EUCOR-Bibliotheksinformationen - Informations des bibliothèques: 7 (1995)

o....Rèsumè en français

Fredy Gröbli (UB Basel):
Basels Stellung im schweizerischen Bibliothekswesen - Teil 1 -


Zusammenfassung:

Als eine Art Rechenschaftsablage beleuchtet der scheidende Direktor in einem zweiteiligen Beitrag die historische Entwicklung und Gegenwartsprobleme der Universitätsbibliothek Basel im schweizerischen Rahmen und unter einer Reihe von Gesichtspunkten, die ihm bezeichnend und wichtig erscheinen.
Dieser erste, geschichtliche Abschnitt erinnert einerseits an bemerkenswerte Etappen in der Zusammenarbeit, Erschließung und Benutzung des Bestandes, andererseits an den Wechsel der Gebäude und verantwortlichen Bibliothekare und zeigt anhand statistischer Angaben, wie die Bibliothek ihre durch Jahrhunderte führende Stellung in der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg verloren hat.


Résumé:

En guise de bilan au moment de partir à la retraite, le directeur de la bibliothèque universitaire de Bâle livre deux contributions qui abordent le développement historique de sa bibliothèque et ses problèmes actuels dans le cadre helvétique sous des angles qui lui révélateurs et importants.
La partie historique, la première à paraître, retrace les étapes essentielles de la constitution des collections, de leur catalogage et de leur exploitation, ainsi que le changement des bâtiments et des bibliothécaires responsables. Données statistiques à l'appui, elle montre comment, après la deuxième guerre mondiale, la bibliothèque a perdu la position prépondérante qu'elle avait occupée en Suisse des siècles durant.

(Trad. par G. Littler)


Vorbemerkung:

Die schweizerische Bibliothekslandschaft von Basel aus so weitumfassend zu betrachten, wie es Wilfried Sühl-Strohmenger in den EUCOR-Bibliotheksinformationen Nr. 4 vom März 1994 für Baden(-Württemberg) vermocht hat, ist leider nicht möglich, weil hierfür eine dem deutschen Handbuch der historischen Buchbestände entsprechende Vorarbeit fehlt. Deshalb muss sich der folgende Rückblick zur Hauptsache auf schon Bekanntes beschränken, das für Basel bezeichnend erscheint und zu Schweizerischem in Beziehung gesetzt werden kann. Soweit er für die letzten 20 Jahre auf persönlichen und demgemäss subjektiven Einschätzungen beruht, trägt der Verfasser die ausschliessliche Verantwortung.

I. GESCHICHTE

1. Vor der Reformation

Ohne die 1460 gegründete Universität Basel wäre eine Bibliothek als zunächst einzige weltliche in der Schweiz nicht entstanden, doch ist ihre Existenz durch Kaufeintragungen in mehreren Exemplaren erst 1471 sicher belegt[1]. Ähnlich den genauer dokumentierten Verhältnissen im benachbarten Freiburg umfasste sie nebeneinander zwei Bestände, für die Artistenfakultät in einem Schrank und für die Gesamtuniversität in einem Raum, und diente vornehmlich der Benutzung am Ort. Nachweisen lassen sich bisher 16 Bücher für den philosophischen, theologischen und juristischen Lehrbetrieb[2]. Für die weitergehenden Literaturbedürfnisse auch von Universitätsangehörigen sorgten die seit der Zeit des Basler Konzils wohldotierten Klosterbibliotheken der Stadt.

2. Die Hauptteile der Sammlung

Aus diesen Klosterbibliotheken stammt auch der noch erhaltene älteste Grundstock, indem zufolge der Reformation die geistlichen Häuser aufgehoben wurden und im Verlauf des 16. Jahrhunderts die vorhandenen Manuskripte und Druckwerke der Prediger (550)[3], Kartäuser(2100, unter ihnen über 350 vom Sammler Johann Heynlin von Stein)[4], Barfüsser (120 des Juristen Arnold zum Lufft)[5], des Domstifts und des Leonhardsstifts (je 300) in öffentlichen Besitz übergingen.

Die freiwilligen Geschenke, welche die Basler Buchdrucker seit 1536 machten[6], betrafen bei weitem nicht ihre gesamte, an sich beträchtliche Produktion. Denn die Ablieferung eines Prüfungsstücks für die Zensur wurde ihnen erst 1558 auferlegt, und diese Pflicht verlor im 17. und 18. Jahrhundert nicht nur mit dem Niedergang des Basler Buchdrucks an Bedeutung, sondern sie wurde überhaupt nachlässig erfüllt und musste immer wieder eingeschärft werden, bis sie 1831 mit der endgültigen Abschaffung der Zensur dahinfiel.

