auch für das geplante Freihandmagazin mit 200.000 - 400.000 Bdn geeignet sein könnte.
Bei der "Lehrbuchsammlung" als der ersten Freihand- Ausleihbibliothek war man
bemüht, den Arbeitsaufwand für die Systematisierung möglichst gering zu halten. Die Signaturen sollten einfach zu vergeben, zu benutzen und zu revidieren sein. Neben dem Wissenschaftsfach enthalten sie nur eine Unterteilung in Untergruppen
von einer Größenordnung, die trotz der weiteren rein akzessorischen Gliederung noch eine gute Orientierung am Regal ermöglicht. Dieses Prinzip wurde daraufhin bei allen Teilbereichen mit systematischer Buchaufstellung angewendet. In der "L
ehrbuchsammlung" verzichtete man auf jede
weitere systematische Gliederung. Die Praxis hat bestätigt, daß die akzessorische Aufstellung innerhalb mittelgroßer Sachgruppen für die Orientierung des Benutzers am Regal völlig ausreichend ist.
Gleichwohl erlaubte das neue Aufstellungsschema beim weiteren Ausbau, "einen Buchbestand von über 100.000 Bdn noch übersichtlich, mit einfachen Buchsignaturen und daher gut benutzbar zu gliedern" (UB Freiburg, Jahresbericht 1971 : 34).
Auch für die Buchbearbeitung einer solchen rasch wachsenden und stark frequentierten Freihandbibliothek wurde ein möglichst einfaches Verfahren gewählt (UB Freiburg, Jahresbericht 1971 : 34; Amedick 1991). Zwar waren alle Bücherti
tel in den alphabetischen Katalogen enthalten, nicht aber Auflagenbezeichnung und Exemplarzahl. Deren Verzeichnung nur in einem internen Standortkatalog ersparte Korrekturen in allen anderen Katalogen, solange der Titel als
solcher ausleihbar in der Freihandbibliothek verblieb. (Heute werden diese Daten allerdings im Ausleihrechner geführt und sind an den Benutzerterminals abrufbar).
Diese neue Freihandbibliothek, die 1971 bereits 4360 Titel und 19.390 Bde enthielt,
entwickelte sich sehr schnell zu einem Zentrum in der studentischen Literaturversorgung. Noch im Eröffnungsjahr zählte man 57.000 Entleihungen.
Um sie im Netz der universitären Verkehrswege möglichst günstig zu plazieren, wurde sie bereits zum SS 1969 mit der in einem separaten Block aufgestellten neuen "Bildungsbücherei" im Kollegiengebäude II (Universitätszent
rum) räumlich und organisatorisch vereinigt: "ohne Formalitäten für jedermann zugänglich, sachlich und übersichtlich gegliedert zur Selbstbedienung aufgestellt, mit vergleichsweise
geringem Zeitaufwand für den Benutzer und minimalem Verwaltungs- und Personalaufwand für die Bibliothek" (Kehr 1972:23). Wer als Student dort sein Fachbuch für das Studium holte, konnte sich gleichzeitig zur "Lektüre in der Freizeit" a
nregen lassen.
Bereits 1971 entliehen dort rund 10.000 Benutzer mehr als 112.00 Bde, d.h. die Benutzung war gegenüber der Organisationsform von 1967 um mehr als das 10fache gestiegen. Für die Ausleihverwaltung wurden nur zwei Bibliotheksangestellte, f&uum
l;r die gesamte Buchbearbeitung eine Diplombibliothekarin halbtags benötigt.
Allen Zweifeln und Warnungen zum Trotz ergab eine Revision drei Jahre nach
Eröffnung trotz fehlender Ausgangskontrolle eine Verlustquote von nur 294 (z.T. schon veralteten) Lehrbüchern und 49 Bdn aus der "Bildungsbücherei". Die räumliche Einheit von Lehrbuchsammlung und Bildungsbücherei i.S. einer "core
collection" (Kehr 1966) hatte sich sowohl hinsichtlich der ständig steigenden Benutzung als auch der Bearbeitung der Bücher und der Führung der Kataloge bewährt (UB Freiburg, Jahresbericht 1970:
16). Diese Feststellung ist auch heute noch zutreffend.
