EUCOR-Bibliotheksinformationen - Informations des bibliothèques: 7 (1995)

Peter M. Ehrle, A. Schlechter:
Zur Übernahme der Bibliothek im Baden-Badener Schloß durch die Badische Landesbibliothek

Seit einigen Monaten wird in der Presse immer wieder über die vom 5. bis 21. Oktober in Baden-Baden stattfindende Auktion berichtet, bei der das Haus Baden den größten Teil des Inventars seiner Schlösser verkaufen will. Grund dieser Aktion, die vom Londoner Auktionshaus Sotheby's veranstaltet wird, sind Schulden des Markgrafen in dreistelliger Millionenhöhe. Ein Angebot an das Land, das Neue Schloß in Baden-Baden samt Inventar zum Preis von 80 Millionen zu übernehmen, fand politisch keinen Rückhalt [1], zumal auch in den beiden Vorjahren der Ankauf der Donaueschinger Handschriften sowie einiger Inkunabeln den Etat strapaziert hatte [2]. Allerdings war es Landesinstitutionen möglich, Teile aus der Verkaufsmasse vorab zu erwerben. Direkt profitiert haben bisher neben dem Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) und der Badischen Landesbibliothek (BLB) das Badische Landesmuseum, die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe sowie die Oberfinanzdirektion Karlsruhe in ihrer Eigenschaft als Verwalterin der Schlösser des Landes.

Die Existenz einer größeren Bibliothek in Baden-Baden war der BLB bis zum April 1995 nicht bekannt. Erst Anfang Mai erhielt die Oberfinanzdirektion eine Liste der zu versteigernden Objekte oder Objektgruppen. Hier fand sich unter Nr.90 eine geschlossene Bibliothek verzeichnet, unter Nr.95 eine Sammlung von Photoalben, die vor allem für das GLA von hohem Interesse ist. Über das GLA ging der BLB nicht nur die Information selbst, sondern auch das Typoskript des Sotheby's-Kataloges für die Büchersammlung zu. Nach damaligem Stand war die Versteigerung der Bücher und Manuskripte unter 365 Einzelnummern (Altdrucke, illustrierte und Prachtwerke) oder Konvoluten (überwiegend thematisch geordnet) mit zum Teil hunderten von Titeln als Band 6 des heute siebenbändigen Katalogs [3] geplant.

Am 17.5.1995 fand eine erste Besichtigung der Bibliothek in Baden-Baden statt, an der neben Prof. Dr. Solte für das Ministerium für Wissenschaft und Forschung (MWF) von Seiten der Landesbibliotheken Dr. Geh, Dr. Ehrle und Dr. Stamm sowie vom GLA Prof. Dr. Schwarzmaier und Dr. Krimm teilnahmen. Es folgte am 23.5.1995 eine ausführliche inhaltliche Inspektion durch Dr. Stamm und Dr. Schlechter. Die Bücher waren zu diesem Zeitpunkt in Regalen oder in Stapeln auf dem Boden in einem Saal sowie in mehreren Räumen des ehemaligen, stark renovierungsbedürftigen Küchentraktes untergebracht und zum großen Teil grob sachlich geordnet. Im Saal standen die von Sotheby's für besonders wertvoll erachteten Bände. Keiner der leicht feuchten Räume war heizbar, im Küchentrakt fehlte in einigen Zimmern elektrisches Licht. Aufgrund der völlig inadäquaten Unterbringung hatten einige Einbände Schimmel angesetzt. Besonders die Bücher, die auf dem Boden lagen, waren stark verschmutzt.