Als dritter Komplex sind ganze Privatsammlungen zu nennen, vor allen andern das Amerbachsche Kabinett, das 1661 von Stadt und Universität erworben wurde und neben weltberühmten Gemälden, dem Nachlass des Erasmus und der weitläufigen Korrespondenz der Humanistenfamilie 9000 Bücher umfasste. Zahlenmässig übertroffen wurde es 1829 vom Vermächtnis des Bibliothekars Daniel Huber mit 12'500 Bänden aus den bis dahin schwach vertretenen Wissenschaften Mathematik und Physik. Dass mit dieser Art des Zuwachses aber auch Unannehmlichkeiten verbunden sein konnten, erwiesen das Museum des 1667 verstorbenen Sammlers Remigius Faesch und die Schenkung des Barons Anton von Högger in Paris von 1714[7]. Dessen 110 ledergebundene Klassiker in usum Delphini und Kupferstichwerke mussten am Ende bezahlt werden, und jenes, das immerhin 5000 Bände und tausende von graphischen Blättern und Münzen enthielt, gelangte nach jahrhunderte langem Abwarten und Prozessieren erst 1823 kraft testamentarischer Verfügung an die Universität.

Im 19. und 20. Jahrhundert sind die weiteren Legate geschlossen unter den Namen ihrer Donatoren aufgestellt worden, zeitlich und im Alphabet zuletzt die UFO-Sammlung Zinsstag. Gesellschaften, so die Naturforschende, die Historische und Antiquarisché und die Basler Offiziersgesellschaft, haben ihre ständig wachsenden Bibliotheken, zum Teil mit dem Auftrag des Tausches ihrer periodischen Publikationen, ins Depositum gegeben; andere Deposita, wie der Pfadfinder und der Weltsprachen-Vereinigung Interlingue, mussten wieder zurückerstattet werden. Anschaffungen über den ordentlichen Erwerbungskredit hinaus ermöglichen Stiftungen und der 1850 gegründete Freiwillige Museumsverein.

Spezialkollektionen bestehen für 100'000 Porträts in Holzschnitt, Kupferstich und Photographie, für Exlibris die weitaus umfangreichste in der Schweiz und für Landkarten mit einigen Unikaten aus dem 16. Jahrhundert[8]. Dagegen wird gegenüber audiovisuellen und elektronischen Non Books, dem Bedürfnis und den Mitteln entsprechend, noch verhältnismässige Zurückhaltung geübt. Ebenso sind bei den Handschriften auffällig wenige Briefwechsel überliefert, abgesehen von den umfangreichen der Amerbach und des Diplomaten und Schriftstellers Carl Jacob Burckhardt. Unter den Gelehrtennachlässen ragt derjenige des Mathematikergeschlechts Ber noulli mit Abstand heraus; denn die Papiere von Jacob Burckhardt befinden sich im Staatsarchiv Basel-Stadt, von Karl Barth in einer eigenen Forschungsstelle.

3. Kataloge

Nachdem Andreas Karlstadt, der bekannte Gegner Luthers, 1534 mit einer Inventarisierung beauftragt worden war, bearbeiteten im Zeitraum von etwas über 100 Jahren die auch sonst verdienten Bibliothekare Heinrich Pantaleon 1559 nach einer ersten Inkorporation von Kloster beständen, Christian Wurstisen in den 1580er Jahren, Conrad Pfister 1622/24 und Johann Zwinger bis 1676 unter Einschluss der Amerbachschen Sammlung einen Katalog. Während an Umfang jeder den Vorgänger naturgemäss übertraf, waren sie alle nach Handschriften und Druckschriften und die beiden früheren nach Fachgebieten, die beiden späteren nach Fakultäten und innerhalb der kleinsten Abteilung seit Wurstisen alphabetisch geordnet. Zwingers Katalog reichte beinahe 200 Jahre aus, was neben andern Indizien am schlagendsten für die langewährende Stagnation der Bibliothek zeugt.

