Buchbesitz zu kennzeichnen hat eine lange Tradition und dabei im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Techniken und Ausgestaltungen angenommen: Nach handschriftlichen Besitzvermerken, Exlibris und Supralibros wurde seit Ende des 18. Jahrhunderts vor allem in großen Bibliotheken der Farbstempel auf Papier zum bevorzugten Kennzeichnungsinstrument und hat sich auch heute trotz elektronischer Systeme und entsprechender Codierungsträger in den meisten öffentlichen Einrichtungen als (zusätzlicher) Besitzeintrag in Büchern und anderen körperhaften Bibliotheksmedien erhalten.
Wird der Besitzanspruch aufgegeben, „entstempeln“ daher öffentliche Einrichtungen diese Bücher mit Gegenstempeln oder Vermerken wie „ausgeschieden“ usw. und entwerten somit den durch den Besitzstempel bisher erhobenen Besitzanspruch.
Form und Aussehen von Bibliotheksstempeln sind auch innerhalb einer Institution oder Sammlung nicht über die Jahrhunderte hinweg unverändert geblieben. Besitzerwechsel, Veränderungen bei den Unterhaltsträgern, gesellschaftliche, politische und ästhetische Einflussnahmen, der Wunsch, einer bestimmten Corporate Identity stärker Ausdruck zu geben usw. waren und sind Anlässe, das Bild des Stempels von Zeit zu Zeit neu zu gestalten. Damit werden Stempel aber nicht nur zu Trägern von Besitzinformationen, sondern erlauben zusätzlich eine zeitliche Zuordnung.
Vor allem für Buch- und Sammlungshistoriker werden damit Bibliotheksstempel zu wichtigen Zeugnissen des Erwerbs oder der Sammlungszugehörigkeit eines Buchs in einem bestimmten Zeitsegment, liefern wertvolle Hinweise beispielsweise für die Beschreibung von Lese- und Wissensgesellschaften einzelner Epochen, zur Geschichte von Institutionen und Sammlungen oder erlauben rechtliche Klärungen.
Daher ist es in wissenschaftlichen Bibliotheken üblich, selbst Bibliotheksstempel der Vergangenheit mit politischer oder totalitärer Symbolik nicht nachträglich unkenntlich zu machen sondern als historische Quelle zu belassen. Dies gilt auch für Stempel mit NS-Symbolen. Ihr Vorhandensein ist in keiner Weise propagandistisch im Sinne des §86 StGB oder als Kennzeichen im Sinne des §86a StGB zu verstehen.
Zwar zeigen die in der Zeit 1933–1945 in der Universitätsbibliothek Freiburg verwendeten Buchzugangsstempel keine NS-Zeichen. Wohl aber sind inzwischen durch Institutsrückläufe oder antiquarischen Zugang Stempel mit NS-Symbolik im heutigen Bestand der UB. Ihr Erhalt im Buch hat jedoch einzig historisch-wissenschaftliche Funktion im oben beschriebenen Sinn.
Bibliotheksstempel : Besitzvermerke von Bibliotheken in der Bundesrepublik Deutschland / Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz. [Hrsg. von Antonius Jammers]. - Wiesbaden : Reichert, 1998.
Darin: Universitätsbibliothek Freiburg, S. 84-85
Winfried Hagenmaier: Bibliotheksstempel, Expressum 1996,12 , Seite 26-27.