NS-Raubgut

Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Freiburg.

Im Jahr 2023 jährt sich das Gedenken sowohl an die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten vor 90 Jahren als auch an die von ihnen durchgeführten Bücherverbrennungen. Bei der „Aktion wider den undeutschen Geist“ wurden jüdische, marxistische, pazifistische, oppositionelle und andere unliebsame Autorinnen und Autoren systematisch verfolgt. Öffentlichkeitswirksam setzte die Deutsche Studentenschaft eine solche Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin in Szene. Wie in der Hauptstadt wurden auch in vielen deutschen Städten Bücher verbrannt – so auch in Freiburg.

Doch nicht nur NS-Studierende sammelten oder beschlagnahmten Bücher. Verschiedene Akteure führten über Jahre weiter systematisch „Säuberungen“ in Buchhandlungen, kommerziellen Leihbüchereien, öffentlichen und privaten Schul-, Volks- und Vereins-Bibliotheken durch. Die Masse dieser beschlagnahmten Bücher wurde aber nicht verbrannt, sondern reichsweit ausgewählten wissenschaftlichen Bibliotheken übergeben. Dort wurde ihre Benutzung fortan von politischer „Zuverlässigkeit“ im Sinne des Regimes abhängig gemacht und somit stark eingeschränkt. An der Universitätsbibliothek Freiburg entschied man, solche Bücher mit einem roten Stern oder einem „S“ zu versehen.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist der systematische Bücherraub bei Verfolgten, auch ganz unabhängig davon, ob es sich um verfemte Literatur handelte oder nicht. Dies betraf schon im März 1933 die Arbeiter-Bewegung und später den privaten Buchbesitz der badischen Jüdinnen und Juden, die im Oktober 1940 ins südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert wurden. 

Die wissenschaftlichen Bibliotheken gliederten nur einen Teil der auf unterschiedliche Weise unrechtmäßig enteigneten Bücher in ihre eigenen Bestände ein. Die übrigen Bücher wurden getauscht, verkauft, verschenkt, an die Front geschickt oder vernichtet. Hierdurch ist sowohl die Identifizierung der ursprünglichen Besitzerinnen und Besitzer als auch die Nachverfolgung des Weges der Bücher außerordentlich schwierig.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde nur ein Teil der Bücher zurückgegeben oder eine Wiedergutmachung geleistet. Erst durch die 1998 vereinbarten Grundsätze der ”Washingtoner Konferenz“ in Bezug auf Kunstwerke und Kulturgut, das von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurde (“Washington Principles”) erhielt die systematische Provenienzforschung in den Kultur- und Gedächtnisinstitutionen wie Museen und Bibliotheken neue Impulse.

Die Sonderausstellung ist ein Ergebnis des Projektseminars “NS-Raubgut an der Universitätsbibliothek Freiburg. Provenienzforschung als Gegenstand und Methode der Geschichts- und Bibliothekswissenschaft” in Kooperation mit dem Historischen Seminar und der Universitätsbibliothek Freiburg. Gemäß der Idee des forschenden Lernens haben Lehrende und Lernende zum Teil bisher unbekannte Originalquellen aufgespürt und Informationen recherchiert, um nicht nur die Geschichte(n) von Büchern, sondern auch die Schicksale der Verfolgten, denen diese Bücher einst gehörten, und ihren Verfolgern zu erzählen. Beispielhaft werden Zugangsbücher der Universitätsbibliothek, Archivalien aus dem Universitätsarchiv sowie Bücher mit ihren Provenienzmerkmalen wie Besitzereinträge, Stempel oder Exlibris im Original oder in Reproduktionen gezeigt. Diese Bücher befinden sich noch heute im Bestand der UB. Doch ohne Vorkenntnisse über solche Spuren bleibt uns meistens verborgen, welche Biografien diese Bücher-Objekte haben und wie diese mit dem Leben ihrer früheren Besitzer*innen oft untrennbar verbunden sind.

Die Universitätsbibliothek Freiburg möchte die Ergebnisse des Projektseminars gezielt für systematische Provenienzforschungen hinsichtlich der Zeit des Nationalsozialismus nutzen. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass – wie im Falle der Rückgabe von Büchern aus dem Besitz Leo Polaks 2020 – weitere Restitutionen unrechtmäßig erworbener Bücher möglich werden. 

Die Sonderausstellung steht im Zusammenhang mit der Veranstaltungsreihe “Dunkle Wolken über Freiburg”, die in Kooperation mit dem Stadtarchiv, der Stadtbibliothek, der Universitätsbibliothek, den Omas gegen Rechts, dem Freiburger Interessenverband studentischer Theater (FIST* e. V.) und dem Projekt „Verbrannte Orte" von April bis Juni 2023 stattfand. Anlass ist die im April 2023 erschienene Publikation von Heiko Wegmann „Dunkle Wolken über Freiburg. Nationalsozialistische Bücherverbrennungen, ‚Säuberungen‘ und Enteignungen“.

Ausstellungsteam:

Lion Thomas Gronmayer, Kevin Gruchmann, Kim Hartmann, David Jornitz, Sofie Kassel, Vera Kruse, Pia Kuhlmann, Laila Kunze, Hannah Rudolf, Dr. Marcus Schröter (Leitung), Amadeus Tkocz, Josephine Emilia von Hülsen, Dr. Heiko Wegmann (Leitung), Leon Wiedmann.

University of Freiburg

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