Als erfreulich erwies sich dagegen der Inhalt. Wie schon aus dem Verkaufskatalog von Sotheby's hervorgegangen war, besteht die Sammlung aus etwa 35.000 Titeln. Von einigen offensichtlich erst im 19. Jahrhundert erworbenen Altdrucken (Johannes Reuchlin, Philipp Melanchthon, Matthäus Merian, Johann Daniel Schöpflin, Martin Gerbert) abgesehen, liegt der Schwerpunkt der Bibliothek im 19. Jahrhundert. Es dominiert die in Baden oder über Baden erschienene Literatur auch außerhalb der in den Sotheby's-Listen genannten Bereichen, so im Falle von Eisenbahnbau (u.a. Die Badische Eisenbahn. Sammlung von Constructionen der hauptsächlichen Bauwerke, Maschinen und Fahrzeuge, Abt. 1-2, Karlsruhe 1844/45-1852), Gesundheitswesen, Militärgeschichte, Kunst- und Universitätsgeschichte. Eine besonders wertvolle Abteilung ist die der Reise- und Entdeckungsliteratur in oft prachtvoller und reichillustrierter Ausstattung (u.a. Maximilian Prinz zu Wied: Reise in das Innere Nord-America in den Jahren 1832 bis 1834, Koblenz 1839-1841; Erik Jönsson Dahlberg: Suecia hodierna et moderna, Stockholm 1691-1715). Weitere Gruppen, beispielsweise große Konvolute zur Geschichte des Roten Kreuzes sowie zum Fürsorge- und Gesundheitswesen, lassen sich auf einzelne Persönlichkeiten des Hauses zurückführen, in diesem Fall auf Großherzogin Luise (1838-1923). Schließlich findet sich hier eine größere Musiksammlung mit gedruckten und handschriftlichen Partituren. Das für Karlsruhe vielleicht wertvollste Einzelstück ist eine in der Stadt selbst gedruckte, von Hand in Anlehnung an mittelalterliche Handschriften illustrierte Ausgabe der Alemannischen Gedichte von Johann Peter Hebel (Karlsruhe: Hasper, 1856), die zusätzlich auf eingebundenen Blättern mit ganzseitigen Aquarellen von verschiedenen Künstlern (z. B. von Friedrich Würthle) versehen wurde. Den Band erhielten Großherzog Friedrich I. (1826-1907) und Großherzogin Luise anläßlich ihrer Hochzeit 1856 von den Amtsbezirken Müllheim und Schopfheim als Geschenk. Ansonsten ist der Bereich der schönen Literatur, mit Ausnahme einer großen Sammlung französischer Werke, nicht sehr groß, ebenso der der wissenschaftlichen Literatur im engeren Sinn.

Als besonders schätzenswert stellt sich die Ausstattung vieler Bände dar, die nicht selten durch private, rote Maroquineinbände geschützt werden, zum Teil mit Supralibros. Ihnen zur Seite stehen aufwendige Verlagseinbände des 19. Jahrhunderts sowie Unikate in Sonderausstattung, im Regelfall Dedikationsexemplare, weiter Bände mit handschriftlicher Widmung, beispielsweise von Hans Thoma. Anschließen läßt sich hier eine mehrere hundert Einheiten umfassende Sammlung von Gratulationsschriften zu verschiedenen Anlässen, die von Städten, Gemeinden, Vereinen, Firmen und anderen ausgingen und sich vor allem aufgrund ihrer prächtigen kunsthandwerklichen Ausstattung auszeichnen. Es handelt sich bei der Büchersammlung alles in allem um eine typische Fürstenbibliothek des 19. Jahrhunderts, deren Ensemblewert weit über dem Preis der Einzelstücke liegt. Ihre Bedeutung für die BLB ist zum einen im spezifisch badische Bezug zu sehen, zum anderen im Reichtum der Literatur des 19. Jahrhunderts allgemein. Gerade für diesen Zeitraum weisen die Bestände der BLB aufgrund der Zerstörung des Hauses im Jahr 1942 [4] große Lücken auf.

Auf der Basis eines von Dr. Stamm nach dieser Inspektion erstellten Gutachtens wurde der Ankauf der Sammlung beim Ministerium beantragt; der Preis sollte zu diesem Zeitpunkt 3 bis 3,5 Millionen Mark betragen. Bereits Ende Mai signalisierte die Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg ihre prinzipielle Bereitschaft zur Mitfinanzierung des Kaufs. Insbesondere das Ministerium mahnte allerdings Eigenleistungen an. Am 1.6.1995 fanden erste Verkaufsverhandlungen zwischen den Landesbevollmächtigten Dr. Ehrle und Prof. Dr. Schwarzmaier sowie Dr. Christoph Graf Douglas statt, dem Deutschland-Chef von Sotheby's und Hauptauktionator für die Versteigerung. Einen Tag später konnte sich Dr. Ehrle telephonisch mit Graf Douglas auf eine Verkaufssumme von 2,5 Millionen Mark einigen. Aufgrund des niedrigeren Kaufpreises behielten die Mitglieder des Hauses Baden einen kleinen Teil der Bibliothek sowie familienhistorisch relevante Dinge (Familienchronik, Bibel mit Widmung) ein. Diese Sachlage wurde dem Ministerium am 9.6. und 13.6.1995 mitgeteilt. Sowohl Sotheby's als auch BLB und GLA waren an einer schnellen Übernahme interessiert, da die Räume zum einen für die Auktion gebraucht wurden, zum anderen die Bibliothek immer noch relativ ungeschützt, konservatorisch bedenklich und für verschiedene Personen zugänglich untergebracht war.