Der seit 1827 geplante und 1843 in Angriff genommene neue Bandkatalog begnügte sich im wesentlichen ebenfalls mit einer Abschrift des Zwingerschen und trug nur den Zuwachs seither nach. Ab 1867 wurden die Anschaffungen laufend auf Zetteln verzeichnet und 1889-1905 durch den damaligen 3. Bibliothekar und einen Mitarbeiter ein alphabetischer Zettelkatalog der Autoren und Anonymen nach den Preussischen Instruktionen angefertigt, die Basel von allen schweizerischen Hochschulbibliotheken stets am getreuesten befolgt hat[9]. Sie galten noch im 1940 begonnenen Katalog aus durchwegs matrizierten Zetteln im internationalen Format, und erst mit Einführung der EDV wurde 1981 für die Neuerwerbungen umgestellt auf die Regeln der Vereinigung Schweizerischer Bibliothekare (VSB) in der Fassung der Basler Anleitung zum Katalogisieren (BAK), die auch andernorts in der Schweiz Eingang gefunden hat.

In den gleichzeitig mit dem Zettelkatalog bandweise angelegten Standortskatalogen zu Verwaltungszwecken waren die Signaturen neben abgekürzten Namen und sprechenden für Zeitschriften, Dissertationen und Broschüren zusammengesetzt aus zwei Buchstaben -ursprünglich Majuskel/Majuskel, später Majuskel/Minuskel -, römischen Gruppenziffern und arabischen Individualnummern[10]. Dadurch entstanden in Anlehnung an die Vorbilder von Göttingen, Freiburg und Strassburg 20 Hauptabteilungen, repräsentiert durch die Buchstabenkombination, mit an die 3000 Rubriken nach formalen und typologischen, thematischen, topographischen, biographischen und chronologischen Gesichtspunkten, wobei aber gleiche Gebiete in verschiedenen Abteilungen und Werke gleichen Inhalts und sogar verschiedene Auflagen desselben Titels in mehreren Rubriken figurierten.

Der generellen Tendenz von der systematischen Aufstellung zum Numerus currens folgend, wurde 1936 diese verwirrende Ueberfülle reduziert auf 219 noch laufende Signaturen nach Thema, Zeit und Format, die mehrheitlich aus zwei Kleinbuchstaben und Individualnummer bestehen. Nochmals eine Vereinfachung in den 1960er Jahren führte den Numerus currens für Dissertationen und Broschüren ein und eliminierte den Zeitbezug gänzlich, im Unterschied zur Zentralbibliothek Zürich, aber wohl zum Nachteil der Basler Signaturen In dieser Form erwiesen sie sich auch für die EDV als tauglich, einzig zur automatischen Ausleihverbuchung mussten 1995 die Namen- und sprechenden Signaturen gekürzt werden[11].

Zur katalogmässigen Inhaltserschliessung, welche mit der immer weiteren Umschreibung der Aufstellungsgruppen notwendig einhergehen musste, wurde schon 1924 eine Systematik von 18 Haupt- und 82 Unterabteilungen entworfen und mit Schreibmaschine ein zusätzlicher Zettel für jeden neuen Titel angelegt. Indessen wurde 1939 ein Schlagwortkatalog mit Unterschlagwörtern und Formalkategorien nach dem Beispiel des Deutschen Bücherverzeichnisses begonnen und 1942 dem Publikum zugängli ch gemacht, und mit der Anwendung der EDV lösten ihn 1981 präkoordinierte Schlagwortketten ab.

Unter den speziellen Beständen haben, abgesehen von Verzeichnissen zur Auffindung der Landkarten, Porträts und Exlibris sowie kleineren Sonderkatalogen[12], die Anläufe zur Beschreibung der Inkunabeln ihren erfolgreichen Abschluss mit dem Werk eines sachkundigen Liebhabers gefunden[13]. Die meiste Aufmerksamkeit und Mühe galt jedoch den Manuskripten. Die ersten publizierten Kataloge von Handschriften, für die altdeutschen 1835 von Wilhelm Wackernagel, die griechischen, die alle andern in der Schweiz an Zahl und Bedeutung übertreffen, 1886 von Henri Omont und die musikalischen des 16. Jahrhunderts 1892 von E. Julius Richter, haben Auswärtige aus eigenem Antrieb geschaffen. Ihnen sind mit Gustav Binz 1907 für die deutschen Handschriften der Abteilung A, Konrad Escher 1917 für die illustrierten, Gustav Meyer und Max Burckhardt 1960-75 für die Abteilung B (Theologische Pergamenthandschriften), Beat von Scarpatetti 1977 für die datierten bis 1550, John J. Kmetz 1988 noch einmal für die musikalischen, Werner Sackmann 1990 für die Abteilung K (Beschreibende Naturwissenschaften) und Joseph Prijs mit späteren Bearbeitern 1994 für die hebräischen teils beamtete Bibliothekare, teils beauftragte und freiwillige Mitarbeiter gefolgt[14]. Die mindestens hand- oder maschinenschriftlich vorliegenden Beschreibungen des Gesamtbestands durch ein zweibändiges Register, dessen erster Teil 1982 erschienen ist, zu erschliessen, hat sich der gegenwärtige Vorsteher der Handschriftenabteilung vorgenommen.