Allerdings ließ es die beginnende Massenbenutzung ratsam erscheinen, schon bald danach eine zweite Lehrbuchsammlung (LB II) in unmittelbarer Nähe der Fakultätsgebäude für die Naturwissenschaften und die theoretische Medizin
(direkt neben der Mensa II) einzurichten. Dies ersparte den Studenten dieser Fachrichtungen den Weg ins Universitätszentrum. Sie existiert dort - räumlich beengt - seit April 1973 und enthielt 1994 über 20.000 Bde.
Für die 107.000 Entleihungen und die sämtlichen anderen anfallenden Arbeiten (Neuanmeldungen, Gebühreneinzug, Rückbuchen, Rückstellen der Bücher, Ordnungsarbeiten, Revision u.a.m.) benötigte man dank Freihand und de
s automatisierten Ausleihverfahrens 1994 nur einen einzigen Bibliotheksangestellten (zusätzl. Urlaubs- und Krankheitsvertretung).
Jahr | Bereich | Zahl der Entleihungen | Personal für Magazine und Leihstelle |
1976 | Freihand (LB 1, LB 2) geschlossene Magazine | 154.000 245.000 | Personal: 3,5 Personal: 20 |
1981 | Freihand (LB 1, LB 2, FZ, FM) geschlossene Magazine | 550.000 252.000 | Personal: 7,5 Personal: 17,5 |
1991 | Freihand (LB 1, LB 2; FZ, FM) geschlossene Magazine | 1.050.000 360.000 | Personal: 11,5 Personal: 15,5 |
Allen Warnungen und Voraussagen über "chaotische Zustände", Diebstahl und Beschädigungen, über "Frustration des Benutzers" und "sittenwidrige Zumutung" zum Trotz haben die Benutzer die neuen Organisationsformen und Serviceangebote schnell akzeptiert und respektiert. Die letzte Revision im Jahr 1992 bestätigte das Ergebnis früher Revisionen: 0,1% Fehlquote und eine Quote von verstellten Büchern unter 1% erscheinen als tolerabel.
Es ist daher anzunehmen, daß die Prognose Kowarks zutrifft: "Mit einem leistungsfähigen EDV-System, großen Freihandbeständen und schnellem Zugriff auf Information und Literatur wird die Bibliothek auch den künftigen Anforderungen des Massenbetriebes gewachsen sein" (1991: 282).
Sind systematische Aufstellung und "browsing" für die wissenschaftliche Arbeit und bibliothekspolitisch wirklich noch so entscheidend, wie einzelne Bibliothekare vor mehr als 2 Jahrzehnten dies annahmen? Muß der freie Zugang des Benutzers zu größeren aktuellen Freihandbeständen in den Zentralbibliotheken zwangsläufig auch systematische Gliederung großer Bestände bedeuten (Stoltzenburg 1967)? Sind systematische und rein akzessorische Aufstellung überhaup t noch geeignete Verfahren, wenn immer mehr veraltete Gebrauchsliteratur in zentrale Speichermagazine ausgegliedert werden muß? Können sich die Bibliotheken die Doppelarbeit für die systematische Klassifikation des größten Teils ihrer Neuzugänge einerseits und ihre Mitwirkung an einer elektronisch recherchierbaren, verbalen Erschließung im regionalen oder gar nationalen Verbund andererseits in Zukunft noch leisten? Ist es für die zentrale Funktion der Universitätsbibliothek und ihre Bedeutung für Wissenschaft und Forschung nicht wichtiger, wenn sie neben der Erfüllung traditioneller Aufgaben ihre Ressourcen auf die Beschaff ung, Vermittlung und Bereitstellung von elektronisch verfügbaren Informationen und auf die Benutzerberatung in diesem Innovationsbereich konzentriert?