Etwa zeitgleich wurde auf Veranlassung des Ministeriums der Freiburger Historiker Prof. Dr. Dieter Mertens um ein Gutachten gebeten. Seine Stellungnahme bestätigte das Urteil, das sich die BLB gebildet hatte. Mertens betonte den hohen Quellenwert der Sammlung für die badische Geschichte des 19. Jahrhunderts, da in erheblichem Umfang Werke enthalten seien, die die wirtschaftliche, technische, soziale und kulturelle Entwicklung des Landes widerspiegeln. Ebenfalls hohen Quellenwert habe die Reise- und Entdeckungsliteratur. Vor allem aufgrund des Ensemblewerts sei der Ankauf durch das Land und die Aufstellung in der BLB sehr zu begrüßen.

Ebenfalls im Juni setzten verschiedene Aktivitäten ein, deren Ziel es war, einen Teil des Kaufpreises durch Spenden zu finanzieren. Die Badische Bibliotheksgesellschaft (BG) stellte DM 50.000.- zur Verfügung, und die Wilhelm-Baur-Stiftung gab ihre Zustammung dazu, daß eine frühere Spende in Höhe von DM 75.000.- an die BG zur Finanzierung des Ankaufs der Schloßbibliothek verwendet werden konnte. Ein Aufruf des Vorstandes der BG an die Mitglieder, durch eine Spende den Transport der Schloßbibliothek in die BLB zu finanzieren, erbrachte mehr als hundert Einzelspenden im Gesamtwert von etwa DM 16.000.-. Die Buchhandlung Mende stiftete für den gleichen Zweck weitere DM 14.000.-. Parallel dazu hatten sich die an Käufen aus dem Versteigerungsgut interessierten Landesinstitutionen mit der Bitte um Spenden an die Öffentlichkeit gewandt. Ein Sponsorentreffen fand am 12.7.1995 statt. Jede beteiligte Institution führte ein eigenes Spendenkonto; die BLB erhielt auf diese Weise DM 10.000.- vom Kernkraftwerk Philippsburg und DM 3000.- aus Einzelspenden. Das Karlsruher Reisebüro Hirsch stellte ein Sponsoring in Höhe von DM 10.000.- in Aussicht. Auch das GLA erhielt zusätzliche Spenden, unter denen die Zuwendungen der Gemeinde Karlsdorf-Neuthard mit DM 25.000.- und der Oberrheinischen Stiftung für Geschichte und Kultur mit DM 5000.- hervorragten. Insgesamt wurden bis Ende September immerhin etwa DM 200.000.- an Spenden für den Ankauf und den Transport der Schloßbibliothek erbracht. Den weit überwiegenden Teil des Kaufpreises (ca. 2,3 Millionen Mark) muß nach derzeitigem Stand die Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg übernehmen (s. auch den Pressespiegel in diesem Heft).

Obwohl es schon Anfang Juni zu einer prinzipiellen Einigung bezüglich des Kaufs gekommen war, gingen die Kaufverhandlungen zwischen dem MWF und der markgräflichen Verwaltung wegen Differenzen über die Einbeziehung weiterer Sammlungen in die Kaufmasse nur langsam voran. Am 29.8.1995 informierte das Auktionshaus Sotheby's die BLB von der Notwendigkeit sofortiger Übernahme, da die Räume, in denen die Sammlung untergebracht war, für die Versteigerung benötigt wurden. Bei einem Ortstermin am folgenden Tag stellte sich heraus, daß der Hof des Schlosses nur bis zum Wochenende mit Lastkraftwagen passierbar sei, so daß der Transport an den nächsten beiden Werktagen abgewickelt werden mußte. Der Auftrag für den Umzug ging an eine Münchener Kunstspedition, die mit Sotheby's eng zusammenarbeitete und sich schon am folgenden Tag einsatzbereit zeigte. Ebenfalls am 30.8.1995 fanden in der BLB die organisatorischen Vorbereitungen für die provisorische Unterbringung der mit Büchern gefüllten Umzugskartons statt.