4. Editionen und Ausstellungen

Neben den eben erwähnten Katalogen sind vereinzelt ganze Handschriften bestände im Druck erschienen, namentlich die Matrikel der Universität (bis 1818 in 5 Bänden) und die Amerbach-Korrespondenz (bisher 10 Bände in 12 Teilen). Neuerdings in den Verlag genommen hat die Bibliothek ebenfalls die periodische Basler Bibliographie, die von ihr seit jeher redigiert worden ist, und Arbeitsstellen bestehen im Hause auch zur Herausgabe der Bernoulliana und einer neuen Edition von Jacob Burckhardt, doch werden beide Unternehmen materiell von anderer Seite getragen. Die dank einer leistungsfähigen Offset vervie1fältigung regelmässig erscheinenden Publikationen sind in einer numerierten Reihe zusammengefasst, in der die minutiösen Beschreibungen, die Frank Hieronymus der oberrheinischen Buchillustration und den griechischen Basler Drucken gewidmet hat, das wissenschaftliche und physische Schwergewicht bilden.

Sie sind aus Ausstellungen erwachsen, die während Jahrzehnten nur bei besonderen Anlässen stattfanden, zumal der ursprünglich dafür bestimmte Raum, der sonst eine permanente Schau beherbergte, in der Folge als Lesesaal für Dozenten und Doktoranden dienen musste. Auch im Neubau wurde der sehr geeignete und beliebte Ausstellungssaal zunächst nur unregelmässig genutzt, bis sich vor 20 Jahren ein Turnus von fünf jährlichen Veranstaltungen im Durchschnitt einbürgerte. Bei unseren personell beschränkten Möglichkeiten lässt er sich freilich nur durchhalten, weil es meistens fremde Organisatoren sind, welche die in der Stadt seltene Chance einer unentgeltlichen Lokalität gerne ergreifen. Umgekehrt verhielt es sich mit dem Höhepunkt unserer Ausstellungsaktivität in letzter Zeit, indem die Gedenkausstellung zum 5 00jähriqen Jubiläum von Sebastian Brants "Narrenschiff" zwar von der Bibliothek mit den andern EUCOR-Bibliotheken gestaltet, aber in der Basler Papiermühle, aus der Papier der Erstausgabe herrührte, gezeigt worden ist.

5. Die Folge der Gebäude

Nachdem für die Bibliothek 1558/59 das Untere Kollegium um einen Anbau hoch über dem Rhein erweitert worden war, zog sie mit den andern Sammlungen, um den Amerbachschen Zuwachs wesentlich vermehrt, 1671 in das längst in Aussicht genommene Tuchhaus 'zur Mücke' am Münsterplatz ein, wo einst das Konzil seinen Papst gewählt hatte, eine Heizung im Arbeitszimmer aber erst 1821 installiert wurde. Die dringende Vergrösserung um eine benachbarte Liegenschaft wurde durchdie Kantonstrennung von 1833 aufgeschoben. Erst 1849 konnte der Umzug in das klassizistische Museum an der Augustinergasse erfolgen, das nach dem Prinzip, dem etwa das Britische Museum mindestens teilweise bis ins 20. Jahrhundert gehuldigt hat, sämtliche Sammlungen der Stadt vereinigte und auch die Bibliothek in hohen Sälen mit halsbrecherischen Leitern beherbergte.

Als erste konnte sie aber 1896 ein eigenes Gebäude beziehen, das zur Hälfte von der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft aus Legaten und einer Kollekte unter ihren Mitgliedern finanziert worden war. Es lag auf dem Areal eines aufgehobenen Gottesackers, aber zwischen den damals schon bestehenden Universitätsanstalten für Anatomie und für Astronomie und in der Nähe des Bürgerspitals. Während seine betriebliche Funktionalität im kurz danach ersc hienenen Handbuch des Bibliothekswesens von Arnim Graesel lobende Erwähnung fand, zwang der spitze Winkel einer Strassengabelung zum originellen Grundriss aus zwei Schenkeln für Magazin und Verwaltung und erstmals einem Lesesaal mit Handbiblioth ek dazwischen[15].