Solange die Flut des gedruckten Schrifttums nicht abebbt, solange das Buch in einzelnen Wissenschaftsfächern noch eine zentrale Funktion hat, wird die Frage nach dem geeigneten Aufstellungssystem aktuell bleiben. Doch wird man sie heute differenzierter sehen und Bedarf, Nutzen, Verwaltungsaufwand, Ressourcen und Priorität en vorsichtiger beurteilen müssen als einige Reformer dies zur Zeit der Gründung neuer Universitäten getan haben.
Was läßt sich aus den Entscheidungen der Jahre 1967/68 in Freiburg i.Br. und den praktischen Erfahrungen seitdem ableiten? Ist das dort praktizierte Auf stellungssystem, gemessen am "besten und natürlichsten Aufstellungssystem " (Leyh und Stoltzenburg), nichts weiter als eine Notlösung zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten lokalen Umfeld? Ich denke, sie ist mehr als dies.
An den Vorteilen des freien Zugangs zur grundlegenden und zur benutzungsintensiven Literatur sowie des beschränkten Zugangs zu den übrigen Beständen für Forschung, Lehre, Studium und allgemeine Information wird man heute nicht meh r zweifeln können. Es ist nicht notwendig, hierfür das ius naturale (Kluth) oder "ein tief verwurzeltes Verlangen nach Orientierung am Bücherregal" (Stoltzenburg) zu bemühen. Der Benutzer hat nicht das vorausgesagte Chaos im offenen Ma gazin verursacht. Das Freihandmagazin bietet auch nicht nur ihm große Vorteile. Kombiniert mit einem automatisierten Ausleihsystem und räumlich und organisatorisch günstig installierten Verbuchungsstellen führt dieser freie Zugang des Benutzers zu den am stärksten ausgeliehenen Teilbeständen auch zu bemerkenswerten Personaleinsparungen bzw. -umschichtungen.
Zahlreiche Universitätsbibliotheken in zweischichtigen Bibliothekssystemen mit großen systematisch aufgestellten und übersichtlich zu haltenden Präsenzbeständen in den Fakultäten sehen sich in ihren Gebäuden konfrontiert mit den drängenden Problemen der Massenbenutzung, der Raumnot und der rationellen Ausgliederung von veralteten Büchern und Zeitschriften, mit wachs endem Beratungsbedarf ihrer Benutzer und wachsendem Personalbedarf für elektronische Informationsdienstleistungen. Sie müssen früher oder später für die Frage, wie sie den freien Zugang zum Buch in einem möglichst günsti gen Verhältnis zwischen Verwaltungs- und Kostenaufwand einerseits und einem bedarfsgerechten Benutzerservice andererseits organisieren wollen, eine Lösung finden.
Die Freiburger Erfahrungen mit über 1,5 Mio Bdn systematisch geordnet in den dezentralen Bibliotheken, bald 3 Mio Einheiten in der Zentralbibliothek, davon 2,3 Mio in beschränkt zugänglichen Tiefmagazinen, 700.000 Bde in frei zugänglichen Benutzungsbereichen (davon 200.000 systematisch geordnet und präsent in Informations- und Arbeitsbereichen, 100.000 Bde systematisch geordnet zusammen mit 400.000 Bdn gruppenakzessorisch im SB-Ausleibereich) haben gezeigt, daß es auch für die "eingeschränkte Freihandaufstellung" kostengüns tige, zweckmäßige und vom Benutzer akzeptierte Lösungen gibt.
Entscheidend für die Akzeptanz durch den Benutzer sind dabei einfache Signaturen, Übersichtlichkeit, leichte Zugänglichkeit, klare Wegweisung und ein automatisiertes Ausleihverfahren mit hohem Selbstbedienungskomfort und mit der Möglichkeit, am Bildschirm festzustellen, ob bzw. wann das gewünschte Buch verfügbar ist.
In den alten Universitäten erwarten die Wissenschaftler und Studenten nicht nur den direkten Zugriff auf lokale und externe Datenspeicher sondern auch eine weitestgehende Selbstbedienung durch den freien Zugang zum Buch. Nach den Erfahrungen in der Universität Freiburg erwarten sie heute von ihrer Zentralbibliothek aber nich t mehr in erster Linie, daß dort der größte Teil der ausleihbaren Bestände freihand in systematischer Ordnung steht. Es genügt ihnen vielmehr, wenn wichtige Teilbestände systematisch und andere stark gefragte Ausleihbest&au ml;nde leicht benutzbar, ohne weitere systematische Gliederung frei zugänglich aufgestellt sind.