Der Umzug selbst begann am Morgen des 31.8.1995. Die Münchener Spedition stellte kurzfristig acht Personen und drei Kleinlaster. Dr. Ehrle, Herr Hauser und Dr. Schlechter packten die im Saal untergebrachten, wertvolleren Bücher. Eine ursprünglich geplante separate, vorgezogene Abholung war aufgrund der Zeitnot nicht möglich, ebensowenig wie eine gruppenweise Verpackung, die die spätere Bearbeitung erleichtert hätte. Ab dem späten Morgen fuhren die ersten Transporter nach Karlsruhe. Dort wurden die auf Paletten gelagerten Kartons in den Flur vor der Titelaufnahme gebracht, von wo sie durch die Hausmeister und die Magaziner des Hauses an die provisorischen Standorte zu transportieren waren. Da von der Spedition bis ca. 21.30 Uhr gepackt wurde, endete der Umzug trotz der ungünstigen baulichen Gegebenheiten in Baden-Baden, die beispielsweise die Nutzung eines größeren Lastkraftwagens unmöglich machten, in Rekordzeit am Mittag des Folgetages. Insgesamt wurden 1055 bis zum Rand gefüllte Umzugskartons sowie der Inhalt von zehn Rollwägen überführt. Ein besonders markierter Teil der Kartons (270 Einheiten) fand Aufstellung im Handschriftenmagazin, der Rest im 4. und 5. Stock des Geschlossenen Magazins. Die Kosten für den Umzug beliefen sich auf ca. DM 33.000.-. Separat wurde am 1.9.1995 vom GLA der im zugefallene Anteil abgeholt, neben eigentlichen Archivalien auch die Sammlung von Gratulationsbänden sowie die Photoalben.

Zur Zeit - Ende September - sind die ins Handschriftenmagazin verbrachten Kartons ausgepackt, die Bücher provisorisch aufgestellt und grob sortiert. Leider bestätigten sich die früheren Beobachtungen: ein nicht geringer Teil ist aufgrund der langen Vernachlässigung der Sammlung zumindest leicht schimmelgeschädigt. Seit Anfang des Monats läuft die Lüftung im Tresorbereich auf Hochtouren, um die Bände zu trocknen und den Modergeruch zu beseitigen. Aus diesen Gründen werden auch die im geschlossenen Magazin aufbewahrten Kartons ausgepackt, obwohl die für ihre endgültige Aufstellung vorgesehenen Regale um die Kuppel im 4. und 5. Stock noch nicht verfügbar sind. Die Bearbeitung der Bibliothek - der Zugang übertrifft den Bücherzuwachs des Hauses innerhalb eines Jahres - ist nur mit zusätzlichem Personal innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu leisten.


Anmerkungen:

1 J. Gut: Dem Gespött preisgeben? Gedanken zu den Verkaufsverhandlungen Neues Schloß Baden, in: Badische Heimat 75 (1995), S. 311-318; DER SPIEGEL 1995, Nr. 28, S. 162-164; Nr. 38, S. 118f.
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2 W. Berschin: Die Andacht zum Mittelalter endlich für alle. 'Unberechenbare Zinsen': Die Donaueschinger Handschriften in der Stuttgarter Landesbibliothek, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 1993, Nr. 269, S. 37; K. Graf: Der Tradition nicht verpflichtet. Ein Nachruf auf die Inkunabelsammlung der Fürstlichen Fürstenbergischen Hofbibliothek zu Donaueschingen, in: Badische Heimat 75 (1995), S. 319-331
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3 [Sotheby's:] Die Sammlung der Markgrafen und Großherzöge von Baden, Baden-Baden, 5. bis 21. Oktober 1995, Bd. 1-6, [7:] Einleitung, Information, Versteigerungsbedingungen.
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4 L. Syré: Die Geschichte der Bibliothek - eine Chronik in Daten und Bildern, in: Buch - Leser - Bibliothek. Festschrift der Badischen Landesbibliothek zum Neubau, hrsg. von G. Römer, Karlsruhe 1992, S. 25.
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