Um unumgänglichen Raum für die wachsenden Bestände zu schaffen, konnte der Magazinflügel zunächst verlängert, sodann unterkellert werden. Einen weitergehenden Umbau, der schon in den 1920er Jahren erwogen wurde, zögerte der Zweite Weltkrieg hinaus, bis er endlich als Geschenk des Kantons Basel-Stadt an seine Universität zu deren 500jährigem Jubiläum 1962/68 in zwei Etappen verwirklicht wurde, um den Bibliotheksbetrieb nicht längere Zeit unterbrechen oder verlagern zu müssen, wie es kürzlich bei der Zentralbibliothek Zürich geschah. Denn seine Lage und im ganzen auch die Raumdisposition, die allerdings um vier unterirdische Magazingeschosse erweitert wurde, blieben erhalten, weil die Behörden die für neue Bedürfnisse der Universität nötig werdenden Liegenschaften mehr oder weniger bewusst in einem baslerischen Quartier latin um Kollegiengebäude und Bibliothek herum zu konzentrieren sich bestrebten.

Die bibliothekstechnische Ausstattung entsprach dem Erkenntnisstand der Zeit und verzichtete auf erst sich abzeichnende Zukunftsperspektiven. Der Entwicklung und dem Raumbedarf seither ist es zuzuschreiben, wenn in der Folge EDV-Peripheriegeräte für Personal und Publikum in grosser Zahl, Rollgestelle in einem ganzen Magazingeschoss und dem Teil eines zweiten und ein Karteilift für den Katalog der älteren Bestände eingerichtet werden mussten, Als tiefgreifendste Aenderung aber steht die Eröffnung eines Freihandmagazins für die Bücher und Zeitschriften der letzten 30 Jahre im Magazinflügel des Altbaus unmittelbar bevor.

6. Zur Benutzung

Bei den frühesten, selbstverständlich lateinischen Reglementen ist die allgemeine Tendenz von der Einschränkung über die Kontrolle zur Ordnung der Bibliotheksbenutzung zu beobachten[16]. Der Eid für die Schlüsselinhaber der Libraria von 1477 untersagte die Entleihung ausdrücklich, traf aber keine Massnahme, um sie zu verhindern. 1591 und 1622 wurde die dreimonatige Ausleihe, mit Ausnahme von Manuskripten und Rara, an Professoren, Geistliche, Ratsherren und Buchdrucker gegen Haftung, an Fremde in Basel gegen Kaution gestattet. Zeitgemässere Gepflogenheiten führten die Leges von 1681 ein, indem sie die Bibliothek jeden Donnerstag zwei Stunden öffneten, zwei (später mehr) Kustoden für die Benutzung bestellten und ein Ausleihbuch vorschrieben. Weiterhin wurde aber Freihandbenutzung nur Gradierten erlaubt, von Bürgern eine Haftung, von Studenten und Auswärtigen eine Bürgschaft oder Empfehlung verlangt und zudem vor der Ausleihe von Manuskripten deren Unbedenklichkeit geprüft.

Als sich mit der Erwerbung der Amerbachschen Sammlungen das Interesse ankündigte, weniger die Bücher als Holbeins Gemälde zu besichtigen, wurde nach einem bald abgebrochenen Vorläufer 1662 für Durchreisende abermals ein Gästebuch aufgelegt[17], das Eintragungen, freilich mit Lücken, bis 1822 aufweist. Verewigt haben sich bis 1750 gegen 1000, in der 2. Hälfte des 18. und im 1. Viertel des 19. Jahrhunderts je 5000 Besucher, mit dem Maximum im Jahr 1814. Ihre Zusammensetzung und Frequenz widerspiegeln das politische Geschehen, das weitgehend von Frankreich bestimmt wurde, doch neben protestantischen Schweizern und Deutschen, die mit Abstand überwiegen, begegnen bemerkenswerterweise mehr Briten als Franzosen.

Im 19. Jahrhundert brachte nach der - 1806 noch abgelehnten - Markierung der Bücher mit einem Eigentumsstempel 1817 und der Verlängerung der Oeffnungszeiten auf drei Stunden montags und donnerstags das Bibliotheksregelment von 1836 einschneidende Neuerungen. Während eine Kommission von sechs Mitgliedern in zweimonatlichen Sitzungen über die Anschaffungen entschied, war der Bibliothekar, mit einer Amtswohnung in der Nähe und einem Pensum von acht Wochenstunden, verantwortlich für Rechnung, Katalogisierung und Ausleihe und musste halbjährlich einen Büchersturz durchführen. Benutzerwünschen diente ein Desiderienbuch, ausgeliehen wurden nicht bloss Druck-, sondern auch Handschriften gegen Empfangsschein und allenfalls Sicherheit, und offen stand die Bibliothek je zwei Stunden am Montag, Dienstag, Donnerstag und Samstag. Im Museum dauerte die Oeffnungszeit sogar täglich von 10 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit, weil auch dort eine künstliche Beleuchtung noch fehlte.