Bis Ende 1967 hatte auch in der UB Freiburg der Lehrkörper einen unkontrollierten Magazinzutritt zu den bis dahin streng systematisch aufgestellten Beständen. Dies hat im Gegensatz zur Argumentation von Stoltzenburg das rasche Wachstum alte r Institutsbibliotheken ebenso wenig zu verhindern vermocht wie die Entstehung neuer (Gesamtzahl 1967: 134) und die fortschreitende Isolation der wissenschaftlichen Bibliothekare in der Universität. Heute (1994) hat diese Bibliothek mit ihren 37.500 (1967: 11.000) aktiven Entleihern, über 1,6 Mio (1967: 152.000) Entleihungen und über 1,2 Mio LS-Benutzungsfällen sowie mit ihrer neueren Entwicklung zur "electronic library" hin auch ohne umfassende systematische Freihandaufstellung lä ;ngst wieder die gewünschte zentrale Rolle in der universitären und regionalen Literatur- und Informationsversorgung zurückgewonnen. Sie ist nachweislich auch für viele in- und ausländische Forscher und Wissenschaftler wieder attr aktiv, z.T. sogar unentbehrlich geworden (Raible 1992). Entscheidender als die systematische Freihandaufstellung ausleihbarer spezieller Monographien war hierfür eine planvolle und bedarfsorientierte Erwerbungspolitik in enger Kooperation mit den Fa kultäten, und dies nicht nur für die Studenten sondern durchaus schon im Sinne des "Gesamtplans" (1973-75) und von Liebers (1978) auch für Wissenschaft und Forschung. Ebenso entscheidend war die rasche Bereitstellung der Neuerwerbungen f&uu ml;r die Selbstbedienung und ein komfortabler Benutzerservice, nicht zuletzt auch in den Lesebereichen und im Informationsbereich. Der Aufbau eines Bibliothekssystems mit leistungsfähigen größeren Teilbibliotheken direkt bei Forschung und Lehre und in Verwaltung der Zentralbibliothek hat diese zentrale Rolle verstärkt und die Bibliothek wieder in die Universität integriert.
Ob über die 4 Blöcke in der gruppenakzessorischen Aufstellung der neueren Monographien im Freihandmagazin hinaus noch weiter untergliedert werden soll (z.B. nach der Fächersystematik in den Lesebereichen oder nach der Erwerbungsstatistik) muß jede Bibliothek selbst prüfen. In Freiburg ergab die Güte rabwägung 1970, daß eine weitere Unterteilung (in ca. 25 - 30 Gruppen) nicht annähernd die Vorteile der systematischen Freihandaufstellung gebracht, stattdessen aber für die Bibliothek den Verwaltungsaufwand erheblich erhöht hätte. (Zum gleichen Ergebnis kam später Lohse 1974: 10f). So blieb es bei der alten Lösung von 1967/68 in dem Bewußtsein, daß "was einfach ist, das ist immer falsch; was nicht einfach ist, das ist unbrauchbar (P. Valéry)."
Eine Überprüfung des Struktur- und Baukonzepts nach 15 Jahren Erfahrungen mit dem Freiburger Neubau kam bei den Hauptplanungszielen der Jahre 1967/68 zu einem positiven Ergebnis (Schubel 1994: 216f). Dennoch ist bei der Übertragung solcher und ähnlicher Konzepte auf andere Bibliotheken in einem anderen Umfeld Vorsicht geboten. Aus der Freiburger Praxis lassen sich vielleicht brauchbare Anregungen gewinnen, jedoch kein "Modell" und keine Theorie. Wer dies dennoch unbescheiden versuchen wollte, müßte sich eingestehen, daß eine solche "Theorie" nicht mehr sein könnte als die Rechtfertigung einer bis heute erfolgreichen Praxis an einem bestimmten Ort und unter bestimmten Umständen.
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