In einer Reihe moderner Benutzungsordnungen, die mit denen anderer Bibliotheken im wesentlichen übereinstimmen, sind Anpassungen, zuletzt 1977, von Mal zu Mal nur in Einzelheiten vorgenommen worden. Der direkte Versand auch an auswärts wohnende Benutzer und die Ausleihe aus einem Freihandmagazin werden indessen nach einer Erprobungsfrist in absehbarer Zeit eine Neufassung von Grund auf erfordern.

7. Etwas Statistik

Als erste halbwegs verlässliche Bestandsangabe steht für 1800 die Zahl von 15/16'000 Drucken und 4000 Handschriften fest, die nach der Kantonstrennung 1834 auf 44'000, beim Einzug ins Museum 1850 auf 70'000 und im eigenen Gebäude 1896 auf 200'000 Bände angewachsen war. In immer kürzeren, von 20 auf 12/13 Jahre sich verringernden Abständen wurden eine halbe Million 1914, die erste Million 1935, 1,5 Millionen 1953, 2 Millionen 1971, 2,5 Millionen 1985 überschritten, und 3 Millionen dürften beim gegenwärtigen Zuwachs 1997/98 erreicht werden.

Was in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreicht und noch heute regelmässig konsultiert wird, ist sozusagen lückenlos vorhanden, weil die Bibliothek von zerstörerischen Einwirkungen verschont blieb. Aber in der Zwischenkriegszeit begannen Lücken wegen Schwierigkeiten der Beschaffung und Bezahlung aufzutreten, und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zwingen die ungenügenden Mittel einerseits, sprachliche Unzugänglichkeit und ideologische Voreingenommenheit von Publikationen andererseits zu einer immer schärferen Auswahl oder legen sie jedenfalls nahe. So hat sich der angeschaffte Anteil der Weltproduktion, der 1939 über 18% betrug, bis 1985 auf 4% reduziert, wobei sich aber die Anzahl der erworbenen Einheiten kaum änderte.

Dieser Rückgang, der allerdings für die schweizerischen Grossbibliotheken insgesamt gilt, ist bezeichnend dafür, dass im Vergleich mit ihnen die unsere überhaupt an Gewicht und damit ihre durch Jahrhunderte führende Stellung verloren hat[18]. Während sie 1936 in bezug auf Ausgaben, Erwerbung, Personal und, abwechselnd mit der Zentralbibliothek Zürich, auch Benutzung an 1. Stelle stand, fiel sie bis anfangs der 1990er Jahre auf die 4. oder gar 5. Stelle hinter die ETH-Bibliothek und die Zentralbibliothek Zürich, die Bibliothèque cantonale et universitaire in Lausanne und teilweise auch die Schweizerische Landesbibliothek in Bern zurück. Der Verlust der Führung trat in den 1950er Jahren ein. Er erklärt sich aus dem Umstand, dass ihr teuerungsbereinigter Multiplikationsfaktor nur 5, hingegen für die ETH-Bibliothek 35, in Lausanne 19, für die Zentralbibliothek 9 und die Landesbibliothek 6 betrug. Dadurch verringerte sich auch der Basler Anteil an den Gesamtaufwendungen der acht grossen Bibliotheken (ohne Neuenburg und St. Gallen) innerhalb von 50 Jahren um die Hälfte auf ein Zehntel.

Seit der humanistischen Tradition ihrer Anfänge lag der Sammelschwerpunkt der Bibliothek stets bei den Geisteswissenschaften; deshalb wurden von den 14 Grossbuchstaben als erstem Signaturenelement nur 3 den Naturwissenschaften mit Einschluss von Philosophie und Musik, aber 2 für Griechisch und Latein reserviert. Nach einer Erhebung von 1986 im Hinblick auf die Schaffung von künftigen Schwerpunktsammlungen[19], ähnlich den deutschen Sondersammelgebieten, hat sie, hauptsächlich dank ihrem Alter und als lange Zeit einzige öffentliche Bibliothek am Ort, den Vorrang an Beständen unbestritten in Medizin bewahrt und teilt ihn mit den Schwesterbibliotheken von Zürich und Genf in Theologie, Pädago gik, einzelnen Philologien, Geschichte, Musik und Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

An der Spitze steht sie auch immer noch mit dem Gesamtbestand, mindestens bezogen auf die herkömmlichen Informationsträger, und mit der Fernleihe sowohl gebend wie nehmend. Sie und die Zentralbibliothek Zürich bestreiten zusammen zwei Drittel der auswärtigen Entleihungen, weil die drei Deutschschweizer Universitätsbibliotheken in Basel, Bern und Zürich 5 Millionen, die drei französischsprachigen in Freiburg, Genf und Lausanne nur 1 Million Einwohner versorgen müssen.

Zuversichtlich darf auch die Prognose für die Zukunft unserer Bibliothek stimmen, denn sie vermochte in den 1980er Jahren ihre Position gegenüber den andern Grossbibliotheken eher wieder zu verstärken. Von den früheren Gewinnern konnte auch die Bibliothèque cantonale et universitaire von Lausanne ihre Stellung ausbauen, jene von Freiburg die ihre mindestens halten, während die Zentralbibliothek Zürich sogar Terrain einzubüssen scheint.

8. Persönlichkeiten

Statistiken mögen wohl den Umfang und Zuspruch einer Bibliothek dokumentieren, doch wahren Geist und Wert erhält sie erst dank den Personen, die an ihr wirken.

In der Epoche der Professorenbibliothekare wurden 1585 deren zwei eingesetzt, denen wenig später ein Vertreter jeder Fakultät beigeordnet wurde. Nach vorübergehender Reduktion auf einen einzigen Bibliothekar im 17. Jahrhundert erhielten wieder beide 1712 noch zwei Adjunkten und als Aufsichtskommission die vier Dekane. 1821 wurde der "Bibliothecarius ordinarius ex ordine philosophico" entnommen, die drei andern und ein vierter aus der philosophischen Fakultät bildeten die Bibliothekskommission.

Als Basler Eigenheit darf die im 19. und bis ins 20. Jahrhundert dominierende Stellung des Kommissionspräsidenten gelten, die auf meist jahrzehntelanger Mitgliedschaft beruhte, Hervorgehoben zu werden verdient insbesondere Ratsherr Peter Merian, als Wissenschafter bahnbrechender Geologe, der über 40 Jahre der Kommission angehörte und ihr 1868-82 vorstand. Freiwillig war er, weil der amtierende Bibliothekar die Naturwissenschaften vernachlässigte, für diese besorgt, indem er einschlägige Werke nicht nur weitgehend aus eigenen Mitteln anschaffte, sondern sie auch selber katalogisierte, signierte und aufstellte.

Unmittelbar nach Genf setzte auch Basel 1867 einen vollamtlichen Bibliothekar auf sechs Jahre mit dem Gehalt eines ordentlichen Professors sowie einen Unterbibliothekar ein. Bald darauf kamen ein zweiter Unterbeamter und ein Bibliotheksdiener und 1883 noch ein dritter Bibliothekar hinzu. Als solcher fungierten zuerst ein Deutscher, dann nacheinander Carl Christoph Bernoulli und Gustav Binz, die in der Folge selber zum Oberbibliothekar, wie der Bibliotheksleiter nun hiess, berufen wurden. Ausnehmende Kontinuität herrschte auch in der Handschriftenabteilung, die seit 1909 erst der dritte Vorsteher betreut.

Darüber hinaus sind Basler naturgemäss immer wieder auch auf gesamtschweizerischer Ebene in Erscheinung getreten. So leitete Johannes Bernoulli als erster die Schweizerische Landesbibliothek, und aus Basel stammten nicht weniger als drei Direktoren der Zentralbibliothek Zürich. In der Zwischenkriegszeit bestimmte Direktor Karl Schwarber zusammen mit seinen Kollegen von der Landesbibliothek und von der Zentralbibliothek das schweizerische Bibliothekswesen, und gegenwärtig will es der Zufall, dass Basler den Vorstand und die Delegiertenversammlung des Berufsverbandes und die Kommission der Universitätsbibliotheken präsidieren.

Wenn ausschliesslich Vorsteher und Männer erwähnt worden sind, soll damit selbstverständlich nicht verschwiegen werden, dass es gerade im Bibliothekswesen auf die Gesamtheit des Personals ankommt und dessen Mehrheit heute auch in Basel aus weiblichen Kolleginnen besteht.

(Teil II folgt im nächsten Heft)


Fußnoten:

1 Max Burckhardt, Aus dem Umkreis der ersten Basler Universitätsbibliothek. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde [fortan abgekürzt: Basler Zeitschrift] 58/59 (1959), S. 155-80
[zurück zur Textstelle]

2 Nicht 250, wie aus der Bibliotheca antiqua in Pantaleons Katalog irrig erschlossen worden ist.
[zurück zur Textstelle]

3 Philipp Schmidt, Die Bibliothek des ehemaligen Dominikanerklosters in Basel. In: Basler Zeitschrift 18 (1919), S. 160-254
[zurück zur Textstelle]

4 Max Burckhardt, Klassiker der Weltliteratur als Quelle pro studio humanitatis. Der Testfall der Basler Kartause. In: De captu lectoris. Wirkungen des Buches im 15. und 16. Jahrhundert, Berlin 1988, S. 51-66. - Max Burckhardt, Die Ink unabeln aus der Bibliothek des Johannes de Lapide. In: Für Christoph Vischer, Basel 1973, S. 15-75
[zurück zur Textstelle]

5 Max Burckhardt, Die Bibliothek Arnolds zum Lufft. In: Basler Zeitschrift 58/59 (1959), S. 15-75
[zurück zur Textstelle]

6 Karl Schwarber, Das Basler Pflichtexemplar. In: Mélanges offerts à Marcel Godet, Neuchâtel 1937, S. 145-63
[zurück zur Textstelle]

7 Mit beiden Fällen beschäftigt sich Andreas Heusler, Geschichte der Öffentlichen Bibliothek der Universität Basel. Rektoratsprogramm Basel 1896, S. 40-46 und 53-62 (von 79), immer noch die ausführlichste, stre ckenweise allerdings anekdotisch gehaltene Gesamtdarstellung.
[zurück zur Textstelle]

8 Carl Ch. Bernoulli, Ein Karteninkunabelnband der öffentlichen Bibliothek der Universität Basel. In: Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel 18 (1905), S. 1-25
[zurück zur Textstelle]

9 Katalog-Instruktion der Universitätsbibliothek Basel, Juni 1914 (57 S.) mit Nachtrag: Broschüren-Katalog, Juni 1917
[zurück zur Textstelle]

10 Michael Kuhn, Konkordanz der Standortkataloge der Oeffentlichen Bibliothek der Universität Basel, 2. Aufl. Basel 1994, auf Grund der Diplomarbeiten von Annelies Ruchti (1987) und Claudia Grütter (1993)
[zurück zur Textstelle]

11 Monika Burkhard, Revision von Signaturen für die automatische Ausleihverbuchung, Diplomarbeit Basel 1995
[zurück zur Textstelle]

12 Als Beispiel Egon Thurnherr, Katalog barocker Originalausgaben auf der Universitätsbibliothek Basel (1575-1750), Diplomarbeit Basel 1980, ausgehend von Curt Faber du Faurs Sammlungskatalog der Yale University, 2 Bde. New Haven 1958-69
[zurück zur Textstelle]

13 Pierre L. Van der Haegen, Basler Wiegendrucke. Verzeichnis der in Basel gedruckten Inkunabeln von Berthold Ruppel bis Nikolaus Kessler, Basel 1985 (288 S.); ein Fortsetzungsband soll folgen.
[zurück zur T extstelle]

14 Weitere Einzelheiten gibt Martin Steinmann, Die Handschriften der Universitätsbibliothek Basel, 2.Aufl. Basel 1987 (59 S.) mit ergänzenden Literaturangaben.
[zurück zur Textstelle]

15 Daniel Reicke, Die Basler Universitätsbibliothek von 1893-1896 als Bauwerk, Lizentiatsarbeit 2 Tle. Basel 1977
[zurück zur Textstelle]

16 Abgedruckt bei Heusler, Geschichte, S. 84-88
[zurück zur Textstelle]

17 Max Burckhardt, Europäische Nobilitäten auf der Durchreise in Basel. Ein Einblick in das alte Gästebuch der Basler Universitätsbibliothek. In: Basler Zeitschrift 71 (1971), S. 203-50
[zurück zur Textstelle]

18 Die Zahlen liefern Jean-Pierre Clavel, Un Demi-siècle [1936-1985] des grandes bibliothèques suisses à travers les statistiques, Berne 1987, und Alexis Rivier, Profil des grandes bibliothèques suisses d'a près les statistiques 1981-1992, Fribourg 1994. Auf die von beiden ebenfalls angewendeten Leistungsindices wird nicht eingegangen, weil sie am Ergebnis grundsätzlich nichts ändern
.[zurück zur Textstelle]

19 Hermann Schneider, Bericht Schwerpunktsammlungen in schweizerischen Bibliotheken, Zürich 1987
[zurück zur Textstelle]



zum nächsten Beitrag - l'article suivant
zum ersten Beitrag - retour au premier article
zurück zum Inhaltsverzeichnis - retour à l'index